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Tritt nicht mehr für den Bundestag an: Der Linken-Politiker Fabio de Masi. Foto: Britta Pedersen/dpa

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Abgang mit Knalleffekt: Warum der linke Finanzexperte Fabio de Masi dem Bundestag "Ciao" sagt

Er ist einer der Chefaufklärer im Wirecard-Ausschuss. Seine Erklärung, warum er nicht mehr kandidiert, ist bemerkenswert, er liest der Linken die Leviten.

Er hat lange mit sich gerungen, aber mit 40 Jahren ist Fabio de Masi im besten Alter, um noch einmal etwas anderes zu machen. Und der einzige profilierte Finanzpolitiker der Linken im Bundestag hadert mit seiner Partei, erreicht sie noch die Menschen?

An ihn wurde auch der Wunsch herangetragen, für den Parteivorsitz zu kandidieren. „Dafür braucht es aber gemeinsamen Spirit. Sonst ist ein Erfolg nicht möglich. Ich möchte aber in meiner jetzigen Lebensphase meine Energie nicht in eingeübten Ritualen und Machtkämpfen verausgaben“, sagt er in seiner bemerkenswerten Erklärung, warum er nicht nochmal für den Bundestag kandidieren wird.

Stattdessen sollen nun am Samstag Susanne Hennig-Wellsow und Janine Wissler zu den neuen Vorsitzenden gewählt werden.

Nach dem angekündigten Rückzug des Linken-Außenpolitikers Stefan Liebich aus dem Bundestag ist das ein weiterer Schlag für das Realo-Lager – und für alle, die irgendwie noch auf eine rot-rot-grüne Machtoption hoffen. De Masi ist einer, der sich nicht in der reinen Lehre verharkt, sondern offen für Kompromisse ist, gestalten will.

Ein  Freigeist, dem zu viel Identitätspolitik auf den Zeiger geht, die Linke hat da genauso ein großes Problem wie die SPD, die in ihrem Realolager auch einen Aderlass hat, auch beim Gegner angesehene Politiker wie der Verteidigungsexperten Fritz Felgentreu kandieren ebenfalls nicht mehr für den Bundestag.

„Identität ist wichtig im Leben. Sie darf aber nicht dazu führen, dass nur noch Unterschiede statt Gemeinsamkeiten zwischen Menschen betont werden und sich nur noch „woke“ Akademiker in Innenstädten angesprochen fühlen“, so de Masi. „Eine Politik, die nur noch an das Ego und die individuelle Betroffenheit, aber nicht mehr an die Gemeinschaft appelliert, ist auch Donald Trump nicht fremd.“ Man gewinne nichts, wenn wir weltfremd wirken oder Stress in der Gesellschaft tabuisieren, weil wir Angst haben, auf konkrete Probleme auch konkrete Antworten liefern zu müssen“, sagt er.

Muhamed Ali, Papst Franziskus und die Parlamentsprügelei

Die Weltläufigkeit von de Masi zeigt sich schon bei einem Besuch in seinem Bundestagsbüro von Fabio de Masi. Er hat Bilder von Muhamed Ali, genauso wie eine Büste von Albert Einstein und von Papst Franzskus in seinem Büro. Aber das mit Abstand größte Gemälde ist die Darstellung einer Parlamentsprügelei aus der Ukraine. Der linke Verteidiger des FC Bundestag mag auch Raufereien, verbaler Natur, er hat Finanzminister Olaf Scholz im Wirecard-Skandal und der Warburg-Affäre getriezt, liefert sich mit dessen Finanzstaatssekretär Wolfgang Schmidt manch erhellendes Twitter-Duell, kämpft für eine Einhegung und Besteuerung der großen Digitalkonzerne. Die italienischen Wurzeln zeigen sich schon im hervorragenden Espresso, den er Gästen im Büro zubereitet. Und er hatte keine Scheuklappen, zusammen mit Florian Toncar (FDP) und Danyal Bayaz (Grüne) gemeinsam in mühevoller Dettektivarbeit die Puzzlestücke im Wirecard-Skandal zusammenzutragen, die drei Oppositions-Aufklärer pochten auf die nun erfolgende Neuaufstellung der Finanzaufsicht Bafin.

„Ich habe den politischen Meinungsstreit - gerade mit Konservativen und Liberalen - immer als eine Bereicherung empfunden. Denn Widerspruch schult die eigenen Argumente. Wir müssen lernen, respektvoll miteinander zu streiten - so wie in jedem Dorf, in jeder Familie, in jedem Sportverein und in jedem Freundeskreis“, so de Masi.

Hadern mit dem Kurs seiner Partei

Eigentlich sei es Zeit für eine linke Politik, die die wahren Nöte im Blick habe. Die Corona-Krise zeige ein Staats- und Marktversagen im Gesundheitssystem. „Die wachsende Ungleichheit, die Macht der neuen Daten- und Techkonzerne, die mächtiger sind als die größten Banken und Öl Tycoons, die extremen Anpassungskosten und wiederkehrenden Schocks durch den Klimawandel, die Aufrüstung, der Krieg und der Terror in den internationalen Beziehungen“, all das rufe nach Antworten. Stattdessen gehe es zu viel um Posten und Positionen.

Er weiß wo er her kommt: Sohn einer alleinerziehenden Volkshochschullehrerin. Der italienische Großvater kämpfte als Partisane im Piemont für die Befreiung Italiens und habe sich dabei in dunklen Erdlöchern versteckt. „Meine Großmutter trällerte ein Lied, wenn die Luft rein war und schmuggelte geheime Botschaften in einer Salami auf dem Motorrad. Mein Großvater hätte meinem deutschen Großvater im Krieg gegenüberstehen können. Er wäre unfassbar stolz, dass ich einmal dem deutschen Parlament angehörte. Alles, was ich im Leben erreicht habe, verdanke ich auch diesen Menschen“, schreibt er. De Masi ist ein streitbarer Geist, schießt mit bestimmten Vorwürfen und Unterstellungen auch mal übers Ziel hinaus - er lebt halt seine Oppositionsrolle.

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Susanne Hennig-Wellsow und Janine Wissler sollen die neuen Linken-Chefs werden - Wissler steht für einen stamm linken Kurs und ist gegen jeden Bundeswehr-Einsatz im Ausland, während Hennig-Wellsow die Linken fit für Regierungsbeteiligungen machen will. Foto: dpa
Susanne Hennig-Wellsow und Janine Wissler sollen die neuen Linken-Chefs werden - Wissler steht für einen stamm linken Kurs und ist gegen jeden Bundeswehr-Einsatz im Ausland, während Hennig-Wellsow die Linken fit für Regierungsbeteiligungen machen will. Foto: dpa

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Bei der Linken vermisst er oft ein Interesse für finanzpolitische und ökonomische Debatten. Und er fühlte sich als Solospieler. „Ich habe in den letzten sieben Jahren immer an der maximalen Belastungsgrenze gearbeitet. Insbesondere mein Sohn musste daher zu häufig zurückstehen.“ Er war seit 2014 im Europäischen Parlament und ab 2017 im Deutschen Bundestag. „Viele Menschen kämpfen in der Corona-Krise um ihre Existenz. Ich habe immer versucht, für jene Menschen Politik zu machen, die versuchen, ihre kleinen Träume zu verwirklichen und dabei anständig zu bleiben. Ich bin insbesondere den Menschen in Hamburg und in meinem Viertel in St. Pauli dankbar“, betont er in seiner Erklärung.

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Andere Abgeordnete im Kampf gegen Finanzkriminalität beraten

Auf Tagesspiegel-Nachfrage, was er nun plane, sagt de Masi: „Ein bisschen Zeit mit meinem Sohn, ans Meer, wenn das irgendwann wieder geht.“ Er überlegt längere Zeit in Südafrika zu verbringen. Und er habe so ein bisschen die „spinnerte Idee“, vielleicht Abgeordnete in anderen Ländern zu beraten, auszubilden bei der Bearbeitung von Finanzskandalen.

Auf jeden Fall will er wieder stärker international arbeiten, seine Erfahrung gerade auch aus den Verästelungen des Wirecard-Skandals nutzen, um andere Parlamentarier für solche Machenschaften zu sensibilisieren. Oft genug hinken Politik und Behörden solchen kriminellen Machenschaften hinterher, da bestimmte Konstrukte kaum zu durchschauen sind.

Und der neuen Parteiführung schreibt er folgendes ins Stammbuch: „Auch die beste Finanzpolitik bringt uns nicht weiter, wenn ich zwar Respekt für meine Arbeit bekomme, aber die Partei aufgrund strategischer Fehler und Erscheinungsbild schwächelt - obwohl viele unsere Forderungen in der Bevölkerung äußert populär sind“.

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