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Andrea Nahles, Vorsitzende der SPD

© dpa/Bernd von Jutrczenka

Autoritätsverlust und peinliche Auftritte: Wie lange hält Andrea Nahles noch durch?

Im April 2018 wurde sie zur ersten Frau an der Spitze der SPD gewählt. Heute ist die Partei im Dauertief – und Nahles hat an Rückhalt verloren. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan Haselberger

Vom früheren Vizekanzler Joschka Fischer, einem ausgewiesenen Experten für Machterwerb und Machterhalt, stammt eine drastisch formulierte Verhaltensregel für Spitzenpolitiker: „Wenn es Scheiße regnet, soll man nicht verzweifeln. Und wenn die Sonne scheint, soll man sich auf schlechtes Wetter vorbereiten.“

Am 22. April 2018 schien die Sonne über Andrea Nahles, zunächst jedenfalls. An jenem Sonntag konnte sie sicher sein, als erste Frau in der über 150-jährigen Geschichte der Sozialdemokratie an die Parteispitze gewählt zu werden. Dann aber wurde in der Wiesbadener Parteitagshalle das Ergebnis verkündet. 66,4 Prozent, eine Schlechtwettervorhersage.

Jetzt, zwölf Monate nach Nahles’ Fehlstart in Wiesbaden, stecken die Genossen in den Umfragen bei gut 17 Prozent im Dauertief, ungeachtet aller Anstrengungen ihrer Minister in der Regierung. Auch Versuche, sich von der großen Koalition abzusetzen, blieben erfolglos.

Selbst das populäre, milliardenschwere Grundrente-Versprechen brachte die Partei nicht voran. So unerfreulich sich die Gegenwart für die SPD-Chefin darstellt, so wenig Anlass zur Hoffnung bieten die bevorstehenden Wahlen. Im Herbst drohen in Thüringen und Sachsen einstellige Ergebnisse, in Brandenburg, dem Kernland der SPD im Osten, der Machtverlust.

Andrea Nahles bei einer Bundestagssitzung Anfang April
Andrea Nahles bei einer Bundestagssitzung Anfang April

© Kay Nietfeld/dpa

Hält Nahles so lange durch? Sie könnte sich im Frühjahr zu Konsequenzen gezwungen sehen. Dass die SPD ohne schwere Verluste aus der Europa-Wahl am 26. Mai hervorgeht, halten selbst Optimisten im Willy-Brandt-Haus für unwahrscheinlich. Vom Ausmaß der Niederlage in Europa und vom Ausgang der Abstimmung in der SPD-Hochburg Bremen am selben Tag hängt ab, ob Nahles weiter Partei- und Fraktionschefin bleiben kann. In der SPD wird damit gerechnet, dass sie notfalls den Fraktionsvorsitz opfert, um den Parteivorsitz zu retten. Es wäre womöglich nur ein Rückzug auf Raten.

Ihr schwerster Fehler war die Zustimmung zu Maaßens Beförderung

Es gibt in der SPD nicht mehr allzu viele, die an eine bessere Zukunft mit Andrea Nahles glauben, auch wenn sie den Erneuerungsprozess beschleunigt hat. Ja, sie hat Fehler gemacht. Der schwerste war die Zustimmung zur Beförderung des umstrittenen damaligen Verfassungsschutz-Chefs Maaßen zum Innenstaatssekretär – eine Entscheidung, die Nahles unter dem Druck einer entrüsteten Öffentlichkeit bald zurücknehmen musste. Von dem Autoritätsverlust hat sie sich nicht erholt. Hinzu kommen peinliche Auftritte in der Öffentlichkeit, zuletzt eine Gesangseinlage vor der Thüringer SPD im Karneval.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Andrea Nahles die Verantwortung für die Misere nicht alleine trägt. Vizekanzler Olaf Scholz, der sich als natürlicher Kanzlerkandidat sieht, tut viel für seine Beliebtheitswerte, aber wenig für das Profil der SPD. Jetzt drängt Scholz intern auf eine Festlegung, dass die SPD Annegret Kramp-Karrenbauer nicht zur Kanzlerin wählt, sollte Angela Merkel das Amt vorzeitig niederlegen.

Die CDU-Chefin soll nicht mit einem Amtsbonus gegen ihn antreten. Auf diese Weise aber würde sich die SPD in die Hände der Union begeben. Am Ende könnte sie in Neuwahlen getrieben werden, aus denen sie womöglich noch schwächer hervorgeht, als sie schon ist. Es wäre die Pflicht einer SPD-Vorsitzenden, der Partei ein solches Schicksal zu ersparen. Und ein unerwartetes Zeichen von Stärke.

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