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© dpa

Afghanistan: Analphabeten bei der Polizei

Die USA fordern mehr Initiative, damit Afghanistan selbst für Sicherheit sorgen kann – auch aus Deutschland.

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Ohne Polizei keine Sicherheit, ohne Sicherheit kein Abzug. Mit anderen Worten: Die internationalen Truppen können Afghanistan erst verlassen, wenn das Land in der Lage ist, selbst für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Noch kann davon keine Rede sein. Um aber, wie von US-Präsident Obama gewünscht, 2011 mit dem Rückzug beginnen zu können, müsse 2010 „das Jahr größtmöglicher Anstregungen“ sein, sagte der US-Botschafter bei der Nato, Ivo Daalder, Freitag auf einer SPD-Konferenz in Berlin.

Ein Appell, der sich vor allem an die Bundesregierung richtet. Seit 2002 ist Deutschland Chefausbilder für Polizisten in Afghanistan. Die bisherige Bilanz ist mager: zu viel Bürokratie, zu wenig Investitionen, falsche Lehrstoffe. Oder, wie Grünen-Politiker Tom Koenigs, ehemaliger Leiter der UN-Mission in Afghanistan, sagt: „Wir haben quantitativ und qualitativ versagt.“ Nach Angaben des Bundesinnenministeriums waren bisher rund 800 deutsche Polizisten aus Bund und Ländern in Afghanistan, 663 beim bilateralen Polizeiprojekt und 138 bei der europäischen Mission Eupol. Dabei hätten sie 30 000 Polizisten aus- und fortgebildet. Bis 2011 sollen 134 000 Afghanen Dienst tun, derzeit sind es nach Kabuler Regierungsangaben rund 80 000. Zu wenig, befand US-Diplomat Daalder am Freitag in Berlin. Zumal drei Viertel von ihnen zwar womöglich mal in einem Klassenzimmer gesessen hätten, aber noch nicht wirklich ausgebildet seien und über keinerlei praktische Erfahrung verfügten. Was den Ausbildern – auch die deutschen Feldjäger sind mit 45 Kräften engagiert – das Leben schwer macht: Die meisten Rekruten können nicht schreiben und lesen, ohne Dolmetscher geht gar nichts. Hinzu kommt: Der Polizeijob ist gefährlich, die Todesrate unter den Afghanen hoch. Und wegen der schlechten Bezahlung laufen viele nach der Ausbildung zur Gegenseite über.

Wie schlecht es acht Jahre nach dem Beginn des Wiederaufbaus noch immer um die Polizeiarbeit bestellt ist, erleben westliche Helfer tagtäglich bei ihrer Arbeit. Viele Staftaten würden gar nicht erst verfolgt, berichtet Joachim Bönisch von der Deutschen Welthungerhilfe, Drogenhändler kämen nach kürzester Zeit wieder auf freien Fuß, weil sie sich bei der Polizei freikauften. Und auch die Staatsanwaltschaft funktioniere praktisch nicht. „Die Menschen haben das Vertrauen in die staatlichen Sicherheitsbehörden längst verloren und wenden sich lieber an die traditionellen Autoritäten”, sagt Bönisch. Doch deren Urteile haben mit demokratischen Rechtsgrundsätzen, wie sie in der neuen afghanischen Verfassung festgeschrieben sind, meist nur wenig zu tun. Besonders Frauen haben daher in Afghanistan nach wie vor kaum eine Chance, sich gegen Unrecht zu wehren.

Menschenrechtsorganisationen fordern seit langem mehr Investitionen in den Polizeiaufbau. Vor der Londoner Konferenz haben Amnesty International, Human Rights Watch und medica mondiale der Bundesregierung einen Forderungskatalog zur Neuausrichtung der Polizeiarbeit unterbreitet. Ein wichtiger Punkt ist dabei die verstärkte Ausbildung weiblicher Polizisten. Grundsätzlich solle die Polizeiausbildung „nicht von Übungen zur Aufstandsbekämpfung oder paramilitärischem Training dominiert werden; der Fokus sollte vielmehr auf einer grundlegenden Ausbildung hinsichtlich der gesetzlichen polizeilichen Pflichten liegen”, heißt es in dem Papier. Auf die Lehrpläne gehörten vor allem Menschenrechte und rechtsstaatliche Prinzipien, kurz: der Schutz der Bürger.

Für US-Diplomat Daalder meint Ausbildung dreierlei: trainieren, beraten, begleiten. Letzteres könnte durchaus zu Unstimmigkeiten im transatlantischen Verständnis der Aufgabe führen. „Begleiten“ heiße nämlich, sagt Daalder, „gemeinsam mit dem Ausgebildeten leben, gemeinsam arbeiten, und wenn nötig auch gemeinsam kämpfen.“ Der Begleitung eines im Norden ausgebildeten Polizisten durch einen – seinen – deutschen Ausbilder aber steht, sollte er in einen anderen Landesteil versetzt werden, die Beschränkung des deutschen Aktionsradius auf den deutschen Verantwortungsbereich entgegen. Daalders Fazit: „Uns bleibt noch viel zu tun.“

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