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Bitte nicht scholzen!: Jetzt zeigt sich, wie sträflich die Grünen mit ihren Möglichkeiten umgegangen sind
Der Trend in Wahlen und Umfragen führt abwärts. Wenn die Grünen den aufhalten wollen, dann müssen sie sich – besser – erklären. Sich und ihre geänderten Positionen.

Stand:
Wie sagt man so schön? Sie sind sich nicht mehr grün. Und meint damit, dass man einander nicht mehr leiden kann. Bei der Ampelkoalition, also den Partnern untereinander, stimmt das in jedem Fall. Die Folgen sind unübersehbar: ein allmählicher Zerfall.
Aber auch bei den Grünen ist der Eindruck nicht ganz falsch: Viele ihrer Wähler erkennen sie nicht wieder. Deshalb nimmt deren Zahl wohl auch so ab.
Weil die Führung das erkennt, unternimmt sie jetzt mit einem Positionspapier auf einer Fraktionsvorstandsklausur eine Anstrengung, den Trend aufzuhalten. Einen, der den Grünen ja auf Dauer wirklich gefährlich werden kann.
Die Umfrage- und Ergebniskurve bei Wahlen zeigt nach unten, seit längerem schon. Bundesweit sind zehn Prozent plus x keine gute Ausgangsbasis für einen Wahlkampf mit großen Ambitionen. Das zum Erfolg zu schönen, würde nicht einmal Silberzunge Robert Habeck gelingen.
Jetzt zeigt sich, wie sträflich die Partei mit ihren Möglichkeiten umgegangen ist, sich in der Mitte auszudehnen und zu etablieren. Bis zu 27 Prozent waren es vor der vergangenen Bundestagswahl, eine Verheißung. Nicht einmal 15 Prozent sind es geworden, weil der Wahlkampf nichts von dem hielt, was sich die Menschen von den Grünen versprachen.
Anbiederung kostet die Grünen Stimmen
Aber heute? Ein neuer Anlauf wird unternommen, allerdings von noch niedrigerem Niveau. Womit die Herausforderung noch größer wird. Die Grünen als Versprechen – das gelingt aber nur, wenn jetzt eine generelle Haltung mit stark geänderten Positionen in einzelnen Sachfragen versöhnt wird.
Manche sagen: Bei den Grünen scholzt es auch ganz schön. Nun ist es auch nicht ganz einfach, im Wunsch, den Menschen näherzukommen, sie in ihren Alltagssorgen wahrzunehmen, nicht zugleich holzschnittartig und populistisch zu klingen.
Gut, dass die Grünen die Lebenserfahrung aus dem Alltag außerhalb ihrer Blase einfließen lassen wollen. Damit können sie zur Konkurrenz links wie rechts der Mitte werden – aber nicht, ohne dass sie sich erklären.
Stephan-Andreas Casdorff, Tagesspiegel-Herausgeber
Anbiederung durch zu platte Vereinfachung kostete sie nämlich Stimmen dort, wo sie stark werden wollen. Nicht zu vergessen: Das Bildungsbürgertum und die bürgerliche Mitte fährt ja eigentlich auf Grün ab. Das gilt übrigens links wie rechts. Grüne sind nicht zuletzt die Kinder von Christdemokraten.
Wer sie heute hört, hört aber schon wieder nichts davon, wie die Grünen die Brücke schlagen wollen. Da werden stattdessen schlicht Positionen mitgetragen, bei denen vielen der Mund offen stehen bleibt. Ein Beispiel: Die selbsternannte Menschenrechtspartei stimmt klaglos zu, dass Deutschland Menschen nach Afghanistan abschiebt, in dem die erbarmungslosen Taliban regieren.
Man kann mit Fug und Recht argumentieren, dass jegliche Abschiebungen angesichts fortdauernder grausamer Menschenrechtsverletzungen völkerrechtswidrig sind. Wer es trotzdem tut, ist beweispflichtig, dass es danach kein Problem gibt. Von den Grünen kommt der Beweis nicht.
Sie setzen jetzt vor allem auf eine klare Sprache, auf allen Feldern. Auf dem der Migration fällt es schon auf: „Nichtdeutsche Gefährder konsequent abschieben“, „absolute Härte gegen islamistische Straftäter“, „null Toleranz gegenüber Gefährdern“, „schwerkriminelle Ausländer haben jeden Anspruch verwirkt“ – die Liste ließe sich ordentlich verlängern.
Hinzu kommen Forderungen wie die nach einem Sondervermögen für Innere Sicherheit, Stichwort Zeitenwende. Oder nach Grundgesetzänderungen für die Sicherheitsarchitektur. Nach gestärkter Zusammenarbeit und mehr Kompetenz für den Verfassungsschutz gegen „Feinde“ der Demokratie – dass CSU-Chef Markus Söder trotzdem nicht mit den Grünen gemeinsame Sache machen will, verwundert da schon fast.
Dennoch bleibt: Sprache folgt dem Inhalt. Gut, dass die Grünen die Lebenserfahrung aus dem Alltag außerhalb ihrer Blase einfließen lassen wollen. Damit können sie zur Konkurrenz links wie rechts der Mitte werden – aber nicht, ohne dass sie sich erklären, in der Partei und gegenüber der Wählerschaft klären, wohin sie das inhaltlich führt. Gemeinsam.
Die Grünen selbst müssen sich schon noch grün sein. Da reicht eine Fraktionsvorstandsklausur nicht aus.
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