zum Hauptinhalt
Deutschlands Probleme wird Abschottung nicht lösen.

© imago/Ikon Images/imago stock&people

Ausländerfeindlichkeit statt Fakten: Deutschlands Migrationsdebatte ist außer Kontrolle

Was früher nur Rechtsextreme forderten, finden auch etablierte Mitte-Parteien heute völlig okay. Nur: Deutschlands Probleme wird Abschottung nicht lösen. Allein die AfD profitiert.

Eva Murašov
Ein Kommentar von Eva Murašov

Stand:

Wenn Applaus von Identitären und Ultranationalisten kommt, sollte klar sein: Deutschland ist gefährlich weit rechts abgebogen. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán gratulierte auf der Plattform X der deutschen Regierung zu ihrem Kurswechsel: „@Bundeskanzler Scholz, welcome to the club! #StopMigration“. Und der Rechtsextreme Martin Sellner begrüßte auf Facebook das „Einlenken der Eliten in Richtung law&order“.

Grenzkontrollen, „irreguläre“ Einwanderung auf null bringen und alle abschieben, die keine Aufenthaltserlaubnis haben: Das sind nach dem Solingen-Attentat keine Forderungen mehr, die AfD-Politiker und andere Rechtspopulisten stellen. Es sind Ziele, die die Ampel-Regierung dieser Tage anstrebt. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hat die EU-Kommission informiert, ab 16. September würden alle deutschen Landesgrenzen kontrolliert. Gerade diskutiert der Bundestag wieder ein „Sicherheitspaket“, das in Wahrheit nur um Abschiebungen kreist.

Abschottung löst keine Versorgungsprobleme

Dass verübte und vereitelte islamistische Anschläge Ängste und ein Bedürfnis nach mehr Sicherheit hervorrufen, ist verständlich. Genauso muss die Politik in der Migrationsfrage die Probleme von Kommunen ernst nehmen, denen Länder und Bezirke immer mehr Geflüchtete schicken, aber kein Geld, um ihnen eine würdige Unterbringung zu bieten und Personal für Sprachkurse, Sozialarbeit und Kinderbetreuung aufzustocken.

Das Problem ist nur: An Wohnungen, Kitaplätzen und Gewaltprävention wird es auch bei geschlossenen Grenzen weiter mangeln. Solange die Schuldenbremse nicht für Investitionen in Bildung und Infrastruktur gelockert wird, verfallen Schulhäuser, Brücken und Bahnschienen weiter. Damit erreicht die Regierung genau, was sie verhindern will: Laut einer Studie zu Austeritätspolitik, basierend auf Daten von 1980 bis 2015 aus acht Ländern, korrelieren Kürzungen öffentlicher Ausgaben mit wachsender Zustimmung zu extremen Parteien.

Diskursverschiebung nach rechts außen

Es hat sich etwas grundlegend verschoben in der Art, wie über Migration gesprochen wird. Der Diskurs ist weit entfernt von den Fakten. Eine Auswertung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung widerspricht etwa dem rechten Mythos des „Sozialtourismus“: Von denen, die 2015 als Geflüchtete herkamen, waren 2022 64 Prozent erwerbstätig. Auch der von Populisten erweckte Eindruck, es kämen seit der Merkel-Ära konstant mehr „Wirtschaftsmigranten“, ist nicht von Zahlen gedeckt: So sank die Zuwanderung nach 2015 fast um die Hälfte (auf 2,1 Millionen 2020), um erst mit Russlands Angriff auf die Ukraine wieder stark anzusteigen.

Berichte drehen sich um „Abschiebezahlen“ und „Rückführungen“ und darum, warum letztere „scheiterten“. Der aktuelle Diskurs unterschlägt dabei, dass unser Aufenthaltsrecht auch Geduldeten eine Chance einräumt, eine Ausbildung oder einen Job anzutreten, sie also mitnichten „illegal“ in Deutschland sind.

Viele, die einst „irregulär“, also ohne Papiere herkamen, haben sich mittlerweile eine Existenz aufgebaut. Sie zahlen Steuern und in die Sozialkasse ein. Manche arbeiten als Designer, Ärztinnen und Entwickler, andere pflegen Alte und Kranke. Sie sitzen neben uns im Büro oder im Hörsaal.

Wollen wir all diesen Menschen vermitteln: Ihr wart hier nie gewollt? Ihr gehört nicht dazu?

Die AfD profitiert davon, sich ihrer Agenda anzupassen

Die Regierenden müssen die faktischen Mängel in Deutschland erkennen und angehen, statt sich einer an Gefühlen und Vorurteilen ausgerichteten Agenda von rechts außen immer weiter anzupassen.

Das sei übrigens allen gemäßigten Parteien empfohlen, wenn sie die nächsten Jahre überleben wollen. Länderübergreifende Forschung belegt: Die Übernahme rechter Rhetorik und einwanderungsfeindlicher Positionen schmälert nicht die Wahlerfolge populistischer Parteien. Vielmehr begünstigt die strategische Annäherung an diese oft, dass Wählerinnen und Wähler der etablierten Parteien zu den Radikalen abwandern. Sie bevorzugen das Original.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
false
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })