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Heron TP Kampfdrohne.

© picture alliance / dpa

Anschaffung von Kampfdrohnen blockiert: Der Drohnenstreit offenbart den fehlenden Führungswillen der SPD

Die Haltung der SPD im Drohnenstreit ist unernst. Ein Beleg für die Fähigkeit zur politischen Führung ist sie nicht. Ein Gastbeitrag.

Sigmar Gabriel ist ehemaliger SPD-Vorsitzender und mehrfacher Bundesminister, Vorsitzender der Atlantik-Brücke und Autor der Holtzbrinck-Gruppe, zu der auch der Tagesspiegel gehört.

Seit fast 20 Jahren wird in Deutschland über die Ausrüstung der Bundeswehr mit unbemannten Flugobjekten – Drohnen – diskutiert, ob nun bewaffnet oder unbewaffnet. Ein erstes Ergebnis dieser Debatte war der Erlass des damaligen Generalinspekteurs der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan, zu den „konzeptionellen Grundvorstellungen zum Einsatz unbemannter Luftfahrzeuge“.

Schneiderhan, hoch geschätzt von seinen sozialdemokratischen Verteidigungsministern, sprach bereits sehr früh von der militärischen Notwendigkeit bewaffneter Drohnen „vor dem Hintergrund aktueller und zukünftiger Einsätze der Bundeswehr“. Seitdem wird das Für und Wider der Drohnenbeschaffung öffentlich intensiv debattiert.

Auch unter völkerrechtlichen Kriterien hat eine von einem bemannten Flugzeug abgefeuerte Rakete keine andere Qualität als ein ferngelenktes Geschoss aus einer Drohne. Und der von der SPD kritisierte Missbrauch von bewaffneten Drohnen in der gerade beendeten militärischen Auseinandersetzung zwischen Aserbaidschan und Armenien darf doch nicht die Militärtechnik ins Zentrum der Kritik setzen, sondern die verantwortlichen Befehlsgeber für diesen Einsatzes.

Anders als jetzt behauptet, sind Drohnen nicht gleichbedeutend mit der Automatisierung von Kriegen. Der Joystick wird von einem realen Soldaten bedient, der seine Befehle ebenfalls von lebenden Menschen erhält. Nahezu jede Waffe kann von Menschen zum Angriffskrieg missbraucht werden.

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Und genau da verbietet sich der Vergleich mit der Bundeswehr, denn die ist nun wirklich das Gegenteil einer auf militärische Aggression ausgerichteten Armee. Ihren Einsatz muss stets der Deutsche Bundestag genehmigen, und ihre Operationen unterliegen einer demokratischen und öffentlichen Kontrolle.

Nach nahezu 20-jähriger Erörterung des Für und Wider der Beschaffung von Drohnen und ihrer Bewaffnung fehlt es also nicht an der vom SPD-Vorsitzenden Norbert Walter-Borjans geforderten „ausführlichen und breiten Debatte“, sondern an der Bereitschaft, sie endlich einer Entscheidung zuzuführen. Stattdessen erlebt die interessierte Öffentlichkeit den Versuch einer taktischen Vertagung des Themas bis nach den kommenden Bundestagswahlen.

Black Box SPD? Welche Verteidigungspolitik will die Partei? Sie muss das offen legen, statt als Friedenspartei von einer Koalition mit der Linken zu träumen.
Black Box SPD? Welche Verteidigungspolitik will die Partei? Sie muss das offen legen, statt als Friedenspartei von einer Koalition mit der Linken zu träumen.

© Paul Zinken/dpa

Das mag aus Sicht der SPD ein kurzfristiger Ausweg sein, um jeder innerparteilichen Debatte aus dem Weg zu gehen, zusagen als eine Art präventiver innerparteilicher Wundversorgung.

Und gewiss soll auch die herbeigeträumte Koalition mit der Linkspartei erleichtert werden. Ein Beleg für die Ernsthaftigkeit innerparteilicher Willensbildung und für die Fähigkeit zur politischen Führung dieses Landes ist diese Haltung indes nicht.

Sinneswandel bei der SPD in der Verteidigungspolitik

Allerdings ist die auch ansonsten erkennbare Distanz der SPD zu ihrer bisher jahrzehntelang vertretenen verteidigungspolitischen Haltung unverkennbar. So z.B. bei der Abkehr von der nuklearen Teilhabe Deutschlands an der Nato – und damit konsequenter Weise auch von der Nato selbst und zugleich von jeder europäische Verteidigungsgemeinschaft mit der Atommacht Frankreich.

Vieles deutet aktuell darauf hin, dass die SPD vor einem grundlegenden Sinneswandel ihrer bisherigen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik zu stehen scheint.

Es wäre gut, wenn sich die aktuelle Parteiführung trauen würde, das offen zu legen und sich zu den Folgen für Deutschland und Europa zu bekennen. Selbst wenn sich die SPD zu einer pazifistischen Partei entwickeln würde – was sie in ihrer über 150-jährigen Geschichte allerdings niemals war –, wäre das ja eine ehrenwerte politische Haltung.

Wie immer sich die SPD sicherheitspolitisch aber entwickeln will: Die Wählerinnen und Wähler haben vor den Bundestagswahlen einen Anspruch, über grundlegende Veränderungen in der politischen Haltung einer Partei aufgeklärt zu werden.

Eine indifferente Haltung würde unsere Nachbarn noch mehr irritieren

Außerdem täte diese Diskussion nicht nur der SPD, sondern auch Deutschland gut. Nichts braucht unser Land mehr als eine aufgeklärte Diskussion über unsere Rolle in der Welt, denn eine indifferente Haltung der größten Volkswirtschaft in der Mitte Europas würde unsere Nachbarn in Zukunft noch mehr als ohnehin schon irritieren.

Der damit unvermeidbare politische Streit ist dringend notwendig. Nur dann können Bürgerinnen und Bürger begründete Wahlentscheidungen treffen, auf denen man verlässliche Außen- und Verteidigungspolitik aufbauen kann.

Schnell würde in dieser Diskussion klar werden, welchen Blick die SPD und andere Parteien auf die Entwicklungen in der Welt haben, welche Konsequenzen dies für Europa und Deutschland haben wird und was dies für die Politik der einzelnen Parteien zur Folge hat.

Allerdings müsste die SPD dann auch einmal klarstellen, was denn in der Außen- und Sicherheitspolitik gelten soll: der (sozialdemokratische) Alleingang oder das Bekenntnis zum gemeinsamen Handeln in Europa?

Erst die Welt, dann die Partei. Nicht umgekehrt. Das ist unernst

Denn längst bestimmt die Verschiebung der globalen wirtschaftlichen und militärischen Machtachsen unser Leben auch in Europa. Ein Blick in unsere Nachbarschaft im Osten oder im Süden zeigt, dass Europa und damit Deutschland klären muss, wie mit dem Vakuum umgegangen werden soll, das die USA mit ihrer künftig eher pazifischen Ausrichtung auch nach der Wahl von Joe Biden im europäischen Umfeld belassen.

Nur auf dem Weg von der Welt zur eigenen Partei entsteht ernsthafte und ernstzunehmende Politik. Wer es umgekehrt versucht, bespiegelt sich nur selbst und betreibt letztlich eine unernste Politik.

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Ein Beispiel für den Versuch, die eigene politische Befindlichkeit nicht zum alleinigen Kompass für Regierungshandeln zu machen, bieten derzeit Bündnis 90/Die Grünen. Zwar äußert sich Robert Habeck, einer der beiden Vorsitzenden der Grünen, auch kritisch gegenüber dem Einsatz von Drohnen.

Seine Kollegin allerdings, Annalena Baerbock, sieht das Vakuum, das die USA z.B. in Afrika und dem Nahen Osten hinterlassen und in das autoritäre Regime eintreten. Sie will deshalb nach der Bundestagswahl mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron auch über „robuste europäische Militäreinsätze“ reden.

Kaum vorstellbar, dass der französische Präsident in solchen Einsätzen lieber seine Soldaten gefährdet, statt Drohnen zum Einsatz zu bringen. Das dürfte vermutlich auch Baerbock wissen.

Baerbock ist offenbar aus ähnlichem Holz geschnitzt wie der frühere grüne Außenminister Joschka Fischer, der seiner Partei die Teilnahme Deutschlands an einem vom damaligen UN-Recht nicht gedeckten Nato-Einsatz im ehemaligen Jugoslawien zumutete, um eine Wiederholung des Völkermords in Srebrenica zu verhindern.

So sieht derzeit politische Führung in einer ambitionierten Partei aus, die den Anspruch erhebt, wenn nicht das Kanzleramt, dann aber eine politische Leerstelle zu besetzen, welche ihr der sozialdemokratische Wettbewerber geradezu ostentativ überlässt.

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