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Allein gegen Salvini - aber nicht wirklich allein: Carola Rackete, Kapitänin der Sea Watch 3, auf ihrem Schiff am Mittwoch während der Kontrolle durch Italiens Küstenwache und Polizei.

© Reuters

Antigone aus Kiel: Deutsche Kapitänin gegen Italiens Salvini

Die Festung Europa verteidigen, indem man Seenotretter zu Kriminellen abstempelt - das neue Drama um die Sea Watch 3 zeigt: Das ist gescheitert. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Andrea Dernbach

"Ich habe beschlossen, in den Hafen von Lampedusa einzufahren. Ich weiß, was ich riskiere, aber die 42 Geretteten sind erschöpft. Ich bringe sie jetzt in Sicherheit." Die Worte von Carola Rackete, der 31-jährigen Kapitänin, die mit ihrem Schiff Sea Watch 3 die Menschen vor zwei Wochen aus dem Mittelmeer fischte, werden seit Mittwoch x-fach in den sozialen Netzen geteilt, auf deutsch, englisch und nicht zuletzt auf italienisch. Gerade in Italien entfalten sie ihre ganze Wirkung. In einem Land, in dem noch ein erheblicher Teil der Bevölkerung die antiken Klassiker in der Schule paukt, bekommen diese drei Sätze, die von Sophokles' Antigone stammen könnten, eine archaische Kraft. Das ruhig-entschlossene Gesicht der gebürtigen Kielerin unterstreicht die Botschaft noch - und dass sie ein Schiff kommandiert:

Gut gegen Böse, il capitano gegen die Kapitänin

Auf Twitter kursiert ein Bild von ihr auf der Brücke, darunter in großen Lettern: "Es gibt nur einen Kapitän." "Il capitano" ist der Beiname, der sich für Matteo Salvini eingebürgert hat, Italiens rechtsradikalen Innenminister, und Seitenhiebe von der Art treffen ihn inzwischen öfter. Salvini nämlich verweigert der Sea Watch strikt die Einfahrt in einen italienischen Hafen, wie schon etlichen Seenotrettern seit seinem Amtsantritt. Er soll mit einem Wutanfall darauf reagiert haben, dass Rackete ihn einfach austrickste, indem sie trotz Verbots in italienische Gewässer fuhr und so das Anlanden des Schiffs erzwingen dürfte. Sogar das Wirtschaftsblatt "Il Sole 24 ore" fragt: "Wer ist Carola Rackete, die Kapitänin, die Salvini die Stirn bietet?"

Mann gegen Frau, der vulgäre Rambo in Rom gegen die Kommandantin, die Verantwortung übernimmt, die wie die altgriechische Heldin ohne Rücksicht auf persönliche Verluste, hohe Geld- und Gefängnisstrafe, eine höheres Recht, die Menschlichkeit, gegen einen Mächtigen vertritt, der Unrecht tut: Das könnte das Bild sein, von dem man eines Tages sagen wird, dass es der Anfang vom Ende der bisherigen Strategie zur Verteidigung der Festung Europa war.

Der mächtige Irrtum der Mächtigen

Sie geht schon länger nicht mehr auf. Dabei schien sie von böser Intelligenz zu sein: Es begann vor Jahren damit, dass Politik und Behörden wie die EU-Grenzschutztruppe Frontex, private Seenotrettung als Hilfstruppe krimineller Schlepper denunzierte. Zunächst waren es nur Worte, in Komuniqués, auf Podien, in Presseerklärungen. Es folgte vor zwei Jahren der Versuch, die hartnäckigen Schiffscrews mit Verhaltensregeln an die Kandare zu nehmen, schließlich gab es Ermittlungen, Anklagen, Beschlagnahme der Schiffe, Flaggen wurden entzogen und auf Staaten wie Panama erfolgreich Druck gemacht, dasselbe zu tun. Wie schon oft in der Geschichte aber erlag die Macht - weiß Gott nicht nur Salvini, die EU insgesamt - dem Irrtum, sie sei schließlich im Besitz aller Zwangsmittel. Und kalkulierte nicht ein, dass es auch die Möglichkeit gibt, sich dem Zwang durch zivilen Ungehorsam zu entziehen. Was Bilder und Diskurse von weit größerer Macht erzeugt. Die Kapitänin der Sea Watch versucht gerade die Probe aufs Exempel.

Der Tod vor Europas Haustür ist heute sichtbarer denn je

Der Plan, das Sterben im Mittelmeer einfach unsichtbar zu machen, ging nicht nur nicht auf. Was im Mare nostrum, "unserem" Mittelmeer, geschieht, ist heute sichtbarer denn je. Und das nicht nur durch starke und unmittelbare Bilder, wie sie die fähigste Werbeagentur nicht hätte in Auftrag geben können. Sichtbar geworden sind auch die haarsträubenden Lücken im Flüchtlingsschutz weltweit: Wie es ein Recht auf Migration gibt - 1948 in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte kodifiziert - aber keins auf Einwanderung, so gibt es auch die Pflicht von Seeleuten, Schiffbrüchige zu retten und sie in den nächsterreichbaren sicheren Hafen zu bringen. (Bei der Gelegenheit noch einmal: libysche Häfen sind nicht sicher.) Es gibt aber keine klar formulierte Pflicht von Staaten, Menschen aufzunehmen, die keine eigenen Staatsbürger sind.

Es wird neue Bilder geben

Der Irrsinn dahinter wird klarer und schärfer sichtbar mit jedem Schiff, dem Salvini das Ankern verweigert und gegen das er Twittersalven abfeuert, mit jedem Bild von leidenden Schiffbrüchigen, die nur notversorgt tage- und wochenlang auf dem Mittelmeer dümpeln müssen, während sich gerade wieder halb Europa an dessen Urlaubsstrände aufmacht. Und es wird täglich offensichtlicher und peinlicher, dass ein reicher Kontinent zum täglichen Elend schweigt, die Verantwortung von sich schiebt, wie ein Kind die Hände vors Gesicht schlägt und hofft, das Problem werde verschwinden, wenn man's nicht sieht.

Womöglich muss man auch Salvini dankbar sein, dass er - gegen seine Absicht - überdeutlich macht, was geschehen müsste. Zunächst einmal, dass die EU-Länder, die das Glück haben, nicht ans Mittelmeer zu grenzen, endlich Verantwortung für die ganze Union übernehmen und eine Art Geschäftsverteilungsplan zu schreiben, nach dem die Geretteten aufgenommen werden, ohne Wenn und Aber und ohne ewiges Hin und Her. Sollte es dafür noch mehr Bilder brauchen, auf denen antike Tragödien heutige Gesichter bekommen: Es wird sie geben, so viel ist sicher.

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