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Aus für die Impfpflicht: Niederlage für Scholz, Sieg für die demokratische Debatte

Bundeskanzler Olaf Scholz hat seinen Plan nicht umsetzen können. Was heißt das für die politische Kultur? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Vier Vorschläge, vier Stunden Reden – die Corona-Impfpflicht hatte es ins Plenum des Bundestags geschafft. Leicht hat der Bundestag es sich nicht gemacht. Aber es wog ja auch schwer, wie es ausgeht.

Und dann scheiterten alle die, die wie die 16 Ministerpräsident:innen die Abgeordneten in Berlin um eine Impfflicht geradezu gebeten hatten. Das kann eigentlich nur noch der rühmenswert finden, der sich und auch den Bürgern einredet, dass das Ganze eine wahre Gewissensentscheidung sei.

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Der Kanzler zum Beispiel hat in diese Richtung gesprochen. Ob er glaubt, dass ihm das jetzt immer noch als Führungsstärke ausgelegt wird? Es ist nämlich, umgekehrt, auch ein Schlamassel.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei der Abstimmung über die Impfpflicht im Bundestag.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei der Abstimmung über die Impfpflicht im Bundestag.

© Kay Nietfeld/dpa

Denn ein Grund für die (vermeintlich hehre) Freigabe der Abstimmung im Parlament war ja, dass SPD, Grüne und FDP sich nicht auf eine gemeinsame Linie einigen konnten, partout nicht.

So sollte Politik doch funktionieren

Und dass Gesundheitsminister Karl Lauterbach in seiner Art nicht derjenige ist, der Widerstreitende zusammenbringt. Nicht in der Ampel, nicht insgesamt. Da war der Ausweg, dass der einzelne Abgeordnete keinem irgendwie gearteten Zwang der Fraktion folgt, sondern der eigenen Stimme.  

Wenn es nur so wäre. Taktik, dazu immer wieder hinter den Kulissen Versuche, Positionen mit Druck durchzusetzen oder die eigene Stärke zu demonstrieren – manche in den Fraktionsführungen, wie in der Union, sollten im Nachhinein Gewissensbisse haben.

Und im Vorhinein für alles das, was in der Pandemie noch an schwierigen Entwicklungen kommen kann.

Dabei ist das Ringen in der Sache über alle Parteigrenzen hinweg – bis auf die Radikalen der AfD – ein wirklich lobenswerter, sogar befreiender Ansatz. So sollte Politik doch funktionieren: als Versuch, für das eigene Argument zu werben und eine Mehrheit zu gewinnen. Mehr davon! Dieser inhaltliche Wettstreit ist edler als der, sich vorsichtshalber immer an der eigenen Gruppe zu orientieren.

Nicht einmal für Ältere

Nun ist es aber so: Eine Pflicht für alle Erwachsenen gibt es nicht. Und nicht einmal eine für Ältere, für die Über-Sechzigjährigen, die Vulnerablen. Für die hatten sich zwei Gruppen aus der Ampel-Koalition auf inzwischen einen gemeinsamen Antrag geeinigt.

Das hätte geheißen, dass Menschen ab 60 vom 15. Oktober an hätten nachweisen müssen, dass sie geimpft oder genesen sind. Aber: Je nach Lage der Pandemie, nach Erkenntnissen über Virusvarianten und Impfquote könnte der Bundestag diese Pflicht vorher entweder wieder aussetzen oder sie (mit einem Beschluss frühestens im September) sogar ausweiten auf Personen ab 18. Der Gesetzentwurf dieser Gruppe sieht außerdem eine Impfberatungspflicht und den Aufbau eines Impfregisters vor.

Für den warb etwa der Grüne Janosch Dahmen, ein Arzt, und wies zu Recht darauf hin, dass mit diesen Punkten auch der CDU und der CSU Rechnung getragen werde. Das Impfregister beispielsweise soll aufgebaut werden, damit nachvollzogen werden kann, wer überhaupt geimpft ist und wer gezielt angesprochen werden müsste.

Bei der Abstimmung reichte eine einfache Mehrheit. Nicht mindestens 369 aller 736 Abgeordneten, sondern von den anwesenden Parlamentariern mehr Ja als Nein. Es hat nicht gereicht.

Das Ergebnis ist: ein Schlamassel. Die Entscheidung gegen die Impfpflicht im Bundestag wiegt schwer. Und lastet womöglich am Ende manchen dann doch auf dem Gewissen.

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