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Vom Nordturm des Doms aus ist am Sonntagmorgen die beleuchtende Magdeburger Innenstadt mit dem Hundertwasserhaus zu sehen. Am Horizont erhebt sich die Abraumhalde des Kaliwerks Zielitz.

© picture alliance/dpa/Stephan Schulz

Besondere Menschen, besondere Stadt: Eine kleine Liebeserklärung an Magdeburg

Die Stadt gehört nicht zu den ersten Adressen in Deutschland. Doch unser Autor hat sie lieben gelernt. Und gerade sie hat vielleicht die Chance, auch ein Trauma wie das des 20. Dezembers zu überwinden.

Richard Friebe
Ein Zwischenruf von Richard Friebe

Stand:

Hätte der Terrorist – ich muss ihn so nennen, denn egal welchen wahnsinnigen „Grund“ er gehabt haben mag, die Definition von Terror erfüllt das, was er angerichtet hat, voll und ganz – hätte er sich statt Freitag für Samstag oder Sonntag entschieden, wären meine Familie und ich vielleicht „dabei“ gewesen. Wir wollten dieses Wochenende auf den Weihnachtsmarkt nach Magdeburg.

Unsere Kinder, obwohl sie in Berlin geboren wurden, lieben Magdeburg. Wir auch.

Magdeburg. Für die meisten ist das eine Stadt weit weg, eine Oststadt, wenngleich sie weit westlich der meisten Orte in den neuen Bundesländern, und auch weit westlich von Berlin liegt. Sie macht auch nicht so viel her und von sich reden wie Dresden, Leipzig, Jena, Schwerin, Potsdam oder die neue europäische Kulturhauptstadt Chemnitz. Aber Magdeburg ist eine besondere Stadt. Eine, die man lieben lernen kann.

Wir leben in einem Dorf in Brandenburg, unweit der Landesgrenze zu Sachsen-Anhalt. Ich weiß nicht einmal, warum, aber irgendwann waren wir einfach öfters in Magdeburg. Die Kinder verliebten sich in den Elbauenpark, die Eltern in ein Hotel mit viel Park drumherum und nahe der Elbe. Und vieles mehr. Dazu Hundertwasserhaus, der Dom, der erste deutsche Kaiser namens Otto. Und der andere Otto, nach dem die Universität benannt ist: von Guericke, Physiker, Erfinder, Diplomat.

Dunkle Stunden kennt die Stadt

Letzterer durchlebte eine der dunkelsten Stunden der Stadt, ihre Zerstörung während der „Magdeburger Bluthochzeit“ 1631 im Dreißigjährigen Krieg. Er floh, kehrte zurück, wurde sogar Bürgermeister. Eine weitere dunkle Stunde schlug der ohnehin seit 1940 schon häufig bombardierten Stadt im Januar 1945, als bei einem britischen Luftangriff praktisch die gesamte Altstadt zerstört wurde und mehr als 2000 Menschen ums Leben kamen.

Von denen, die damals noch Kinder waren, leben noch heute viele in der Stadt. Sie stehen, wie Otto von Guericke, dafür, wie es auch nach jenen dunklen Stunden immer wieder weitergegangen ist.

Magdeburg, irrational

Als vor anderthalb Jahren mein Sohn einen schweren Unfall hatte, nannte der Notarzt im Hubschrauber zwei mögliche Ziele: Uniklinik Magdeburg, oder Potsdam. Die Kinder lieben Magdeburg, sagte ich, völlig irrational, und dorthin ging es dann eben.

Ein Kinderchirurg, der sicher gerade jetzt um die Leben und die Lebensperspektiven vieler Verletzter kämpft, flickte ihn noch in derselben Nacht wieder zusammen. Krankenschwestern und -pfleger, die sicher in diesem Moment Patienten der Katastrophe betreuen und mit Angehörigen sprechen und auch sie versorgen, besorgten mir noch in der Nacht einen Schlafplatz nahe der Kinder-Intensivstation. Mein Sohn wurde wieder gesund, und er liebt noch heute jenen Kinderchirurgen innig und spricht oft von ihm.

Wahrzeichen der Stadt: Der Magdeburger Dom.

© dpa/Peter Gercke

Wir hoffen, und ja: beten, dass auch all die, die verletzt wurden, auch wieder gesund werden. Und dass die, die jemanden verloren haben, irgendwie Trost finden.

Gerade die Kliniken in Magdeburg, wie wir sie erlebt haben und wie wir es von anderen wissen, die Menschen dort, sind ein Spiegel dessen, wie es in Deutschland heute ist, und wie man das Bestmögliche daraus macht.

Pakistanische Ärzte arbeiten neben deutschen Krankenschwestern, ukrainisches Pflegepersonal beruhigt aufgebrachte arabische Männergruppen in der Notaufnahme, aus Nordafrika stammende Reinigungskräfte machen gewissenhaft und eingehüllt in Schwaden von Desinfektionsmittel ihre täglichen beschwerlichen Runden durch die Krankenzimmer, und sie werden als Kollegen voll respektiert.

Soweit zumindest unser Eindruck nach mehreren Wochen auf den Stationen dort. Und unser Eindruck von der Stadt insgesamt und ihren Menschen ist ähnlich.

Die Hoffnung, das Trauma zu überwinden

Magdeburg hat viele Probleme, ja, und rechtsextreme Ansichten sind überall präsent, DDR-Verklärung auch. Aber irgendwie hat man dort den Eindruck, dass der Hass und Absurditäten wie das angebliche „Motiv“ des Täters dort weniger Chancen haben als anderswo, dass Zusammenleben und ruhig und ohne Aufsehens einfach seine Arbeit zu machen, möglich ist. So kann man zum Beispiel auch Champions-League-Sieger werden, wie zuletzt 2023 im Handball.

Hoffentlich wird Magdeburg, werden die Magdeburgerinnen und Magdeburger, so auch das Trauma dieser dunklen Stunde irgendwann überwinden, auch wenn es nicht rückgängig zu machen ist und in den Geschichtsbüchern stehen wird. Und hoffentlich werden sie denen, die solche Ereignisse gerne für ihre politischen Ziele nutzen, widerstehen.

Unsere Kinder wissen jetzt auch, was passiert ist, und wo. Und dass es auch sie hätte treffen können. Auch für sie wird Magdeburg nicht mehr das sein, was es war. Aber sie werden es weiter lieben. Und wir werden im Frühjahr in den Elbauenpark fahren und die Riesenrutschen rutschen und die Sommerrodelbahn rodeln. Und nächstes Jahr gehen wir dann auch auf den Weihnachtsmarkt.

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