Meinung: Wir müssen die russische Erpressung zurückweisen
Georgien fallen zu lassen, wäre eine Bankrotterklärung Europas und seiner Werte / Von Ralf Fücks
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Der Krieg um Georgien hat die politische Landschaft weit über den Kaukasus hinaus verändert. Über die Abtrennung der beiden abtrünnigen Provinzen hinaus trifft Russland alle Anstalten, das Prinzip der „begrenzten Souveränität“ gegenüber Georgien wieder in Kraft zu setzen. Der Westen reagiert hilflos – Amerika ist weit entfernt, seine Kräfte anderweitig gebunden, und die EU hat zwar ein Partnerschaftsabkommen mit Georgien, aber auf einen geopolitischen Konflikt ist die Europäische Nachbarschaftspolitik ganz und gar nicht ausgelegt. Die Union trat bisher nicht als Macht auf, die ihre Werte und Interessen im Kaukasus zu wahren hat, sondern als Vermittler in einem Konflikt, in dem sie nicht Partei sein will.
Westeuropa hat lange gebraucht, die Dimension des Konflikts zur Kenntnis zu nehmen. Es gibt eine Tendenz, unbequeme Tatsachen zu ignorieren, um das gute Einvernehmen mit Russland nicht zu stören. Dagegen haben die Nationen, die gebrannte Kinder russischer Machtpolitik sind, ein feines Sensorium für den neuen, alten Wind, der aus dem Osten weht. Nicht von ungefähr warnen die Präsidenten Polens und der drei baltischen Republiken in einer gemeinsamen Erklärung vom 9. August vor der „imperialistischen und revisionistischen Politik Russlands“.
Wir sollten es nicht als Hysterie abtun, dass vor allem Staaten mit starken russischen Minderheiten alarmiert auf das georgische Exempel reagieren. Für die Ukraine und die baltischen Staaten steckt darin die Drohung Russlands, die erfolgreiche Zerlegung Georgiens auch auf sie anzuwenden. Mit dem Verlust der Krim mögen sich viele Russen so wenig abfinden wie mit dem Verlust Georgiens, und mit dem latenten Konflikt um den russischen Flottenstützpunkt Sewastopol liegt ein Zankapfel schon bereit.
Deshalb ist die Haltung der EU gegenüber Georgien bedeutsam für das gesamte mittel-osteuropäische Gefüge: signalisiert die Union, dass sie bereit ist, Georgien zugunsten der „strategischen Partnerschaft“ mit Russland fallen zu lassen, wird das unweigerlich als Ermutigung für revisionistische Ambitionen Moskaus und als Entmutigung für die gerade unabhängig gewordenen Nationen in Russlands Kraftfeld wahrgenommen. Die russische Regierung betreibt sehr zielstrebig diese Entsolidarisierung, wenn sie bei jeder Gelegenheit betont, dass sich der Westen zwischen Unterstützung des „Schurkenregimes“ in Tiflis und Partnerschaft mit Russland entscheiden müsse. Außenminister Lawrow: „Wenn die Unterstützung des bankrotten Regimes Saakaschwilis für die Nato Vorrang vor einer Zusammenarbeit mit Russland hat, so ist das nicht unsere Schuld.“ Europa muss diese Erpressung zurückweisen.
Georgien fallen zu lassen wäre das Ende einer europäischen Ostpolitik, die auf die Erweiterung der Sphäre von Demokratie und Marktwirtschaft zielt. Es wäre das Ende aller Versuche, eine Versorgungslinie für Öl und Gas aus Zentralasien nach Europa aufzubauen, und es wäre der Bankrott aller Deklarationen über europäische Werte.
Wohlgemerkt: es geht nicht um Solidarität mit Saakaschwili. Er ist verantwortlich für den irrwitzigen Versuch, Südossetien mit Gewalt zurückzuholen, er hat sein Land an den Rand des Abgrunds geführt, und er muss für die Opfer unter der Zivilbevölkerung geradestehen. Worum es geht, ist die entschiedene Verteidigung der Souveränität Georgiens gegenüber dem Versuch Russlands, es der gerade gewonnen Unabhängigkeit wieder zu berauben. Es liegt nicht in unserem Interesse, die Brücken zu Russland abzubrechen. Das bedeutet aber nicht, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Die EU muss gegenüber Putin und Medwedew sehr deutlich machen, dass mit der Invasion Georgiens und der Kannibalisierung seines Staatsgebiets eine rote Linie überschritten wurde. Eine so brüske Verletzung des Völkerrechts, ein so brutaler Umgang mit einem kleinen Nachbarstaat stellt das System kollektiver Sicherheit in Europa in Frage.
Zur Souveränität eines Staates gehört auch, dass er frei über seine Bündnisse entscheiden kann. Man kann darüber streiten, ob ein Nato- Beitritt Georgiens richtig ist; auf keinen Fall kann Russland daraus ein Interventionsrecht ableiten. Das Argument, Russland müsse sich gegen eine Einkreisung durch die Nato (sprich die USA) wehren, ist Humbug. Es unterstellt, dass die Osterweiterung der Allianz eine Bedrohung russischer Sicherheitsinteressen sei. Die tatsächliche Bedeutung einer Nato-Mitgliedschaft Georgiens und der Ukraine ist eine andere: sie entzieht diese Staaten dem russischen Zugriff. Genau das ist der Grund, weshalb sie sich unter die Fittiche der Allianz begeben wollen, und aus genau diesem Grund wüten russische Politiker und Militärs gegen diese Aussicht.
Aus der Sicht des großrussischen Nationalismus erscheinen die 90er Jahre als eine einzige Kette von „Demütigungen“ durch den siegreichen Westen, als eine finstere Zeit von Machtverlust und Gebietsverlust. Jetzt, mit horrenden Gewinnen aus dem Rohstoffexport und einer starken Position als Energiegroßmacht, während die USA durch das Irak-Debakel angeschlagen sind, wächst die Versuchung, die Geschichte wieder zurückzudrehen. Nicht mehr Integration in den Westen ist das vorrangige Ziel, sondern die Wiederaufrichtung Russlands als petromilitärische Großmacht.
Wie soll die EU mit diesem Russland umgehen, das zwischen dem Wunsch nach Reputation und zynischer Machtpolitik schwankt? Der Versuch, Russland zu isolieren wäre ebenso töricht wie illusorisch. Es muss Ziel bleiben, Moskau in ein Netzwerk gemeinsamer Sicherheit und wirtschaftlicher Zusammenarbeit einzubinden – einschließlich der Aussicht auf Nato-Mitgliedschaft. Dieses Angebot an ein demokratisches, kooperatives Russland muss ernsthaft und glaubwürdig sein. Gleichzeitig darf Europa dem Konflikt nicht ausweichen, wenn seine Werte und Interessen durch die russische Politik bedroht werden.
Die Leitlinie europäischer Russlandpolitik muss lauten: So viel Kooperation wie möglich, so viel Konfliktbereitschaft wie nötig. Nicht jeder Konflikt ist zu jedem Zeitpunkt sinnvoll und notwendig. So ist es keinesfalls zwingend, jetzt beim Aufbau eines Raketenabwehrsystems in Mitteleuropa mit dem Kopf durch die Wand zu gehen. Anders liegen die Dinge beim russischen Vorgehen gegenüber Georgien. Diesem Konflikt kann die EU nicht aus dem Weg gehen. So lange sich Russland gegenüber Georgien wie eine Besatzungsmacht aufführt und einer international moderierten Konfliktlösung verweigert, kann es keine Rückkehr zu „business as usual“ geben. Der bevorstehende Krisengipfel der EU zum Kaukasus muss ein klares Signal in dieser Richtung setzen.
Der Autor ist Vorstand der den Grünen nahestehenden Heinrich- Böll-Stiftung. Eine ausführlichere Version des Textes finden Sie im Internet unter www.tagesspiegel.de.
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