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Gruppenbild ohne einen Herrn: Die Kanzlerin (3. von rechts) mit den früheren Ausländerbeauftragten (von links) Cornelia Schmalz-Jacobsen (FDP, 1991-1998), Maria Böhmer (CDU, 2005-2013), Almuth Berger, der Ausländerbeauftragten der DDR in deren letzten Monaten, damals im Bürgerrechtsbündnis "Demokratie jetzt", neben ihr die aktuelle Amtsinhaberin Annette Widmann-Mauz (CDU), Merkel, Aydan Özoguz (SPD, 2013-2018) und Marieluise Beck (Grüne, 1998-2005)

© 360 Berlin

40 Jahre Ausländerbeauftragte: "Beharrlichkeit ist eine weibliche Eigenschaft"

Viel Prominenz beim Festakt zu 40 Jahren Ausländerbeauftragte. Jahrzehntelang hörte die Politik kaum auf die Fachfrauen. Und den Mann ganz am Anfang.

Die Migrationsgeschichte der Bundesrepublik war 1978 schon etwas älter: Nach dem Krieg galt es, Millionen geflüchtete Landsleute aus dem früheren Osten Deutschlands im Westen unterzubringen, 1955 dann begann mit dem ersten Anwerbevertrag zwischen Bonn und Rom die Ära der sogenannten Gastarbeiter. Nur neun Jahre später wurde in Köln der Millionste von ihnen begrüßt, der Portugiese Armando Rodrigues de Sá. Doch erst 1978, ein knappes Vierteljahrhundert später, meinte die Bundesregierung, damals eine sozialliberale unter dem SPD-Kanzler Helmut Schmidt, dass sich der Staat wohl doch etwas um sie und ihre Familien kümmern müsse. So wurde ein Amt mit einem langen Namen eingerichtet: Der "Beauftragte der Bundesregierung zur Förderung der Integration der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen".

Schon 1979 Bekenntnis zum Einwanderungsland

Erster Ausländerbeauftragter, wie er kurz und richtiger hieß, denn sein Aufgabengebiet waren in Wirklichkeit alle Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft, wurde ein Parteifreund Schmidts. Heinz Kühn hatte zuvor als Ministerpräsident Nordrhein-Westfalen regiert. Schon sein erster Bericht enthielt ein ehrgeiziges Programm. Kühns Denkschrift vom September 1979 trug den ebenfalls langen Titel "Stand und Weiterentwicklung der Integration der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen in der Bundesrepublik Deutschland". Und sie hatte es in sich: Lange bevor das politische Deutschland überhaupt das Wort Einwanderungsland in den Mund nahm, nannte Kühn die Sache beim Namen und mahnte, es sei "eine nicht mehr umkehrbare Entwicklung eingetreten", die "Mehrzahl der Betroffenen" seien "nicht mehr einfach 'Gastarbeiter' sondern 'Einwanderer' ..., für die eine Rückkehr in ihre Herkunftsländer aus den verschiedensten Gründen nicht wieder in Betracht kommt". Und er knüpfte Forderungen daran: "Die unvermeidliche Anerkennung der faktischen Einwanderungssituation macht eine Abkehr von den Konzepten der Integration 'auf Zeit' erforderlich. An ihre Stelle muß ein Maßnahmenbündel treten, das den Bleibewilligen die Chance zu einer vorbehaltlosen und dauerhaften Eingliederung eröffnet." Zu diesem Bündel sollten früher Deutschunterricht für Einwandererkinder gehören, veränderte Lehrpläne und -mittel, auch in der Berufsbildung, und ein Rechtsanspruch auf Einbürgerung für die zweite Generation, die in Deutschland geboren wurde oder aufwuchs.

Die Feinde der Vielfalt als "die wahren Integrationsverweigerer"

Kühns weitsichtiger Text, das "Kühn-Memorandum", wie dieser erste Bericht eines Ausländerbeauftragten später nur noch hieß, verschwand umgehend in den Bonner Schubladen. Die Bundesregierungen, erst die von Schmidt, ab 1982 dann die christdemokratisch geführte unter Helmut Kohl, verwandten ihre politische Energie auch weiter nicht auf Integration, sondern auf - meist erfolglose - Versuche, die unerwünschte Einwanderung zu begrenzen, die sie mit dem Abwerbestopp 1973 begonnen hatten. Schon der hatte vor allem Torschlusspanik ausgelöst. Wer konnte, holte noch rasch die Familie nach und gab die Absicht, zurückzukehren oder zu pendeln, zugunsten eines Lebens in Deutschland auf. Die Einwanderung verfestigte sich, wo man sie doch hatte begrenzen wollen.

Das war es, womit sich die späteren Ausländerbeauftragten konfrontiert sahen. Kühns erste Nachfolgerin, die FDP-Politikerin und frühere nordrhein-westfälische Wirtschaftsministerin Liselotte Funcke, warf 1991 nach zehn Jahren im Amt entnervt hin und begründete das mit "mangelnder Unterstützung" für ihre Arbeit. Erst ihre Grüne Nach-Nachfolgerin konnte sich über einen echten Quantensprung in der Migrationspolitik freuen: Marieluise Beck amtierte während der rot-grünen Jahre 1998 bis 2005, als gegen heftigen Widerstand des rechten Unionsflügels die Regierung Schröder das Staatsbürgerschaftsrecht reformierte. Nach fast dreißig Jahren war eine zentrale Forderung des Kühn-Memorandums verwirklicht, wenn auch in stark abgespeckter Form. Erst weitere Jahre später waren junge Migranten nicht mehr zu einer Wahl gezwungen, die vielen das Herz zerriss: Sich zwischen der Staatsbürgerschaft ihres Landes und der ihrer Eltern zu entscheiden.

Vieles damals Umkämpfte ist inzwischen lagerübergreifend geteiltes Wissen. Großen Applaus gab es beim Festakt an diesem Mittwoch im Berliner "Haus der Kulturen der Welt", als die aktuelle Amtschefin Annette Widmann-Mauz vom Beitrag der Gastarbeitergeneration zum deutschen Wirtschaftswunder sprach, von Vielfalt als Wert und als sie einen Seitenhieb nach rechts setzte: Die wahren Integrationsverweigerer seien die, die in Frage stellten, dass das Grundgesetz für alle gelte: "Die brauchen den Orientierungskurs für Demokratie und deutsches Verfassungsrecht!"

Das Mea Culpa der Kanzlerin

Es war auch der Moment der Verbeugungen vor der politischen Konkurrenz: Die Kanzlerin lobte Marieluise Beck, die recht gehabt habe damit, Migrationspolitik nicht als Minderheiten-, sondern als Gesellschaftspolitik zu verstehen. Auch für Schuldeingeständnisse war Zeit: Vor mehreren hundert Gästen, darunter die noch lebenden sechs bundesdeutschen "Ausländerbeauftragten" (seit 2005 ist das Amt das einer Staatsministerin für Migration, Flüchtlinge und Integration im Kanzleramt) und die erste überhaupt, die frühere Berliner Senatsbeauftragte Barbara John, formulierte Angela Merkel auch ein kleines Mea Culpa: Deutschland habe lange damit gehadert, sich als Einwanderungsland zu sehen. "Ich stehe hier für eine Partei, die besonders lange gebraucht hat", sagte die Kanzlerin, die gerade wenige Tage zuvor auf ihr Amt als CDU-Vorsitzende verzichtet hatte. Um hinzuzufügen, dass diese Christdemokraten - unter ihrer Führung, versteht sich - dann auch wieder vorn gewesen seien, als es nämlich zu Beginn ihrer Kanzlerschaft 2005 darum ging, das Amt der Beauftragten durch einen Platz im Kanzleramt aufzuwerten und sich dem Kapitel Integration zu widmen. Verpflichtende Deutsch- und Integrationskurse gibt es seit damals, es war die Amtszeit von Merkels Gefolgsfrau und ersten Beauftragten Maria Böhmer. Die freilich wenig Angriffslust im Amt entwickelte und sich einmal sogar zur Behauptung verstieg, es stimme nicht, dass der Staat zu wenig getan habe in all den Jahren. Damit war sie ziemlich allein in Politik und Wissenschaft, die in ihrer Mehrheit Jahrzehnte für migrationspolitisch verloren hält. Der Doyen der deutschen Migrationsforschung Klaus J. Bade sprach von "defensiver Erkenntnisverweigerung".

Seit langem eine Frauensache

Ein "pragmatischer Erfolgsfall", so Bade, sei die Integration von Millionen Einwanderinnen und Einwandern und ihrer Familien eher den Verhältnissen zum Trotz geworden. Wobei zeitlicher Abstand den Blick auch mildern kann. Die 70er und 80er Jahre seien von anderem beherrscht gewesen, sagte jetzt der Migrationsforscher und Leiters des Duisburger Zentrums für Türkeistudien, Haci-Halil Uslucan, im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Es habe den Ost-West-Konflikt gegeben, die Nachrüstung, den RAF-Terror und die Angst vor der Umweltkatastrophe. Manchmal, so Uslucan, der selbst als Kind einer Gastarbeiterfamilie 1973 nach Berlin kam, "denke ich sogar, dass das vielleicht gut so war, dass nicht auch hier noch ein Thema als innenpolitischer Sprengstoff gelesen wurde. Die Therapie eines Schmerzes ist oftmals ein größerer Schmerz".

Auf jeden Fall war das Gebiet eines, das all die Jahre ununterbrochen in der Hand von Frauen lag, ein kaum mit Geld und Personal versehenes "weiches Thema" so Uslucan, das in der Vergangenheit eher einen Karriereknick markierte als eine Karriereleiter aufstellte. Die Kanzlerin, beim Festakt sichtlich locker, hatte eine andere Erklärung dafür: Für den Job brauche es nun einmal eine Extraportion Beharrlichkeit, und: "Beharrlichkeit ist eine weibliche Eigenschaft". Das, so Merkel weiter, zeige sich "gerade in diesem Jahr". Schließlich feiere man 2018 auch hundert Jahre Frauenwahlrecht in Deutschland und den langen Weg dahin. Sollte schließlich bloß keine im Saal meinen, die Rednerin beziehe das mit der Beharrlichkeit auf sich selbst.

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