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Die Sanktionen des Westens sind in Russland immer deutlicher spürbar.

© Archivbild: Picture Alliance/dpa

„Die Stimmung ist sehr schlecht“: Putins Eskalation in der Ukraine beunruhigt Teile der russischen Elite

Russlands Wohlhabende sind zunehmend frustriert. Die politische Situation scheint ausweglos. Mancher macht sich Gedanken über einen Machtwechsel.

Mit seinen breitflächigen Luftangriffen auf die Ukraine und der Ernennung eines für seine Brutalität bekannten Generals als Oberbefehlshaber der russischen Truppen hat Kremlchef Wladimir Putin die Hardliner zufriedengestellt. In den oberen Etagen der Wirtschaft dagegen sorgt sein harter Kurs für Unruhe.

Mehrere Manager und Beamte üben ungewöhnlich deutliche Kritik an Putins militärischer Eskalation. Sie bezweifeln, dass die jüngsten Aktionen auf dem Schlachtfeld die wachsende Unruhe in seinem Land besänftigen wird, wie die „Washington Post“ berichtet. „Ich glaube nicht, dass dies den Druck aufheben wird“, sagte ein einflussreicher Moskauer Geschäftsmann der Reporterin Catherine Belton.

Belton war lange Jahre Moskaukorrespondentin für verschiedene internationale Medien und hat ein viel beachtetes Buch über Russland unter Putin geschrieben. Sie gilt als hervorragend vernetzt in Russland.

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„Die gesamte Wirtschaft leidet unter den Ereignissen. Alle haben ihre Investitionspläne eingefroren“, sagte ein anderer hoher Geschäftsmann. Und wieder ein anderer: „Alle sind völlig frustriert. Die Stimmung ist sehr schlecht.“

Und weiter: „Es ist klar, dass ein militärischer oder politischer Sieg nicht möglich sein wird. Aber eine Niederlage ist auch nicht möglich. Die Situation entwickelt sich zu dem, was man beim Schach als Zugzwang bezeichnet, wenn jeder Schritt schlimmer ist als der letzte und es dennoch unmöglich ist, nicht zu ziehen.“

Dem Bericht zufolge beginnen Mitglieder der Moskauer Elite in einer Weise über einen möglichen Führungswechsel zu sprechen, wie sie es in den mehr als 20 Jahren von Putins Herrschaft noch nie getan haben. Und das, obwohl niemand sagen könne, wie oder wann dies geschehen könnte.

Wir haben begonnen, in eine revolutionäre Situation einzutreten.

Russischer Staatsbeamter

„Wir haben begonnen, in eine revolutionäre Situation einzutreten“, zitiert die Zeitung einen russischen Beamten. „Alle warten auf etwas anderes als das, was gerade geschieht: eine andere Führung, einen anderen Krieg. Die Falken wollen ein härteres Vorgehen. Die Tauben wollen gar keinen Krieg. Die Zeit für einen Wechsel des politischen Systems ist reif. Aber wie das geschehen wird, weiß ich nicht.“

Kremlchef Putin steht zwischen zwei Lagern, die er zufriedenstellen möchte, erklärte Markus Kaim, Sicherheitspolitik-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik, in dieser Woche gegenüber dem Tagesspiegel. Auf der einen Seite stünden die Hardliner, auf der anderen die Elite, die an Stabilität im Land interessiert ist, weil sie ihren Status und Reichtum gefährdet sieht.

Optimismus ist in Russlands Elite verflogen

„Putin steht unter Druck“, sagte Kaim. Nach den Explosionen an der Krim-Brücke, für die Russland die Ukraine verantwortlich macht, habe sich der Kremlchef wohl dazu gezwungen gesehen, den Hardlinern etwas zu bieten. Die Luftangriffe auf zahlreiche Städte in der Ukraine bezeichnete der Kremlchef als Vergeltung für den Anschlag auf die Brücke wenige Tage zuvor.

Die Sanktionen des Westens sind laut dem russischen Ökonom Sergej Guriev bereits erfolgreich.
Die Sanktionen des Westens sind laut dem russischen Ökonom Sergej Guriev bereits erfolgreich.

© Foto: Imago/Italy Photo Press

Im Sommer hätten große Teile von Russlands Elite noch daran geglaubt, „dass wir alles drehen werden und einen Weg finden“, sagte ein Beamte der „Washington Post“. Doch dieser Optimismus sei völlig verflogen. „Die Menschen sehen, dass es keine Zukunft gibt.“

Wirtschaftsexperten zufolge treffen auch die Sanktionen Russland immer härter. Mit welch massivem Einbruch der Wirtschaft gerechnet wird, zeigte kürzlich ein interner Bericht russischer Ökonomen für den Kreml, über den das Nachrichtenportal „Bloomberg“ Anfang September berichtete.

Wir werden im Dezember eine völlig neue Realität sehen.

Ökonom Sergej Guriev

Darin prognostizieren zwei von drei Szenarien ein deutliches Schrumpfen der Wirtschaft. Vor allem bei den Energie-Exporten, die das wirtschaftliche Rückgrat Russlands bilden, werden die Auswirkungen der Sanktionen laut dem Bericht massiv spürbar sein.

Ab Dezember soll nun auch die von den G7 beschlossene Preisobergrenze für russisches Öl greifen. Der russische Präsident „wird knapp bei Kasse sein. Er braucht Geld, um dem Iran und Nordkorea Waffen zu bezahlen. Aber wir werden im Dezember eine völlig neue Realität sehen“, sagte der russische Ökonom Sergej Guriev der „Washington Post“.

„Er wird den Krieg gegen die Ukraine immer noch fortsetzen wollen, aber er wird dafür weniger Geld, weniger Panzer und weniger Flugzeuge haben“, sagte der Professor für Wirtschaftswissenschaften in Paris kürzlich der Schweizer Nachrichtenplattform „Swissinfo“.

„Die Sanktionen waren bereits erfolgreich“, sagte Guriev. Doch es sei von „entscheidender Bedeutung“, dass der Westen in der Sanktionsfrage weiter geschlossen auftritt. „Denn jedes noch so kleine Schlupfloch wird von Putin genutzt werden.“

Russische Soldaten verstecken sich im Wald

Dass der Krieg aus russischer Perspektive weiterhin nicht nach Plan läuft, legen unter anderem abgehörte Telefonate nahe, die Soldaten Russlands geführt haben.

Diese Telefonate zeichnen ein desaströses Bild der militärischen Situation, in der sich die Männer befinden. „Wir verstecken uns im Wald wie Obdachlose“, sagte demnach ein russischer Soldat im Gespräch mit einem Mann, der sich offenbar noch in Russland befindet.

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