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Das Verhältnis zwischen Angela Merkel (CDU) und Innenminister Horst Seehofer (CSU) befindet sich momentan in Schieflage.

© AFP/John MACDOUGALL

Asylstreit in der Union: Wer gewinnt: Horst Seehofer oder Angela Merkel?

Der Streit innerhalb der Union ist bis Montag vertagt, ein Alleingang Horst Seehofers steht weiterhin im Raum. Wie kann die Kanzlerin das verhindern? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Von Robert Birnbaum

In aufgeheizten Zeiten hält man leicht alles für möglich. Am Freitag gegen halb eins starrt der halbe Bundestag gleichzeitig auf die Smartphones. Eine Eilmeldung poppt auf: Horst Seehofer habe die Fraktionsgemeinschaft der CSU mit der CDU gekündigt. Doch bald ist klar: Da war jemand auf den Tweet eines „Titanic“-Redakteurs hereingefallen.

Dass die Fälschung überhaupt funktioniert hat, sagt allerdings viel über den Zustand der Union. Was CDU und CSU im Streit um Seehofers „Masterplan Migration“ aufführen, lässt schnell Erinnerungen an den legendären Kreuther Trennungsbeschluss von 1976 aufkommen. Doch liegt darin womöglich zugleich die Chance, dass der Streit nicht im Desaster für Union, Koalition und Regierung endet. Auf eins nämlich kann sich die große Mehrheit von CDU und CSU einigen: Ein zweites Kreuth will niemand.

Wie geht es nach dem Schlagabtausch weiter?

Der Ball liegt zunächst im Spielfeld der CSU. Am Donnerstag hatten die CSU-Granden vom Parteichef und Innenminister Seehofer über den bayerischen Chef-Wahlkämpfer Markus Söder bis zum Landesgruppenchef Alexander Dobrindt mächtig auf den Putz gehauen. Sie verlangt eine komplette Wende im Asylrecht, und zwar sofort. In der Landesgruppe, getrennt vom CDU-Teil der Fraktion, schworen sie sich gegenseitig darauf ein, im Streit über Zurückweisung an der Grenze hart zu bleiben.

Dobrindt erwähnte zwar in einem Nebensatz, dass dies einen „ganz schwierigen Gang“ bedeuten könnte. „Aber da waren manche so besoffen von der eigenen Stärke, dass sie das gar nicht beachtet haben“, sagt ein Teilnehmer.

Ob sie bereit ist, vom Crashkurs sachte wieder herunter zu kommen, muss also zunächst die CSU für sich selbst entscheiden. Wie die Chancen stehen, wagt anderntags niemand zu prognostizieren. Söder hat ein „Endspiel um Glaubwürdigkeit“ ausgerufen – Endspiele enden aber immer mit Sieg oder Niederlage, notfalls im Elfmeterschießen. Dobrindt trauen selbst eigene Parteifreunde zu, dass er den Sturz Merkels billigend in Kauf nähme. Seehofer selbst hat mit seiner Ankündigung, die umstrittene Zurückweisung in eigener Ministerverantwortung anzuweisen, einerseits ein paar Tage Zeit gewonnen, andererseits aber großen Erwartungsdruck aufgebaut. Wenn der Parteivorstand am Montag in München sich ähnlich in Rage rede wie die Landesgruppe, könne der CSU-Chef gar nicht anders als den Alleingang anordnen, vermuten Christsoziale. Freilich – vor dem Montag liegt noch ein ganzes Wochenende.

Darf der Innenminister denn alleine entscheiden?

Das darf er, soweit es im Rahmen seiner Zuständigkeit liegt. Das Ressortprinzip ist im Grundgesetz Artikel 65 verankert, nach dem jeder Minister „seinen Geschäftsbereich selbständig und unter eigener Verantwortung“ leitet. Allerdings gibt es im gleichen Artikel eine Einschränkung: Die Richtlinien der Politik bestimmt der Kanzler, und der Minister muss sich „innerhalb dieser Richtlinien“ bewegen. Außerdem gilt das Kollegialprinzip: „Bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Ministern entscheidet die Bundesregierung“, also das Kabinett.

Praktisch heißt das: Seehofer könnte die ihm unterstellte Bundespolizei anweisen, ab sofort jeden Flüchtling gleich an der Grenze zurückzuweisen, der schon in einem anderen EU-Land registriert ist. Merkel könnte ihn anweisen, die Maßnahme zu stoppen. Tut er das nicht, kann sie den Unbotmäßigen feuern. Aber das wäre das Ende ihrer Regierung. Die Richtlinienkompetenz ist wirkungslos gegen den Chef einer Koalitionspartei. Man kann sogar sagen: Sie wäre für die Kanzlerin nachgerade schädlich. Denn sie schafft die Erwartung, dass die Chefin sich durchsetzt. Schaut Merkel dem Solo einfach zu, wäre ihre eigene Autorität dahin. Selbst die Vertrauensfrage im Bundestag könnte ihr die nach Einschätzung in der Union nicht mehr zurückbringen.

Auf der anderen Seite ist Seehofer politisch auch nicht so frei, wie die CSU im Moment tut. Schließlich hat der CDU-Teil der Fraktion Merkel mit sehr deutlicher Mehrheit das Mandat erteilt, bis zum EU-Gipfel in zwei Wochen eine europäische Lösung zu finden. Ein Alleingang des Ministers hieße, auch diesen Willen zu ignorieren. Unter den CDU-Abgeordneten hatte Merkels Warnung durchaus Eindruck gemacht, dass ein nationaler Alleingang der europäischen Zentralmacht Deutschland alle Dämme in der Gemeinschaft brechen lassen könnte. Das machte auch Parlamentarier nachdenklich, die impulsiv Seehofer unterstützen würden.

Viele liegen im Konflikt mit sich selbst zwischen dem Anspruch, die klassische Europapartei zu vertreten, und der, wie es ein Abgeordneter drastisch ausdrückt, „sch...emotionalen Stimmung“ an der Basis. Die ist nach Bamf-Skandal und Mord an der 14-jährigen Susanna für Durchgreifen-Parolen empfänglich.

Die CDU-Führung versucht darum, das Europa-Gewissen zu stärken. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat in der CDU-Fraktionssitzung eindringlich appelliert, den Zusammenhalt des Kontinents nicht zu sprengen. Generalsekretärin Annegret Kramp- Karrenbauer erinnert in einem Brandbrief an die Mitglieder an Helmut Kohl. „Mir ist sehr bewusst, dass viele von Ihnen diese Diskussion nur schwer nachvollziehen können und sich um den Schaden für die Union Sorgen machen“, schreibt die Generalin. Aber die CDU sei „immer die Partei der Sicherheit und des Europäischen Zusammenhalts“ gewesen und immer bemüht, beides zusammenzubringen, „auch wenn es oft schwierig und unpopulär war.“

Hat Merkels Lösungsvorschlag Aussicht auf Erfolg?

Schwer zu sagen. Die Christsozialen winken ab: Was in Jahren in der EU nicht gelungen sei, werde in zwei Wochen auch nichts. Das klingt realistisch, aber der Unglaube ist vor allem taktisch motiviert. Dobrindt, Söder und Seehofer sehen sich von einer Woge des gesellschaftlichen Unmuts getragen. Doch alle Wogen ebben ab. Deshalb drücken die Bayern aufs Tempo und wollen plötzlich nicht mal mehr zwei Wochen Zeit lassen.

Merkel selbst hat vor ihren Abgeordneten eingeräumt, dass ihr Zeitplan „ambitioniert“ ist. Sie will versuchen, mit Ländern wie Österreich, Italien oder Griechenland Abmachungen über die Rücknahme solcher Flüchtlinge zu treffen, die dort schon ein Asylverfahren angefangen haben. Das könnte verhindern, dass die Grenzstaaten wieder dazu übergehen, Asylsuchende gar nicht erst zu registrieren, sondern gleich Richtung Deutschland schicken. Es wäre wohl auch europarechtlich ein sauberer Weg – wie Seehofer die Zurückweisung an der Grenze mit der Dublin-III-Verordnung in Einklang bringen will, ist unklar, weil seinen Plan ja keiner kennt.

Und wenn es doch knallt?

Dann werden an dem Tag viele bleiche Gesichter im Regierungsviertel umherschleichen. Vor Neuwahlen haben alle Angst außer der AfD. Auf neue Sondierungsrunden ist auch niemand scharf.

Am liebsten wäre daher vielen, auch im CSU-Teil, wenn sich die Kanzlerin und ihre Kontrahenten doch noch einigen. Etwas Stillhalten könnte reichen. Seehofer muss nicht sofort zum Alleingang schreiten. Merkel könnte klar zeigen, dass sie sein Anliegen teilt. Dafür müssten sich beide zurücknehmen, sagt einer aus der CSU, der nicht zu den Scharfmachern zählt. Merkel dürfe ebenfalls nicht weiter auf stur schalten. „Wenn sie so weitermacht“, sagt der Mann, „verliert sie auch den Rückhalt in der CDU.“

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