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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) beim Global Solutions Summit

© AFP/John McDougall

Auftritt beim Global Solutions Summit: Angela Merkels Mahnung an die Nachfolger

Bundeskanzlerin Angela Merkel verteidigt stoisch den Multilateralismus. Ihre Rede in Berlin wirkt wie ein Vermächtnis.

Von Robert Birnbaum

George W. Bush ist bekanntlich schon länger nicht mehr im Amt. Aber Angela Merkel steht der 43. Präsident der USA als leuchtendes Beispiel sehr präsent vor Augen. Beim Global Solutions Summit in Berlin kommt der Kanzlerin der Texaner öfter in den Sinn – als ein Staatsmann, der den Sinn multilateralen Handelns begriffen hat. Mithin als einer, der sich wohltuend unterscheidet von einem gewissen Nachfolger.

Merkel ist am Dienstag als Hauptrednerin zu dem zweitägigen Kongress im ehemaligen DDR-Staatsratsgebäude gekommen, und wahrscheinlich sogar gern. Nur von Menschen umgeben zu sein, die Zusammenarbeit in der Welt für etwas Gutes halten, passiert der Bundeskanzlerin in letzter Zeit ja eher selten. Die „My Country first“-Prediger sind auf dem Vormarsch, heiße das Land Amerika, Großbritannien oder Ungarn. Merkel trägt den „Backlash“, wie sie selbst sagt, mit stoischer Fassung, ist allerdings doch überrascht, wie schnell er kam.

"Ich weiß noch, wie ich mit Präsident Bush telefoniert habe"

Denn so weit liegt Bushs Regierungszeit auch wieder nicht zurück. Die Weltfinanzkrise 2007 war das Urerlebnis des modernen Multilateralismus. Damals werteten die wichtigsten Industrie- und Schwellenländer ihre G-20- Gruppe vom Fachtreffen der Finanzminister zur Gipfelrunde der Staats- und Regierungschefs auf. Der dominoartige Bankencrash zwang zur Notgemeinschaft. China etwa habe damals eine wichtige Rolle gespielt mit Investitionsprogrammen zur Stabilisierung der Weltwirtschaft, erinnert Merkel ihr Publikum; und eben der Mann in Washington: „Ich weiß noch, wie ich mit Präsident Bush telefoniert habe.“

Den Vormaligen lobend zu erwähnen darf als elegante Methode gelten, dem Amtierenden dezent die Meinung zu sagen. Dessen Namen zu vermeiden ist eigentlich unmöglich. Die Global-Solutions-Initiative und ihr zweitägiger Kongress sind eine einzige Demonstration gegen Donald Trump. Doch Merkel schafft es, den Namen selbst dann nicht auszusprechen, als Bloomberg-Chef John Micklethwait sie auf dem Podium direkt auf Trump anspricht – genauer auf die Forderung, dass die Deutschen das Zwei-Prozent-Ziel der Nato einhalten müssten.

Trumps Statthalter Richard Grenell hat da ja gerade noch eins draufgelegt. Dass sich die Deutschen nicht nur nicht auf die zwei Prozent zu–, sondern weiter davon weg bewegten, das gehe gar nicht, ließ der US-Botschafter wissen. Den Undiplomaten erwähnt Merkel natürlich noch weniger als seinen Chef. Doch in der Sache greift sie die Gelegenheit gerne auf, „einiges zurechtzurücken“.

Tatsächlich sinkt in der Ausgabenplanung für die nächsten fünf Jahre der deutsche Anteil der Verteidigungsausgaben am Bruttosozialprodukt von 1,37 Prozent im Haushalt 2020 auf Werte um 1,25 Prozent ab. Aber diese mittelfristige Finanzplanung, betont Merkel, bewege sich bewusst am unteren Rand der Wachstumsprognosen: „Die sind immer nach oben korrigiert worden.“ Deutschland werde seine Zusage einhalten, bis 2024 auf 1,5 Prozent zu kommen.

Eine Weltmacht? Nicht ihre Ambition

„Das ist dem amerikanischen Präsidenten nicht genug“, räumt sie ein, „das kann ich verstehen“. Andererseits sei es falsch, „nur auf Militärisches zu setzen“ und Flüchtlingshilfe vor Ort oder Entwicklungszusammenarbeit zu beschneiden. Zumal für die Amerikaner ihr Militär eine ganz andere Bedeutung habe als für Deutschland: „Wir haben nicht die Ambition, sozusagen eine Weltmacht zu sein.“

Merkels Deutschland und Europa, so wie sie es skizziert, hat aber auch nicht die Absicht, sich von den Großen herumschubsen zu lassen. Das zeigt der Fall Huawei. Trumps Abgesandter Grenell hatte sich unlängst bis hin zur Drohung verstiegen, die Zusammenarbeit der Sicherheits- und Geheimdienste einzuschränken, wenn die chinesische Firma beim Ausbau des 5G-Funknetzes mit zum Zuge kommt. Die Amerikaner verbreiten die Sorge, dass Chinas Staatshacker sich mit Hilfe der chinesischen Technik Zugang zu dem Netz verschaffen könnten, das nicht nur Telefonate, sondern die Steuerung von Industrien oder fürs autonome Fahren übertragen soll.

Doch die Kanzlerin zeigt sich unbeeindruckt. In Berlin halten sie die amerikanischen Bedenken für eine bewusste Übertreibung mit dem Ziel, die Europäer zu Kombattanten in Trumps Handelskrieg mit Peking zu machen. Die Bundesregierung sei nicht blauäugig, versichert Merkel, schließlich gehe es um sehr sensible Sicherheitsfragen. Aber „wir haben nicht den Ansatz, ein Unternehmen einfach auszuschließen.“ Stattdessen werde man an alle Anbieter strenge Anforderungen stellen und sehen, ob sie die erfüllten.

Ein Berg, wo früher eine Senke war

Dahinter steckt ein Prinzip, das Merkel schon immer verfolgt. Jetzt, wo sich ihre Zeit als Kanzlerin dem Ende zuneigt, betont sie es immer stärker. Diesmal nimmt sie die Geologie zu Hilfe als Bild für die Kräfteverschiebungen auf der Weltkarte. „Da kommt plötzlich ein hoher Berg, wo früher eine Senke war“, beschreibt Merkel. Man könne jetzt natürlich der vertrauten alten Landschaft hinterhertrauern. Aber das bringe so wenig wie der Versuch, sich gegen die Verschiebung von Erdplatten zu stemmen: „Wir müssen sie akzeptieren und dürfen sich nicht bekämpfen, als wären wir in einer Schlacht.“ Koexistenz bei möglichst breiter gemeinsamer Akzeptanz von Regeln statt einem Alles oder Nichts im Systemwettbewerb – sie würde dies Prinzip wohl gerne als Vermächtnis hinterlassen.

Sicher, das Prinzip macht Mühe. Es dauert. Es bleibt auch unbefriedigend, wenn Dinge wie Klimaschutz oder Freihandel eigentlich weltweit geregelt werden müssten, aber immer nur lokale Lösungen durchsetzbar scheinen.

Die großen Fragen des Multilateralismus, prophezeit Merkel ihren Nachfolgern, seien gar nicht mehr die traditionellen Steuer-, Zoll- und Handelsprobleme, sondern „nichttarifäre Handelshemmnisse“. Unterschiedliche Umwelt- und Sozialstandards, Gesundheitsbestimmungen und Arbeitsrecht bestimmten heute schon weit mehr über Fairness und Chancen im Welthandel als Zollfragen.

Merkel nimmt als Beispiel dafür den Klimaschutz. „Natürlich ist die CO2-Bepreisung das beste Instrument“, sagt sie. Aber wenn ein Land alleine den Ausstoß des Treibhausgases teurer mache, dann führe das bloß dazu, dass seine einschlägige Industrie sich nach anderen Standorten umsehe. „Die große Frage ist: Wie groß muss das System sein, damit es nicht nur zur Verlagerung kommt?“ Reicht also, zum Beispiel, Europa?

Womit das Stichwort für die letzte Frage zum Tage gefallen ist: Wie weiter beim Brexit? Bis zur letzten Stunde werde sie für einen geregelten Austritt der Briten kämpfen, sagt Merkel. Über das Wie kein Wort – zu viel sei im Fluss. Nur einfacher ist es nicht geworden, seit klar ist, dass das Unterhaus in London nicht ein drittes Mal über Theresa Mays Deal mit der EU abstimmen darf. Die Kanzlerin quittiert die Neuigkeit mit leise verzweifelter Ironie: „Ich gebe zu, dass ich die Geschäftsordnung des britischen Parlaments aus dem 17. Jahrhundert nicht aktiv präsent hatte.“

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