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Zivilgesellschaft wehrt sich. Der Widerstand gegen Rechtsextremismus und gegen politische Fanatiker überhaupt muss stärker werden. Demo in Frankfurt nach dem Anschlag von Hanau

© F. Boillot/ imago images/snapshot

Ausufernder Extremismus: Mehr Widerstand gegen die Fanatiker!

Die gewaltige Zunahme extremistischer Straftaten ist bedrohlich. Die Demokratie wird unterhöhlt. Die Zivilgesellschaft muss sich wehren. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Frank Jansen

Horst Seehofer hat leider recht. Es gebe „klare Verrohungstendenzen in unserem Land“, klagte der Bundesinnenminister am Dienstag, als er die Zahlen zu extremistischer Kriminalität 2020 vorstellte. Höchststände bei rechten, linken und antisemitischen Straftaten, drastische Anstiege bei linker Gewalt, bei Angriffen auf Bürgermeister, Abgeordnete und Polizisten. Und dazu noch das neue Phänomen der zunehmend aggressiven Coronaleugner, von denen viele keinem klassisch extremistischen Milieu zuzurechnen sind.

Die Querdenker radikalisieren sich rasant, attackieren Polizisten und Journalisten. Fast wären Coronaleugner im August in den Bundestag eingedrungen, wenn nicht ein paar mutige Polizisten den Sturm auf das Reichstagsgebäude gestoppt hätten.
Wohin driftet die Republik? Die Frage mag alarmistisch klingen, doch die Gefahren für die Demokratie nehmen zu.

Nicht erst seit 2020. Schon vor sechs Jahren, in der sogenannten Flüchtlingskrise, wurden Teile der Bevölkerung zu Wutbürgern. Auch damals nahmen politisch motivierte Straftaten rapide zu, von staatsfeindlicher Hetze im Internet über Angriffe auf Politiker bis hin zu lebensgefährlichen Anschlägen auf Unterkünfte von Geflüchteten. Der demokratiefeindliche Hass ging nicht weg, er trug die AfD in die Parlamente und er kocht bei Coronaprotesten und Verschwörungsmythen wieder hoch.
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Parallel dazu eskaliert die Militanz von Linksradikalen, die sich Selbstjustiz gegen Staat, Neonazis und Kapitalismus anmaßen. Wer sich dem ausufernden Fanatismus entgegenstellt, als Politiker, Polizist, Journalist oder einfach als engagierter Demokrat, muss sich Sorgen um seine Sicherheit machen. Dass die Polizei nun endlich den Absender der Drohschreiben von „NSU 2.0“ gefasst zu haben scheint, ist nur ein kleiner Trost. Zumal offen bleibt, ob nicht auch Polizeibeamte in die Taten verstrickt sind.

Erosion beginnt im Kleinen

Droht nun eine „Weimarisierung“ der Bundesrepublik? Im großen Maßstab glücklicherweise nicht. Extremisten sind trotz ihres Furors nicht in der Lage, die Machtfrage zu stellen. Aber eine Ebene tiefer sind die Sorgen um die Demokratie mit Händen zu greifen. Wer als Bürgermeister oder Abgeordneter von Fanatikern bedroht wird, denkt zwangsläufig darüber nach, ob er für seine Ideale die eigene Gesundheit und die der Familie riskieren soll. So unterhöhlt Angst dann doch die fest verankert wirkende demokratische Grundordnung. Erosion beginnt im Kleinen. Das darf die Zivilgesellschaft nicht hinnehmen. Widerstand gegen Extremismus beginnt am eigenen Computer und vor der eigenen Haustür. Erforderlich ist ein spürbares Mehr an Solidarität für demokratische Politiker, die von Extremisten angefeindet werden. Auf den Staat zu warten und nach Polizei und Verfassungsschutz zu rufen reicht nicht. Hilfreich wäre allerdings, die Zivilgesellschaft würde enger mit den Sicherheitsbehörden kooperieren. Und politischer Druck von unten könnte auch dazu beitragen, dass Polizei und Verfassungsschutz besser ausgestattet werden, um Extremismus abzuwehren. Die Republik muss, man kann es nicht oft genug wiederholen, wachsamer werden.

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