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Die Zahl der Flüchtlinge nähert sich wieder dem Stand der Zeit vor 2014.

© Stefanie Loos/Reuters

Bis zu 30 Asylgesetze in fünf Jahren: Die unnötige Hektik der GroKo in der Flüchtlingspolitik

Den Bundestag beschäftigen ständig neue Gesetze zur Migrationspolitik. Opposition und Experten kritisieren das Tempo, obwohl es um gravierende Eingriffe geht.

Abgeordnete, zu deren Themen die Migrationspolitik zählt, konnten sich in dieser Woche wieder einmal nicht über Langeweile beklagen: Ein ganzes Bündel Gesetzesvorhaben stand auf der Tagesordnung des Bundestags. Am Donnerstagmittag ging es zunächst um das „Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht“, das das Haus Seehofer „Geordnete-Rückkehr-Gesetz" nennt, am Abend war dann das 3. Änderungsgesetz zum Staatsangehörigkeitsgesetz dran und bis kurz vor Mitternacht ging es noch um das Ausländerbeschäftigungsförderungs- und das Asylbewerberleistungsgesetz.

Der rasche Takt bis in die Nacht fühlt sich an, als handle der Bundestag unter dem Druck einer Notlage, zur Abwehr schwerer Übel, die alle von Asylbewerbern, jedenfalls aus dem Ausland drohen – erst recht, wenn man auf den Inhalt der Entwürfe schaut: Das „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ ist ein weiterer Anlauf, die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber zu erleichtern.

Mit der Änderung des Staatsbürgerschaftsrechts werden Deutsche, die einen zweiten Pass haben, den deutschen verlieren, wenn sie im Ausland in einer Terrormiliz kämpfen. Das neu gefasste Asylbewerberleistungsgesetz wird die Leistungen für einen Teil der Asylbewerber reduzieren - das Bundesverfassungsgericht hatte vor sieben Jahren dagegen das Existenzminimum für alle zur staatlichen Pflicht gemacht, unabhängig vom Aufenthaltsstatus.

Eine Verbesserung für Geflüchtete bringt das Beschäftigungsgesetz aus dem Hause von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Es öffnet ihnen, weitgehend unabhängig davon, welchen Aufenthaltsstatus sie haben, Sprachkurse und die Möglichkeit einer Berufsausbildung. Vorausgesetzt, sie dürfen arbeiten – den Kreis derer, die das dürfen, soll das Abschiebegesetz gerade einschränken.

Die Zahl derjenigen, die es nach Deutschland schaffen, ist zwar in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen und nähert sich nach den Spitzen 2015 und 2016 wieder langsam dem Stand der Zeit vor 2014. Nicht zurückgegangen ist allerdings der Eifer des Gesetzgebers auf dem Feld von Migration, Asyl und Ausländerpolitik: Je nach Zählung passierten mit den Stimmen von Union und SPD in den vergangenen fünf Jahren 20 bis 30 Gesetze zum Thema den Bundestag: von der Reform des Asylgesetzes im Oktober 2014, das einerseits Serbien, Mazedonien, Bosnien zu sicheren Herkunftsstaaten erklärte, andererseits Asylbewerbern erlaubte, schon nach drei Monaten zu arbeiten, bis zum ähnlichen Mix in dieser Woche.

Immer neue Abschiebegesetze

Dazwischen lagen die Asylpakete I und II (Oktober 2015 und März 2016): immer wieder neue sichere Herkunftsstaaten, Gesetze zur besseren Verarbeitung von Migrantendaten, die Einführung des Abschiebegewahrsams, Verlängerung der Aufenthaltsdauer in Erstaufnahmen, die Wiedereinführung von Sachleistungen statt Geld, Wohnsitzauflagen, die stark eingeschränkte Wiederaufnahme des Familiennachzugs für subsidiär Geschützte – die zeitweise ganz ausgesetzt war. Und immer wieder Abschiebeverschärfungen.

All dies begleitet von Gesetzen, die die Integration verbessern – wobei das Gros der Gesetzesliste weitaus öfter der Kontrolle, Einschränkung und Repression gewidmet war: So soll seit 2016 die 3-plus-2-Regel auch Geduldeten die Zeit für eine Ausbildung und anschließend zwei Jahre Berufstätigkeit geben.

Wenig Zeit für externe Experten

Und das Thema Migration bleibt auf der Tagesordnung des Bundestags. Zwischen sechs und zehn Vorhaben, je nach Zählung, kommen ins parlamentarische Verfahren. Die Opposition ächzt. Standard ist die inzwischen die Klage von Fachleuten, die der Bundestag anhört, sie hätten sich praktisch nicht vorbereiten können. Jetzt aber, sagt Filiz Polat, die Migrationsfachfrau der Grünen-Fraktion, „haben wir nicht einmal mehr Sachverständige einladen können“ – zwischen Einbringung und Anhörungstermin lag nicht einmal eine Woche.

Anfang Juni sollen sechs der Gesetzentwürfe abschließend an einem einzigen Tag „abgefrühstückt“ werden, wie es sarkastisch aus der Linksfraktion heißt. Das habe es noch nie gegeben. Was in dieser Woche anlag, tangiere fast durchweg den Kern der bundesdeutschen Verfassung, den Grundrechtskatalog, sagt Polat – am Donnerstag feierte das Parlament auch 70 Jahre Grundgesetz. „Es geht um Artikel 1, 2, 3“, so die Grüne. „Anscheinend setzt die Regierung auf die Ermattung jener Zivilgesellschaft, die sich jahrelang für Geflüchtete engagiert und gegen Repression protestiert hat.“

Der Bundestag am Donnerstag während der Debatte zu 70 Jahren Grundgesetz.
Der Bundestag am Donnerstag während der Debatte zu 70 Jahren Grundgesetz.

© Imago / Metodi Popow

Ihre Kollegin von der Linken, die innenpolitische Sprecherin der Fraktion Ulla Jelpke, sieht das ähnlich: „Gesetzesverschärfungen am laufenden Band haben Menschenrechtsorganisationen und humanitäre Flüchtlingshelfer mürbe gemacht.“ Dass selbst „drastische Gesetzesverschärfungen mittlerweile schon routinemäßig im Eiltempo durchgezogen“ würden, erschwere den Protest zusätzlich. „Obwohl selbst offizielle Zahlen etwas ganz anderes aussagen, ist es der Bundesregierung leider gelungen, angebliche Defizite bei Abschiebungen zu einem zentralen Thema der deutschen Politik aufzubauschen.“

Recht wird komplizierter, die Texte länger

Auch Jelpke verweist auf den Geburtstag des Grundgesetzes – und die Novelle des Asylbewerberleistungsgesetzes, das für etliche der Betroffenen Kürzungen vorsieht:. Es sei „schwer erträglich“, wenn zum 70. Jahrestag des Grundgesetzes ein Gesetz eingebracht würde, das „die Verletzung der Menschenwürde in Paragrafenform gießt“. Dass man „unerwünschten Flüchtlingen das menschenwürdige Existenzminimum verweigere“, sei „offener Verfassungsbruch zum 70. Jahrestag des Grundgesetzes – ein historischer Einschnitt in der langen Geschichte der Abschreckungspolitik in Deutschland“.

Daniel Thym teilt diese Generalkritik nicht. Aber auch er, Jura-Professor an der Uni Konstanz und Fachmann für Migrationsrecht, sagt: „Was in dieser Woche dem Bundestag vorliegt, ist schon ein Riesenkonvolut von zusammen 300 Seiten.“ Jura ist nun einmal kompliziert: „Aber die Komplexität hat ein Ausmaß erreicht, indem man sich leicht verfangen kann.“ Die Logik des Gesetzeschreibens auf dem Gebiet habe sich verändert: „Die Texte werden länger, mehr Details geregelt. Richterinnen und Richter hatten früher mehr Spielraum.“

Richtungsstreit in der Union

Und während „innerstaatlich Hektik“ herrsche, gebe es „in der europäischen Politik Stillstand“, sagt Thym. „Ein bisschen weniger in Deutschland, dafür mehr europäisch, würde der Sache nutzen.“ Zwar seien einige Gesetze auch hilfreich und machten die Dinge einfacher: „In der Ausbildungs- und Beschäftigungsduldung wurden viele Unklarheiten beseitigt, ähnlich wird das beim Fachkräftegesetz sein.“

Gleichzeitig gebe es aber eine Umsetzungslücke, eine Kluft zwischen Rechtslage und -praxis: „Und wenn etwas in der Ebene nicht ankommt, bringt es wenig.“ Thym nennt die Ausweitung der Abschiebehaft: Da werde im Bund gerade „riesig politisch investiert. Das bleibt aber ungenutzt, weil die Länder nicht bereit sind, es umzusetzen.“ 

Warum dies so ist, warum die Regierung in der Einwanderungspolitik immer noch im Notstandsmodus zu sein scheint, obwohl die Lage von 2015/16 nicht mehr die heutige ist? Die Grünen-Abgeordnete Polat erklärt es mit dem internen Richtungsstreit innerhalb der Union und dem Versuch der Konservativen von der „Werte-Union“, ihn am Ende der Ära Merkel zu gewinnen: „Alle diese Gesetze rechnen mit Angela Merkel ab. Sie sollen einen angeblichen Notstand heilen, der aus Sicht der Werte-Union 2015 entstanden sein soll.“

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