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Die letzte Regierungserklärung. Bundeskanzlerin Angela Merkel am Mittwoch zur Lage in Afghanistan.

© imago images/Metodi Popow

Afghanistan-Debatte im Bundestag: Jetzt zeigen sich die Schwächen der Kanzlerschaft Merkel

Die Debatte zum Afghanistan-Desaster offenbart, wie groß die Gefahr ist, dass sich eine Regierung in Schimpf und Schande verabschiedet. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Wie wünschte sich Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble zu Beginn der Debatte? Dass sich Deutschland der Niederlage in Afghanistan gewachsen zeigen möge. Nun, daran gemessen hat die scheidende Bundesregierung unter Führung der Bundeskanzlerin einen ersten Schritt getan.

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Angela Merkels – vermutlich nun wirklich – letzte Regierungserklärung hat gezeigt, dass sie sich allen Fragen stellen will, die aus dem gescheiterten 20-jährigen Einsatz für Frieden, Freiheit und Menschenrechte erwachsen, das nahezu stündlich.

Ob in einer vom Parlament eingesetzten Enquetekommission, wie sie SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich vorschlug, oder in einem Untersuchungsausschuss? Das sollte nicht die Frage sein. Am besten in beiden, weil es um eine der ganz großen Fragen der Nation geht: Das „Wie weiter“ in Zukunft wird die nächste Regierung nach innen wie nach außen noch sehr fordern.

Zugleich hat diese Debatte im Forum der Öffentlichkeit, im Bundestag, geradezu fürs Protokoll der Republik und für die Geschichtsbücher aber auch gezeigt, wie groß immer noch die Gefahr ist, dass eine Regierung sich zum Schluss doch noch in Schimpf und Schande verabschiedet. Immerhin ist gegenwärtig nichts wirklich gut in Afghanistan, um einen Satz von Bischöfin Margot Käßmann vor einigen Jahren abzuwandeln.

Menschenrechte werden mit Füßen getreten. Millionen Afghanen sind im Land auf der Flucht vor den Taliban. Andersdenkende werden gejagt. Frauen werden wieder unter die Burka gezwungen. Mühselig an Fortschritt Geschaffenes wird von einem auf den anderen Tag von den Islamisten gleichsam überrollt. Und mehr noch: 90 Prozent der Bevölkerung sind arm, die Grundnahrungsmittel werden immer teurer. Am Flughafen von Kabul sind die Zustände fast unbeschreiblich. Der Schaden kann immer noch größer werden, die Zahl der Toten immer noch weiter steigen.

Furchtbar ist ein schwaches Wort

Furchtbar, wie Kanzlerin Merkel sagte, ist ein schwaches Wort für dieses Desaster. Schon gar, weil nun der Urgrund für diesen Einsatz, der Kampf gegen den Terror, womöglich umsonst geführt worden ist. Nicht nur, dass jetzt Islamisten hochgerüstet sind wie nie – Terroristen aller Länder wissen, dass sie einen sicheren Ort auf der Welt haben, von dem aus sie planen und an den sie sich zurückziehen können: Afghanistan.

Gutes gewollt zu haben, kann niemand dieser Regierung bestreiten. Doch zeigen sich auf den letzten Metern zugleich auch die Schwächen der Kanzlerschaft Merkel: richtig Erkanntes durchzusetzen, umzusetzen, so zu organisieren, dass es funktioniert. Das zieht sich durch die 16 Jahre und auch durch fast all die anderen großen Themen, ob Flüchtlingskrise oder Energiewende, von Klimaschutz nicht zu schweigen, bis hin zu ihrer letzten großen Herausforderung.

Ja, die Kanzlerin hat recht, hinterher ist gut besser wissen. Politische Entscheidungen sind auch Augenblickentscheidungen. Aber: Dass der Abzug aus Afghanistan stattfinden würde, war lange bekannt, seit einem Jahr.

Wo bleibt die Richtlinienkompetenz?

Sogar das Datum, zu dem er abgeschlossen sein sollte, der 11. September, war nach dem Amtsantritt von Joe Biden in den USA mehr als zu erahnen. Da reicht es nicht, das alles wahrzunehmen und die Ressorts der Regierung darauf hinzuweisen. Hier greift die Richtlinienkompetenz der Bundeskanzlerin, des Bundeskanzlers in der Tat.

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Viele Helfer aus diesen zwei Jahrzehnten müssen noch aus Afghanistan herausgebracht werden; es hätten in der Not der Stunde erheblich weniger auf einen Schlag sein können, wenn früher gehandelt worden wäre.

Vorbildlich, wie die Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hier die Verantwortung nicht abstreitet, sondern annimmt. Daran müssen sich die anderen, Außenminister Heiko Maas und Innenminister Horst Seehofer, messen lassen. Nach dem Einsatz, auch der gefährlichen Evakuierung, ist vor der kritischen Rückschau. Sie wird nötig für eine vorausschauende Politik. Der Niederlage zu entwachsen, das ist die Aufgabe.

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