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Roger Waters, Sänger, Komponist und Mitbegründer der Rockgruppe Pink Floyd.

© dpa/Chris Pizzello

Absage von Roger-Waters-Konzert: Der Staat darf nicht zum Meinungsmacher werden

Antisemitismus ist ein harter Vorwurf – ihn gegen Künstler zu erheben, berechtigt Städte und Gemeinden aber nicht ohne Weiteres, Auftritte zu verhindern

Eine Kolumne von Jost Müller-Neuhof

Der Magistrat der Stadt Frankfurt am Main sendet widersprüchliche Signale. Im Internet-Stadtportal wird für Ende Mai ein Konzert des britischen Rockmusikers Roger Waters angekündigt. Zugleich wird Waters dort als einer der „reichweitenstärksten Antisemiten“ gescholten, weshalb das Konzert abzusagen sei. Die städtische Messegesellschaft sei angewiesen worden, den Hallen-Vertrag mit ihm „unverzüglich aus wichtigem Grund außerordentlich zu kündigen“. Andere Städte, etwa München, erwägen das auch.

Warum bewirbt die Stadt Frankfurt das Konzert eines Antisemiten, das sie meint absagen zu müssen? Vermutlich weil sie selbst verunsichert ist. Denn was ist mit den weniger reichweitenstarken Antisemiten, die in Frankfurt öffentlich zur Bassgitarre greifen? Den Lesungen, die sie veranstalten? Den Galerien, in denen sie ihre Bilder ausstellen? Den Bühnen, auf denen ihre Stücke spielen? Nein, es sei nur Waters, heißt es; ein Einzelfall, den man „nicht als Präzedenzfall sehen“ möge, wie auf der Stadt-Webseite steht.

Der Staat bestimmt, was über den Mann zu denken ist. Meinungsbildung von oben nach unten. Das Gegenteil von dem, was in den Demokratie-Lehrbüchern steht.

Jost Müller-Neuhof

Der Künstler irritiert seit Jahrzehnten mit politischen Statements. In letzter Zeit kam ein tiefes Verständnis für Russlands Position im Ukraine-Krieg hinzu. Das alles mag man ablehnen und ganz besonders seine Ausfälle gegen Israel. Man wird es aber schwerlich Hetze nennen können. Waters sendet, wie die Stadt Frankfurt, Widersprüchliches. Manchmal redet er wie ein Antisemit und zugleich viel von Frieden und Menschenrechten.

Verstörend. Aber wenn Waters’ Publikum das aushalten kann – warum nicht die Stadtregierung? Die Kündigung wirkt wie eine als behördliche Maßnahme getarnte politische Kundgabe: Der Staat bestimmt, was über den Mann zu denken ist. Meinungsbildung von oben nach unten. Das Gegenteil von dem, was in Demokratie-Lehrbüchern steht.

Waters will klagen. Ihm zur Seite steht ein junges Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, wonach Grundrechtseingriffe dieser Art erst zulässig sein sollen, wenn „Meinungsäußerungen die rein geistige Sphäre des Für-richtig-Haltens verlassen“ und in Gefahr und Aggression umschlagen. Anhaltspunkte dafür sind bei Waters’ Konzerten selten zu finden. Der Exekutive scheint dieser rechtliche Rahmen unwichtig. Sie möchte den Applaus, den sie dem Künstler verweigert.

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