KONTRA Punkt: Wie viel Osten steckt im rechten Terror?
Über West-Importe, den Nachwendeblues und Antifaschismus
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Zwickau, Jena, Lauenau, egal, Hauptsache Osten. So könnte man das Problem zusammenfassen. Gut, das eine liegt in Niedersachsen, aber Holger G., der dort als Helfer der Neonazi-Zelle festgenommen wurde, stammte ja auch aus Jena. Osten also. Damit ist das Problem eingegrenzt, und wir haben gleich zwei Schuldige: den Verfassungsschutz oder besser die Verfassungsschutzbehörden, die sowieso mit Skepsis betrachtet werden, und den Osten. Der ist sowieso rechts.
Nur ist man den Gründen für den rechten Terror damit keinen Deut nähergekommen. Bestimmte Artikel sind eben schwierig: Der Osten. Dort ist der braune Sumpf, dort sind die Nazis, und dort ist auch das NPD-Problem. Aber was ist der Osten? Prenzlauer Berg, das grüne Ghetto? Das bürgerliche Leipzig? Das Feriendomizil auf Usedom? Ist das der rechte Osten? Oder doch eher die Sächsische Schweiz? In Rathen zum Beispiel, wo die NPD bei der vergangenen Landtagswahl auf über zehn Prozent der Stimmen gekommen ist. Oder Mecklenburg-Vorpommern? Da liegen jene Landstriche, von denen die Berliner immer erschrocken berichten, wenn sie nach ihrem Rügen-Urlaub mal von der Autobahn abfahren mussten – zum Tanken.
Da kommt der Schock. Verödete Landstriche tun sich auf, nicht nur architektonisch, vor allem sozial. Alles, was jung, gut gebildet und am besten noch weiblich ist, zieht weg, dorthin, wo es Arbeit und Zukunft gibt, und das sind vor allem der Westen und die ostdeutschen Zentren. Für die Zurückgebliebenen fehlt es an Orientierungspunkten, an der Möglichkeit, Selbstwertgefühle aufzubauen. Ein perfekter Nährboden für rechte Propaganda.
Dass heißt nicht, dass es keine jungen Gebildeten im Osten gibt: Leipzig, Dresden, auch Greifswald und Frankfurt/Oder sind begehrte Universitätsstädte. Aber dann: Hier leben, nein danke!
Jena ist auch eine stolze Universitätsstadt, es ist sogar wirtschaftlich prosperierend und mit geringer Arbeitslosenquote. Trotzdem hat dort über Jahre eine rechte Terror-Zelle gedeihen können. Das zeigt ein zweites Problem: Behördenversagen. Das gibt es im Westen auch, im Osten aber hat es einen speziellen Grund. Denn nach dem Mauerfall kamen etliche Behörden-Missionare aus dem Westen, um den Osten mit den Strukturen und der administrativen Qualität zu beglücken. Allein, es kamen nicht immer die Besten.
Sämtliche Statistiken sprechen eine klare Sprache – seit Jahren: Im Verfassungsschutzbericht von 2010 belegen fünf ostdeutsche Bundesländer die ersten Plätze bei der Zahl der rechten Gewalttaten bezogen auf die Einwohnerzahl. In Umfragen ist die Zufriedenheit mit der Demokratie geringer ausgeprägt als im Westen. Ein Produkt jahrelanger sozialistischer Diktatur? Wohl eher die große Unzufriedenheit mit den Jahren danach. Bleibt die antifaschistische Tradition. Die müsste doch dafür sorgen, dass brauner Terror keine Chance hat. Dumm nur, dass es eben keine aus der Mitte der Gesellschaft gewachsene antifaschistische Kultur ist. Es war oktroyierte Propaganda, die sich ins Gegenteil verkehrt.
Eine CSU oder eine hessische CDU hat es im Osten auch nie gegeben. Für diese Parteien oft eine Gratwanderung, aber sie haben im Westen den rechten Rand ein Stück absorbieren können.
Es ist am Ende eine bittere Erkenntnis, aber eine, die man richtig benennen muss. Im Osten gibt es ein Problem, es ist aber nicht der Osten und schon gar nicht der Ostdeutsche. Denn es gibt keine rassistische Vorprägung. Und auch keine historisch gewachsenen Ressentiments. Allerdings eine Menge Faktoren, die bestimmte Regionen im Osten anfällig für rechte Tendenzen machen.
Eines kann man diesen Regionen aber nicht vorwerfen: Nichts passiert heimlich. Jeder kennt die Wahlergebnisse. Jeder kann die Gruppen grölend durch die Städte ziehen sehen. Jeder kann Weihnachtsmärkte im Osten besuchen. Oder im Sommer Campingplätze. Nur muss man das wahrhaben und wahrhaben wollen, auf beiden Seiten. Und es erfordert Anstrengungen, auch von beiden Seiten.
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