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„Bisher nicht geliefert“: Wirtschaftsweise Grimm macht Regierung Merz schwere Vorwürfe
Die Koalition müsse endlich tiefgreifende Reformen anpacken, sagt die Ökonomin. Stattdessen würden Wahlgeschenke verteilt. Deutschland entferne sich „immer weiter von der Wettbewerbsfähigkeit“.
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Am Mittwoch ist die schwarze-rote Bundesregierung unter Kanzler Friedrich Merz (CDU) 100 Tage im Amt. Ganz oben auf der Agenda der Koalition aus CDU/CSU und SPD sollte die schwächelnde deutsche Wirtschaft stehen, diverse Maßnahmen sollten eine neue Dynamik entfalten. Eine Expertin zieht nun eine ernüchternde Zwischenbilanz.
„Deutschland muss endlich seine Hausaufgaben machen, tiefgreifende Reformen anpacken“, sagte die Wirtschaftsweise Veronika Grimm den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Stattdessen werde Geld verteilt – etwa bei der Rente, Vergünstigungen bei Agrardiesel und für Gastwirte.
„Schwarz-Rot senkt die Gaspreise, aber nicht die Stromsteuer für alle. Man hat das Gefühl, dass die Orientierung noch nicht da ist“, kritisierte Grimm, die Mitglied im Sachverständigenrat der Regierung zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ist.
Deutsche Unternehmen werden von einem wahren Regulierungsdickicht ausgebremst.
Veronika Grimm, Wirtschaftsweise
„Aber es werden so viele Wahlgeschenke verteilt, dass jetzt riesige Haushaltslöcher klaffen – und eher über Steuererhöhungen geredet wird.“ Deutschland entferne sich „immer weiter von der Wettbewerbsfähigkeit“, sagte Grimm weiter. Zwar habe die Wirtschaft die Hoffnung auf Besserung und einige Stimmungsindikatoren gingen nach oben. „Aber die Regierung hat bisher nicht geliefert.“
Grimm rechnet mit einem weiteren Abschwung in Deutschland. „Ich bin für 2025 nicht besonders optimistisch. Wenn es ungünstig läuft, rutscht Deutschland weiter in die Rezession.“ Die Unsicherheit sei groß, „wir sehen noch nicht klar, wohin die Handelskonflikte führen werden“. Offiziell hat der Sachverständigenrat für das laufende Jahr 0,0 und für das kommende 1,0 Prozent Wachstum prognostiziert.
Grimm forderte Steuersenkungen für Unternehmen sowie den Abbau von Regulierung – „von den Rahmenbedingungen am Arbeits- und Wohnungsmarkt über die Regelungen zum Klimaschutz bis zum Datenschutz“. Stattdessen werde neue Bürokratie aufgebaut wie bei der Verlängerung der Mietpreisbremse oder dem Tariftreuegesetz. „Deutsche Unternehmen werden von einem wahren Regulierungsdickicht ausgebremst“, beklagte sie.
Grimm unterstützt Reiche bei Lebensarbeitszeit
Die Nürnberger Ökonomieprofessorin schloss sich zudem der umstrittenen Forderung von Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) an, die Bundesbürger müssten mehr und länger arbeiten. Es müssten Anreize gesetzt werden, damit die Menschen später in Rente gingen. „Man müsste das Renteneintrittsalter an die längere Lebenserwartung anpassen.“ Das stärke die Rentenversicherung, „ohne dass wir die Rente mit 70 sofort haben“.
Grimm sagte weiter: „Legt man die mittleren Annahmen des Statistischen Bundesamtes zur Lebenserwartung zugrunde, so ergibt sich erst um 2070 ein Rentenalter von 69.“ Wichtig sei außerdem, die Bestandsrente mit der Inflation steigen zu lassen statt mit den Löhnen.
In der Debatte um die Rente hatte Wirtschaftsministerin Reiche gesagt, die Lebensarbeitszeit in Deutschland müsse steigen. Der demografische Wandel und die weiter steigende Lebenserwartung machten das „unumgänglich“. Es könne „auf Dauer nicht gut gehen, dass wir nur zwei Drittel unseres Erwachsenenlebens arbeiten und ein Drittel in Rente verbringen“.
Grimm warnte vor falschen Weichenstellungen. Die Tragfähigkeit der Rentenversicherung werde „nicht unbedingt durch mehr Zuwanderung verbessert“, sagte sie. „Die Zuwanderer erwerben ja auch Rentenansprüche.“
Grimm gegen Beamte in der Rentenversicherung
Aktuellen Zahlen zufolge erhielten 2024 rund 22,3 Millionen Menschen in Deutschland Leistungen aus der gesetzlichen, privaten oder betrieblichen Rente. Das waren 0,75 Prozent mehr als im Vorjahr. Ausgezahlt wurden den Angaben zufolge insgesamt rund 403 Milliarden Euro, das waren 5,7 Prozent mehr als im Vorjahr.
Grimm sagte weiter, wer Beamte in die Rentenversicherung integrieren wolle, löse das Problem ebenfalls nicht. Es bestehe die Gefahr, „dass man hoch qualifizierte Mitarbeiter in den Ministerien mit der Erarbeitung von Scheinlösungen befasst“.
Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas hatte vorgeschlagen, Beamte und Politiker in die Deutsche Rentenversicherung einzahlen zu lassen. Dieser Vorstoß der SPD-Co-Chefin wird vom Koalitionspartner CDU/CSU kategorisch abgelehnt.
Bas äußerte Zweifel daran, dass die Empfehlungen der geplanten Rentenkommission noch vor der nächsten Bundestagswahl in die Praxis umgesetzt werden. „Welche Pflöcke wir in dieser Regierung noch einschlagen können, werden wir sehen. Alles andere ist dann Sache der nächsten Regierung“, sagte sie der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ einem Vorabbericht zufolge.
Die Rentenkommission solle wie im Koalitionsvertrag vorgesehen Anfang 2026 starten und ihre Ergebnisse 2027 vorlegen. Bas betonte, dabei gehe es vor allem um die Zukunft und die Frage, was über die laufende Legislatur hinaus benötigt werde.
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