
© AFP/HELLE ARENSBAK
Was hört diese Jugend eigentlich?: Das Roskilde-Festival 2024 gibt Antworten
Trotz Regens und Zukunftssorgen: Wieder einmal war das in diesem Jahr zum 52. Mal stattfindende Pop-Festival im dänischen Roskilde eine Feier der Jugend, Identität und Toleranz.
Stand:
Es ist mittlerweile ein Running Gag, dass die internationalen Schwergewichte, die beim Roskilde Festival auf der Bühne stehen, nicht so ganz genau wissen, wo sie sich befinden.
Doja Cat fragt vorsichtshalber nach: „I know this is not Kopenhagen! How do you say it?“, sie weiß, dass das hier nicht Kopenhagen ist, womit sie schon mal einen Schritt weiter ist, als etwa Savage 21, der einen Tag nach ihr spielen wird. Das Publikum erklärt ihr geduldig Namen und Aussprache: „Roskilde!“, großes Jubeln.
Auf der Bühne liefert sie alles, was man sich von einer Musikerin von ihrem Format wünschen kann: Ihr Ego ist riesig, genau wie ihr absurd ausladender Hut aus synthetischem Pelz. Sie räkelt sich, tanzt, twerkt, Gesang und Raps sind treibend und halten einen bei der Stange, selbst wenn man kein Fan ist. Ihren Hit „Paint the town red“ können alle mitsingen.
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„Die ist sooooo cool!“, schreit eine junge Frau im Publikum, ihre Hosenbeine sind schlammbedeckt, die Füße provisorisch in Plastiktüten verpackt, zum Tanzen muss hier niemand trocken sein!
Wäre sonst auch schwierig: Das Roskilde 2024 ist ein Matschfest und beweist, wie skandinavische Sommer halt sein können – 16 Grad im Schatten und eine Menge Niederschlag.
Aber da das Roskilde Festival sowas wie das Pendant zum US-amerikanischen Spring Break ist, für Jugendliche, die die Schule beendet, oder ihr Semester an der Uni abgeschlossen haben, wird gefeiert. Komme was wolle!
Gegenwart als Grundhaltung
Dafür wird jedes Jahr für die rund 80.000 Gäste ein Line-Up kuratiert, dass vor allem eines will: Den Zeitgeist spiegeln, gegenwärtig sein. Das Durchschnittsalter des Publikums liegt bei 24 Jahren, und das soll laut Anders Wahrén, Programmdirektor des Festivals, auch so bleiben.
Entsprechend dominieren die R’n’B-, Hip-Hop- und Rap-verwandten Künstlerinnen die Bühnen: Neben Doja Cat liefern Sexyy Red, Ice Spice und Mabel ab, das große Finale kommt von SZA, eine der derzeit meistgestreamten Künstlerinnen. Ihre eingängige Mischung aus Pop und R’n’B und die beeindruckende Bühnenshow ist unterhaltsam.
Neben den bereits etablierten Namen wird beim Roskilde aber immer auch auf Newcomer gesetzt: Kara Jackson, deren poetisches Debüt 2023 für Aufsehen sorgte, Kari Faux, Trueno, Argentiniens Hip-Hop-Export, Cristale oder Noname, auf die sich Genrefans besonders freuten, geben sich sozusagen das Mikro in die Hand.

© AFP/THOMAS TRAASDAHL
Ansonsten stehen die Zeichen eindeutig auf Eskapismus: Easy-Listening und Funk-Pop in seiner luxuriösesten Form gibt es von Khruangbin und Jungle, die jeweils die Publikumsräume der großen Bühnen füllen.
Unbedingt tanzbar waren Jessie Ware und Róisín Murphy, die zeigten, wie Disko im Jahr 2024 klingen soll. Dubstep-Koryphäe Skrillex beschließt den zweiten Tag des Festivals mit gnadenlos überdrehtem Elektrogeballer, Lazershow und knallendem Feuerwerk.
Für die handfestere Abteilung wurde aber auch gesorgt. Die Foo Fighters spielen gut gelaunte 150 Minuten und bekräftigen immer wieder, wie toll das Roskilde-Publikum ist; Jane’s Addiction zeigen, wo der Alternative Rock seine Wurzeln hat; und PJ Harvey verzaubert alle, trotz verspätetem Start wegen Regensturms.
Der Hype ist hier real
Momente, in denen man merkt, dass die Booker des Roskilde-Festivals ein feines Näschen für Popkultur haben, muss man nicht suchen: Brutalismus 3000 haben einen Slot um 2 Uhr nachts in strömendem Regen – und sind vollkommen überlaufen.
Das Berliner Duo mag in Deutschland noch als Geheimtip gelten, wird international aber jetzt schon als großes Ding gehandelt.
Außerdem steht die mehr oder weniger heimliche Mentorin der Gen Z und Hohepriesterin des Hyperpop auf der Bühne. Charli XCX hat diesen Sommer mit ihrem Album „Brat“ endgültig ein internationales Momentum und holt sich ihre Artverwandte Caroline Polachek für einen Song auf die Bühne.
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Der Auftritt war ein paar Fans aber dann doch etwas zu mager. Dass die Musik eindeutig vom Band kommt, ist gesetzt, Tänzer fehlten aber und auch sonst war es eher puristisch. Anders bei Rhiannon Giddens: Sie ist Chronistin der schwarzen amerikanischen Folk- und Americanamusik und eine Virtuosin am Banjo. Genau deshalb war sie dieses Jahr auch prominent auf dem neusten Werk Beyoncés zu hören.
Utopien versus Zukunftsangst
Der Fokus liegt in Roskilde seit jeher auf dem Nachwuchs. Nicht nur dem auf den Bühnen, sondern auch im Publikum. Es geht um die Jugend, ihre Sorgen, ihre Nöte und ihre Hoffnungen.
Das Thema des Festivals ist deshalb „Utopia“. Eine Metaebene der Veranstaltung, die sich mit folgenden Fragen beschäftigt: Wie soll eine lebenswerte Zukunft aussehen? Was muss jetzt angegangen werden, um die Welt zu einem guten Ort zu machen?
Um das zu diskutieren, wurden Räume geschaffen für Diskussions-Gruppen und verschiedene Organisationen; auch Kunstaktionen zum Thema bekamen hier eine Plattform.
Oberflächlich betrachtet mag man sich fragen, ob dieser idealistische Überbau bei den Kids auf dem Festivalgelände überhaupt ankommt. Hier wird nämlich durchaus das getan, was bei jedem anderen Festival auch getan wird: getrunken, getanzt, das kaputte Zelt mit Gaffa repariert.

© imago/Ritzau Scanpix/IMAGO/Helle Arensbak
Und, bei der Performance „Let Them Eat Dirt“, bei der Künstlerin Alberte Skronski erst Kuchen ans Publikum verteilt. Als sie dann strippt und sich schließlich im Gebäck räkelt, wirkt es, als seien die meisten wegen der Sensation einer halbnackten Frau im Kuchen vor Ort – und nicht, um über ihre Haltung zu Lebensmitteln nachzudenken.
Kunst soll hier allerdings in einer freien Form an die Jugendlichen gebracht werden, ohne dass man dabei einen elaborierten Habitus an den Tag legen muss. „Kunst soll anfassbar sein, soll Spaß machen“, sagt Skronski. Das dürfte gelungen sein.
Kunst soll anfassbar sein, soll Spaß machen.
Alberte Skronski, Künstlerin
Und eines der wichtigsten Themen des Festivals, der Kampf gegen Umweltverschmutzung, trägt ebenso Früchte. So sieht man etwa verkaterte 18-Jährige, die sich hinter einem kleinen Truck schleppen, aus den Boxen schallt Techno, und gemeinsam Müll einsammeln.
Vorreiter ist man hier außerdem beim Thema Pfand: Das System, das hier auf dem Roskilde implementiert und stetig weiterentwickelt wurde, ist nun Standard in ganz Dänemark.
Einer der Grundpfeiler des Festivals: Engagement
Engagement ist außerdem einer der Grundpfeiler des Roskilde, wird das Festival doch von 30.000 Freiwilligen gestemmt.
Nach Corona gab es ein paar Engpässe, um genügend Freiwillige zu bekommen. Man hat aber die Kampagnen verbessert, und so waren dieses Jahr alle Volunteer-Tickets ausgebucht. Auch die regulären Festivaltickets waren ausverkauft.
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Ein Erfolg also. Wo doch in Deutschland viel die Rede ist vom Ende der Festivals. Denn permanent steigende Kosten oder unvorhersehbare Wetterverhältnisse sind aufgrund des Klimawandels der Grund, weshalb immer mehr Festivals aufgeben. Das Melt-Festival zum Beispiel findet dieses Jahr zum letzten Mal statt.
„Mir machen diese Entwicklungen auch Sorgen“, gibt Programmdirektor Wahrén zu. „In der Branche wird permanent daran gearbeitet, dass alles so kosteneffizient wie möglich ist. Dabei bleibt jeder Charakter und vor allem jede Nische auf der Strecke.“ Genau das kann negative Folgen auf die Vielfalt kommender Generationen haben.
Man sei stolz, dass das Roskilde-Festival weiterhin unabhängig ist und sich immer wieder für Themen und Künstler entscheiden kann, die nicht populär sind, aber an die man glaubt, die man für wichtig hält.
Genau das ist es, was dieses Festival zu einem solchen Hort der Hoffnung macht; warum man hier gerne hinkommt und gemeinsam an Utopien in der Zukunft glauben möchte. Dass die Musik gut ist und das Bier lecker schmeckt, sind natürlich auch keine schlechten Nebeneffekte.
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