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Sollen deutsche Richter:innen künftig über etwaige Kriegsverbrechen in Russland entscheiden?

© picture alliance/David Ebener

Aufregung um verschärften Volksverhetzungsparagrafen: Weitreichender Eingriff oder bloße Formalie?

Wer Völkermord oder Kriegsverbrechen öffentlich „gröblich“ verharmlost, dem drohen künftig bis zu drei Jahre Haft wegen Volksverhetzung.

Stand:

Hitzige Debatten im Bundestag, erste Lesung, zweite Lesung, dritte Lesung, Vertagungen wegen aktuellerer Baustellen: Dass eine ganze Legislaturperiode ins Land geht, bis es eine Gesetzesänderung durchs Parlament schafft, ist keineswegs eine Seltenheit.

Aber es kann auch ganz anders laufen, so gesehen vergangene Woche: Da brachte der Bundestag eine durchaus heikle Gesetzesänderung außergewöhnlich flott über die Bühne.

Am späten Donnerstagabend hat die Ampel quasi geräuschlos und ohne längere Beratungen eine Ausweitung des Straftatbestandes der Volksverhetzung nach Paragraf 130 des Strafgesetzbuches (StGB) verabschiedet.

Ein neuer Absatz § 130 Abs.5 StGB stellt künftig das öffentliche Billigen, Leugnen und gröbliche Verharmlosen von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen unter Strafe, wenn die Tat in einer Weise begangen wird, die geeignet ist, zu Hass oder Gewalt aufzustacheln und den öffentlichen Frieden zu stören.

Bisher war in der Bundesrepublik nur die Billigung von Straftaten aller Art sowie die Leugnung und Verharmlosung des Holocausts strafbar. Für die Verschärfung stimmten die Ampelfraktionen und die Union, dagegen AfD und Linke.

Tatsächlich war die Regierung dazu verpflichtet, nachzubessern: In einem von der EU-Kommission im Dezember 2021 angestrengten Vertragsverletzungsverfahren hatte diese gerügt, dass Deutschland den „Rahmenbeschlusses 2008 / 913 / JI des Rates vom 28. November 2008 zur strafrechtlichen Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“ insbesondere bezüglich des öffentlichen Leugnens und gröblichen Verharmlosens nur unzureichend umgesetzt habe.

Deutschland war von der EU-Kommission gerügt worden

Mit der Änderung ist der Anlass zur Rüge weggefallen. Aus der Opposition heißt es nun, man sei über das Ziel hinausgeschossen, es wird von einer „Hauruckaktion“ gesprochen, ein „intransparentes Verfahren“ kritisiert.

Auch die Ampel selbst räumte ein, „geringfügig über die Mindestanforderungen des Rahmenbeschlusses“ hinausgegangen zu sein, insbesondere, weil künftig auch Äußerungen, die während Demonstrationen fallen, den Straftatbestand erfüllen können. Mit dem Ukrainekrieg habe die Verschärfung der Norm aber nichts zu tun, heißt es aus dem Bundesjustizministerium.

Auch Intransparenz weist die Regierung weit von sich. Die Änderung von Gesetzen in einem abgekürzten Gesetzgebungsverfahren komme in Betracht, wenn es sich um überwiegend technische Änderungen handele oder Eilbedürftigkeit bestehe, sagte Sonja Eichwede, die rechtspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, dem Tagesspiegel. Hier sei dies aus Gründen der Klarstellung und Rechtssicherheit erfolgt.

Die Änderung von Gesetzen in einem abgekürzten Gesetzgebungsverfahren kommt immer dann in Betracht, wenn es sich um überwiegend technische Änderungen handelt oder Eilbedürftigkeit besteht.

Sonja Eichwede, rechtspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion

Aber wann ist eine Tat dazu geeignet, zu Hass oder Gewalt aufzustacheln und den öffentlichen Frieden zu stören? Und wer ist geeignet, über diesen unbestimmten Rechtsbegriff zu urteilen?

Steht es Richter:innen jetzt zu, Völkermorde und Kriegsverbrechen als solche einzuordnen? Das sollte es zumindest nicht, meint Elisa Hoven, Strafrechtsprofessorin an der Universität Leipzig.

Wem steht es zu die „Geignetheit“ zu beurteilen?

Die neue Regelung bestrafe das Leugnen oder Verharmlosen etwa von Kriegsverbrechen, die noch von keinem Gericht als solche festgestellt wurden, bemängelt sie die Änderung im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Wie soll ein Amtsgericht in Franken etwas leisten, dass selbst für den Internationalen Strafgerichtshof eine Herausforderung darstellt?“

Eine kritische Auseinandersetzung über Kriegsverbrechen in schwelenden Konflikten stünde künftig außerdem unter dem Damoklesschwert strafrechtlicher Verfolgung.

Wie soll ein Amtsgericht in Franken etwas leisten, dass selbst für den Internationalen Strafgerichtshof eine Herausforderung darstellt?

Elisa Hoven, Professorin für Strafrecht an der Universität Leipzig

Der Jurist Thomas Fischer, früherer Vorsitzender Richter am 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs, versteht die Aufregung um die Änderung des Gesetzes nicht. Die große Aufmerksamkeit sei seines Erachtens darauf zurückzuführen, dass nun eine Parallele zum Ukrainekrieg gezogen werde – zu Unrecht, wie er meint.

Auch werde die Gesetzesänderung im Alltag nur in den seltensten Fällen Anwendung finden, sagte er dem Tagesspiegel. „So wie ich es lese, bezieht sich das Gesetz auf die inländische Bevölkerung der Bundesrepublik, das ist ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs seit den 50er Jahren. Schließlich geht es um den inländischen öffentlichen Frieden.“

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