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Die Welt habe „eine zweite Chance, der Türkei bei der Beendigung von Stellvertreterkriegen zu helfen“, schrieb der türkische Präsident.

© imago images/Xinhua

Appell aus Ankara: Erdogan wirft Europa Versagen in Syrien vor

Der türkische Präsident verteidigt in einem Zeitungsbeitrag den Einmarsch in Nordsyrien. Die Internationale Gemeinschaft solle den Militäreinsatz unterstützen.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat Europa vorgeworfen, im Syrien-Konflikt versagt zu haben. Deshalb sollten die EU und der Rest der Welt nun den türkischen Einmarsch im Norden Syriens unterstützen, schrieb Erdogan am Dienstag in einem Beitrag für die US-Zeitung „Wall Street Journal“. Ungeachtet neuer US-Wirtschaftssanktionen gegen Ankara setzte die türkische Armee ihre Offensive in Syrien fort.

Russland, der entscheidende Akteur im Syrien-Konflikt, forderte die Türkei auf, die Sicherung der syrischen Grenze der Regierung in Damaskus zu überlassen.

In seinem Beitrag warf Erdogan der internationalen Gemeinschaft vor, die Türkei mit der Last des Syrien-Konfliktes alleine gelassen zu haben. Sein Land habe 3,6 Millionen Flüchtlinge aufgenommen und 40 Milliarden Dollar für deren Versorgung bezahlt, schrieb Erdogan – doch Hilferufe seien auf taube Ohren gestoßen.

Deshalb habe sich seine Regierung zum Handeln entschlossen: Der Einmarsch mit dem Codenamen „Operation Quelle des Friedens“ ziele darauf ab, die terroristische Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) sowie den „Islamischen Staat“ (IS) zu bekämpfen. Mit dem Verweis auf die PKK bezog sich Erdogan auf die in Nordsyrien herrschende Kurdenmiliz YPG, den syrischen Ableger der PKK.

International ist der türkische Einsatz auch deshalb auf Kritik gestoßen, weil ein Wiedererstarken des IS befürchtet wird. Den Europäern warf Erdogan deshalb Heuchelei vor. Dieselben Staaten, die der Türkei heute Vorträge über den Kampf gegen den IS hielten, hätten in den vergangenen Jahren dabei versagt, den Zuzug ausländischer Kämpfer zu der Terrormiliz zu verhindern.

Reaktion auf internationale Isolation

So hätten die türkischen Behörden im Jahr 2015 einen Verdächtigen aus einem europäischen Land festgenommen, der mit scharfer Munition im Gepäck in der Türkei angekommen sei. Frankreich habe türkische Warnungen vor Terroranschlägen ignoriert, wolle nun aber wegen des Syrien-Einmarsches keine Waffen mehr an die Türkei liefern.

Hart ging Erdogan auch mit der Arabischen Liga ins Gericht, die den türkischen Vormarsch in Syrien als „Invasion“ verdammt hatte. Wenn die arabischen Staaten so unzufrieden mit dem Vorgehen der Türkei seien, sollten sie einmal darlegen, wie viele Kriegsflüchtlinge aus Syrien sie aufgenommen hätten, schrieb Erdogan über die Zurückhaltung vieler arabischer Staaten bei der Aufnahme von Syrern.

„Zweite Chance, der Türkei zu helfen“

Nachdem die internationale Gemeinschaft in den vergangenen Jahren die Gelegenheit zur Beendigung des Syrien-Konfliktes verpasst habe, sei der türkische Einmarsch nun „eine zweite Chance, der Türkei bei der Beendigung von Stellvertreterkriegen zu helfen sowie Frieden und Stabilität in der Region wiederherzustellen“, schrieb der türkische Präsident.

Erdogans Appell ist auch eine Reaktion auf die internationale Isolation, in die seine Regierung wegen des Syrien-Feldzuges geraten ist.

Moskau nennt Invasion „inakzeptabel“

Die USA verkündeten in der Nacht zum Dienstag eine Reihe von Strafmaßnahmen, darunter Strafzölle auf türkische Stahlimporte. US-Präsident Donald Trump verfügte auch das vorläufige Ende von amerikanisch-türkischen Handelsgesprächen. Auch Russland zeigte sich am Dienstag unzufrieden mit dem türkischen Vorgehen.

Der Moskauer Syrien-Beauftragte Alexander Lawrentjew nannte die türkische Intervention „inakzeptabel“. Mit Blick auf das türkische Argument, der Einmarsch solle die YPG zurückdrängen und damit die türkische Südgrenze sichern, sagte Lawrentjew, das sei Aufgabe der syrischen Regierung.

Die Kämpfe in Syrien dauerten unterdessen an. Die YPG ging nach einigen Berichten in der Grenzstadt Ras al Ayn, die von der Türkei erobert worden war, zum Gegenangriff über. Dass Erdogan in Nordsyrien nicht tun und lassen kann, was er will, zeigt sich auch in der Stadt Manbidsch.

Die Türkei wollte Manbidsch einnehmen, doch das Moskauer Verteidigungsministerium erklärte, die Stadt sei nach dem Abzug der US-Truppen unter vollständiger Kontrolle der syrischen Armee und des russischen Militärs.

Der Kreml dürfte nun darauf hinarbeiten, dass sich die türkische und die syrische Regierung an einen Tisch setzen – was Erdogan bisher strikt ablehnt.

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