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Zumundest halbwegs echt. Susanne Eisenmann, Spitzenkandidatin der CDU in Baden-Württemberg, kämpft via Computerscreen um Stimmen.

© Sebastian Gollnow /dpa

Digitaler Wahlkampf: Bits und Beerebumbes

Wie gelingt in pandemischen Zeiten Bürgernähe auf Distanz? Ein Ausblick auf das digitale Superwahljahr 2021.

Stand:

Andrea Römmele ist Professorin für Kommunikation in Politik und Zivilgesellschaft an der Hertie School in Berlin.

Die rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer hat sich ein Wohnzimmer bauen lassen. Aus diesem Wohnzimmer in einem Studio in Mainz hat sie die Wahlkreise von Rheinland-Pfalz virtuell bereist, hat mit allen Kandidatinnen und Kandidaten etwa eine Stunde lang geplaudert.

Gestreamt wurde unter anderem über Youtube. Dreyer hat erzählt, was sie an ihrem Geburtstag gemacht hat und hat sich vom Wahlkreiskandidaten aus Kusel erklären lassen, warum der „Beerebumbes“ (wie in seiner Region der Birnenwein heißt) gegen den Klimawandel hilft, weil nämlich für die Produktion Birnbäume in die Weinberge gesetzt werden, das sei eine Form der Aufforstung. Wahlkampf in Pandemiezeiten.

An diesem Sonntag werden in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg neue Landtage gewählt. Damit geht eine erste Etappe in diesem Superwahljahr zu Ende - und die ersten Digitalwahlkämpfe des Jahres 2021.

Manche von Malu Dreyers Couchtalk-Videos haben auf Youtube 300 Aufrufe, andere 900. Aber reicht das? Kann die digitale Couch die echte Begegnung mit den Menschen ersetzen? Eine erste Studie zu diesem Digitalwahlkampf und die Erfahrungen der vergangenen Wochen zeigen zwar, dass diese Form des politischen Wettbewerbs nicht aussichtslos ist, aber doch sehr schwierig.

Volatiles Wahlverhalten

In den vergangenen Jahren ist die Parteiidentifikation gesunken, das Wahlverhalten wird volatiler. Das heißt im Umkehrschluss: Wahlkämpfe werden immer wichtiger. Wählerinnen und Wähler sind unabhängiger und offener für Einflüsse, weil ihre Wahlentscheidungen in zunehmendem Maße wechseln und oft erst direkt vor der Wahl getroffen werden.

Die gute Nachricht für die Parteien in der Pandemie: Natürlich geht Wahlkampf auch mit Aha-Regeln - auf Abstand. Einige Angebote lassen sich ins Netz transportieren. Die Parteien haben ihre Digitalbudgets alle erhöht. Kandidatinnen und Kandidaten twittern, drehen Videos, sind auf Instagram und Tiktok unterwegs und die Parteizentralen werden zu Aufnahmestudios für Podcasts.

Für manche Bürgerinnen und Bürger ist es vielleicht auch attraktiver, an einer virtuellen Veranstaltung teilzunehmen. Das Angebot lässt sich bequem vom Sofa verfolgen. Viele Wählerinnen und Wähler bewegen sich aber nicht so selbstverständlich im Netz, als dass sie diese Formate erreichen würden.

Trotz Medialisierung und Digitalisierung spielt in Deutschland der Straßenwahlkampf, die Diskussion vor Ort auf dem Marktplatz, in den Gemeindehallen, am Straßenstand traditionell eine große Rolle – sogar dem Haustürwahlkampf wurde immer mehr Bedeutung zugemessen. Die politische Psychologie zeigt immer wieder: Das direkte Gespräch ist wichtig. Mit Menschen zu sprechen, hat einen enormen Einfluss auf die Meinungsbildung, und zwar umso mehr, je näher man sich den Leuten fühlt, mit denen man spricht. „Nah bei den Leuten“ – so lautet nicht nur das Wahlkampfmotto von Malu Dreyer, so lässt sich Wahlkampf in Deutschland generell zusammenfassen.

Die Mehrheit nutzt klassische Medien

Eine Studie des Meinungsforschungsinstituts Forsa und der Universität Hohenheim scheint das zu bestätigen. Die Wissenschaftler haben ausgewertet, über welche Medien die Menschen den Wahlkampf in Baden-Württemberg wahrgenommen haben. Das Ergebnis: Eine Mehrheit informiert sich weiterhin über die „klassischen“ Medien, über Fernsehen, Radio und Tageszeitung über die Landespolitik.

Internetplattformen werden am seltensten genutzt, Wahlwerbung über Facebook erreicht nur jeden fünften befragten Wahlberechtigten in Baden-Württemberg wahrgenommen. „Jüngere“ Kanäle wie YouTube, Instagram, WhatsApp und TikTok sind noch weniger relevant, nur jede zehnte kommt hier mit Wahlwerbung in Berührung. Am häufigsten wird das gute alte Wahlplakat registriert: 68 der Befragten sagten, sie hätten so Botschaften der Parteien wahrgenommen.

Doch neben den technischen Unwägbarkeiten geht für viele das verloren, was Wahlkampfveranstaltungen eigentlich ausmachen: das zufällige Gespräch, die zufällige Begegnung, die eben dann stattfindet, wenn in den Fußgängerzonen und auf den Marktplätzen Kugelschreiber verteilt werden. Wenn man auch diejenigen trifft, die einem auf der Parteiveranstaltung eher nicht begegnen werden. Wahlkampf bedeutet immer auch das Aufeinandertreffen von unterschiedlichen Sichtweisen. Das passiert nicht nur im TV-Duell, sondern auch am Wahlkampfstand. Es gibt wenig Plätze, wo Grüne und Konservative, Sozialdemokraten und Liberale so schnell in die Debatte kommen. All das fehlt uns dieses Jahr.

Und noch etwas wird sich verändern, was wir schon bei der digitalen Version des politischen Aschermittwochs oder den digitalen Parteitagen vermisst haben: Die Stimmung. Politik mag uns zuweilen etwas nüchtern erscheinen, aber sie ist immer mit Leidenschaften verbunden. Die CSU hat zwar vorgemacht, wie man mit kleinen Gimmicks und einigen versteckten Anspielungen die politische Konkurrenz trotzdem hinter sich lassen kann, aber die typische Atmosphäre geht verloren.

Intuition statt Feedback

Wer am Rednerpult steht, bekommt kein Feedback mehr auf seine Aussagen, muss sich auf seine Intuition verlassen und wird sicherlich auch etwas vorsichtiger sein. Vieles, was man in einem vollbesetzten Saal mit langem Applaus sagen kann, klingen merkwürdig oder sogar verstörend, wenn auf sie überhaupt keine Reaktion folgt. Attacken und Spitzen gegen den politischen Gegner benötigen das hämische Lachen, das empörte Aufschreien oder den andauernden Applaus.

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Das fehlende Feedback aus dem Saal bekommen die Kandidatinnen und Kandidaten dafür umso deutlicher online. Die Logiken des Internets – inklusive Empörungsspiralen und Shitstorms – werden auch im Wahlkampf keine Pause einlegen. Hier fällt das Feedback deutlicher aus, während man sehr viel weniger Kontrolle über die Kommunikation hat. Wer schon länger digital unterwegs ist, die Formate und Netzwerke beherrscht und vor allem eine große Followerzahl hat, ist hier klar im Vorteil. Nicht nur, weil die Reichweite ungleich höher ist, sondern auch, weil man im besten Fall bereits ein Netzwerk aus Unterstützern hat.

Die Wahlkämpfe 2021 werden aber trotz und wegen digitalen Formaten einige Überraschungen bereithalten. Die Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer und Parteizentralen hatten Zeit sich auf diese ungewöhnliche Situation vorzubereiten. Und egal wie viele Wahlkämpfe man schon ausgefochten hat: Es ist sowieso jeder anders. In diesem Wahlkampf, das zeichnet sich nach den moralischen Fehltritten der Unionsabgeordneten Nikolas Löbel und Georg Nüßlein schon ab, geht es für die Union, aber auch für alle anderen Parteien darum, das zerstörte Vertrauen wiederherzustellen. Das wird ohne den direkten Kontakt noch schwieriger werden. Deshalb gilt in diesem, wie auch in allen anderen Wahlkämpfen: Ohne Kreativität wird es nicht klappen.

Andrea Römmele

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