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Rund 5,5 Millionen Menschen leben vom Bürgergeld.

© IMAGO/IlluPics

Begrenzt arbeitsfähig : Neue Daten versachlichen die Debatte ums Bürgergeld

Mehr als die Hälfte sucht keinen Job, ergab eine Umfrage. Das hat vor allem gesundheitliche Gründe. Die Jobcenter arbeiten mangelhaft bei Weiterbildung und Vermittlung.

Alfons Frese
Ein Kommentar von Alfons Frese

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Befürworter einer Bürgergeldreform fühlen sich bestätigt: Gut die Hälfte der Empfänger bemüht sich nicht um einen Arbeitsplatz, ergab eine von der Bertelsmann-Stiftung beauftragte Studie. Ein paar Millionen Schmarotzer liegen also in der sozialen Hängematte und lassen sich das Leben von den Arbeitnehmern und Steuerzahlern finanzieren. Die ehrlichen und braven Bürgerinnen und Bürger, die das Land mit ihrem Einsatz tragen, sind die Dummen.

Diese Einschätzung steht im Mittelpunkt der Auseinandersetzung um das Bürgergeld, das die Ampel-Regierung eingeführt hatte, um die SPD vom Fluch der Hartz-Partei zu befreien.

Nun kommt die Bertelsmann-Studie genau zum richtigen Zeitpunkt, denn in den kommenden Wochen möchte die schwarz-rote Regierung ihre Reform in den Bundestag bringen. Die Ergebnisse der Studie tragen dazu bei, die von (Wahlkampf-) Propaganda und Schwarz-Weiß-Denken geprägte Diskussion zu versachlichen.

Ampel strebte Kulturwandel an

Rund 5,5 Millionen Menschen, darunter 1,8 Millionen Kinder und Jugendliche, leben vom Bürgergeld, das die Gemeinschaft mehr als 50 Milliarden Euro im Jahr kostet. Etwas mehr als 40 Prozent der Bürgergeldbezieher arbeiten oder sind in Ausbildung. Etwa ein Drittel ist nicht erwerbstätig, obwohl dieser Teil theoretisch arbeiten könnte.

Zu dieser Gruppe zählen Schwerbehinderte, ältere Arbeitslose über 55 Jahre und solche ohne Ausbildung. In Deutschland haben drei Millionen junge Leute (unter 35 Jahren) keine Berufsausbildung. Diese Gruppe hatte die Ampel im Auge, als mit dem Bürgergeld ein „Kulturwandel“ ausgerufen wurde: fördern statt fordern.

In den zehn Jahren zuvor, seit 2011, stagnierten die Teilnehmerzahlen für Qualifizierungsmaßnahmen im Hartz-System, weshalb Aus- und Weiterbildung („Fördern“) einen höheren Stellwert bekamen und der Vermittlungsvorrang („Fordern“) aufgeweicht wurde. Aufgrund des Vorrangs mussten zuvor auch prekäre Jobs akzeptiert werden, was zum Wachstum des Niedriglohnsektors beitrug.

Bei Menschen, die arbeiten können und wiederholt zumutbare Arbeit verweigern, wird ein vollständiger Leistungsentzug vorgenommen.

Koalitionsvertrag von Union und SPD

Im Koalitionsvertrag verständigten sich Union und SPD auf eine Reform der Reform: „Bei Menschen, die arbeiten können und wiederholt zumutbare Arbeit verweigern, wird ein vollständiger Leistungsentzug vorgenommen.“ Es steht aber auch geschrieben: „Das soziale Schutzniveau wollen wir bewahren.“

Die Auseinandersetzung dreht sich vor allem um die vermeintlichen Drückeberger. Wie viele das tatsächlich sind, weiß kein Mensch, Mitarbeitende der Jobcenter sprechen von maximal fünf Prozent.

Die Zahlen der Bertelsmann-Studie geben etwas mehr Klarheit. Von den 57 Prozent, die sich zuletzt nicht um Arbeit bemühten, sind 74 Prozent krank. 43 Prozent haben noch nie ein Stellenangebot erhalten und 38 Prozent kein Weiterbildungsangebot – das ist bitter angesichts der Schwerpunktsetzung der Ampel.

502
Förderleistungen gibt es in Deutschland.

Und es wirft ein Licht auf die Arbeit der Jobcenter. Die Bundesagentur für Arbeit hat rund 110.000 Mitarbeitende, darunter 42.000 in den Jobcentern. „Wir wollen sicherstellen, dass die Jobcenter für die Eingliederung ausreichend Mittel zur Verfügung gestellt bekommen (und) stärken die Vermittlung in Arbeit“, steht im schwarz-roten Koalitionsvertrag. Jede Person soll zukünftig ein persönliches Angebot der Beratung, Unterstützung und Vermittlung erhalten. Klingt gut.

Weniger Bürokratie, mehr Vermittlung, so lautet die Empfehlung der Bertelsmann-Studie. Das gilt für den Sozialstaat insgesamt, der teuer, und vor allem ineffizient ist, mit 502 Förderleistungen. Diesen Dschungel zu lichten, ist viel schwieriger als eine Bürgergeldreform, die der SPD trotzdem schwerfällt.

„Ich habe keinen Bock auf Sanktionen“, bekannte die Parteivorsitzende und Sozialministerin Bärbel Bas gegenüber den Jusos und kündigte Nachverhandlungen an. Das wäre indes ein Fehler, denn auch die SPD möchte das überladene Thema endlich abhaken. Gründe dafür hat Bas selbst genannt. „Es geht für mich hierbei um den Kern sozialdemokratischer Politik: Gerechtigkeit.“ Der Missbrauch staatlicher Leistungen ist ungerecht. Das gilt auch für Steuertrickser, bei denen im Übrigen viel mehr zu holen ist als bei Bürgergeldbeziehern.

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