
© dpa/Marion van der Kraats
Angriff auf mutmaßliche Neonazis in Ungarn: Untergetauchte Linksradikale stellen sich der deutschen Polizei
Vor zwei Jahren soll eine Gruppe von jungen Menschen Rechtsradikale in Budapest angegriffen haben. Nun haben sich sieben Verdächtige gestellt – trotz drohender Auslieferung nach Ungarn.
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Sieben untergetauchte Personen, die von Ermittelnden dem linksradikalen Spektrum zugeordnet werden, haben sich am Montag den deutschen Behörden gestellt. Sie werden verdächtigt, an Angriffen auf Neonazis im Februar 2023 in Ungarns Hauptstadt Budapest beteiligt gewesen zu sein.
Eltern der Beschuldigten forderten in einer Pressekonferenz in Berlin die Behörden auf, keine weiteren Auslieferungen nach Ungarn anzuordnen, sowie von einer Untersuchungshaft abzusehen und Maja T. nach Deutschland zurückzuführen. Die 24- bis 27-Jährigen haben sich „freiwillig, trotz drohender Auslieferung“ in Köln, Kiel, Hamm und Bremen gestellt, teilten ihre Anwältinnen und Anwälte mit. „Unsere Kinder setzen heute ein starkes Zeichen, welches ihren Willen zur Deeskalation deutlich ausdrückt“, sagte eine Mutter einer der Beschuldigten.
Bundesanwaltschaft lehnt Gespräche ab
Ihrer Verteidigung zufolge hätten sich die Beschuldigten bereits vor einem halben Jahr bereiterklärt, sich einem Strafprozess in Deutschland zu stellen, wenn die Behörden von einer Auslieferung nach Ungarn absehen würden. Die Bundesanwaltschaft lehnte entsprechende Gespräche mit den Anwältinnen und Anwälten ab.
Hermann W., Vater einer Beschuldigten, hofft, dass sie „so Öffentlichkeit herstellen und dadurch Druck auf die Behörden aufbauen, nicht an Ungarn auszuliefern.“ Dass sich die Beschuldigten nun gestellt haben, habe keine besonderen Umstände, teilte Rechtsanwältin Giulia Borsalino mit. „Klar ist: Ein dauerhaftes Leben im Untergrund ist offenbar nicht durchzuhalten“, sagte W., „und bevor einzelne sich stellen, war es besser, diesen Schritt gemeinsam zu gehen.“
Ihre Anwältinnen und Anwälte forderten unter Verweis auf das „rechtsautoritäre ungarische Regime“ und „menschenunwürdige Haftbedingungen“, die jungen Antifaschisten nicht auszuliefern und das Strafverfahren in Deutschland zu führen.
Zu den Übergriffen soll es am Rande von rechtsradikalen Aufmärschen zum sogenannten „Tag der Ehre“ vom 9. bis 12. Februar 2023 in Budapest gekommen sein. Teilnehmende laufen unter anderem in SS- und Wehrmachtsuniformen mit und gedenken dem gescheiterten Ausbruchsversuch 1945 von NS-Soldaten, die aus der von der Roten Armee eingekesselten Stadt fliehen wollten.
In Ungarn drohen hohe Haftstrafen
Die deutsche Bundesanwaltschaft sowie die ungarischen Behörden ermitteln unter anderem wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und gefährlicher Körperverletzung. Ungarn hat gegen mehrere Personen europäische Haftbefehle erlassen.
Zu den Beschuldigten gehört unter anderem auch Maja T., die im Dezember 2023 verhaftet wurde. Im Juni vergangenen Jahres genehmigte das Kammergericht Berlin ihre Auslieferung an die ungarischen Behörden. Eine Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichts, das die Auslieferung wegen rechtsstaatlicher Bedenken untersagte, kam zu spät. Die hohen Richterinnen und Richter kritisierten das Vorgehen der Berliner Justiz, eine finale Entscheidung zur Abschiebung von Maja T. steht aber noch aus.
Vieles erscheint willkürlich, so auch die Fristen der ungarischen Justiz.
Sven Richwin, Verteidiger von Maja T.
Sven Richwin, Verteidiger von Maja T., berichtete, dass die Beschuldigte nach wie vor in Isolationshaft sei und lange rund um die Uhr mit Videokameras überwacht worden sei. Auch werde der Zugang zu den Akten eingeschränkt, die Anklage habe die Beschuldigte erst kurz vor Weihnachten bekommen. „Vieles erscheint willkürlich, so auch die Fristen der ungarischen Justiz“, sagte Richwin.
Die deutschen Behörden sollten sich ein Beispiel an den italienischen wie auch französischen Behörden ein Beispiel nehmen, sagte Borsalino. „In Italien wurde sowohl von der zuständigen Staatsanwaltschaft als auch vom Gericht die Auslieferung an Ungarn abgelehnt.“ Auch in Frankreich sei man skeptisch gegenüber einer Auslieferung und fordere von Ungarn eine konkrete Zusage für ein rechtsstaatliches Verfahren und das Einhalten von Menschenrechten.
Die Verteidigerinnen und Verteidiger sehen in einer Auslieferung „einen Verstoß gegen grund- und menschenrechtliche Vorgaben“. Ihren Mandanten drohe in Ungarn eine Verurteilung zu einer „überlangen Haftstrafe“ von bis zu 24 Jahren, das dortige Verfahren genüge rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht, die Haftbedingungen seien menschenunwürdig.
Über Instagram veröffentlichte eine Solidaritätsgruppierung am Nachmittag laut Account eine Erklärung der Beschuldigten selbst, in der sie dem Generalbundesanwalt vorwerfen, ihren Fall als „Abschreckung gegen antifaschistische Praxis“ zu nutzen.
Die Beschuldigten wurden im Laufe des Tages nach Karlsruhe gebracht und sollen noch am Abend einem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs vorgeführt werden.
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