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Nicht ganz einig: Kanzler Olaf Scholz zwischen Stephan Weil (links), Ministerpräsident von Niedersachsen, und Hendrik Wüst, Regierungschef in Nordrhein-Westfalen.

© Reuters/Michele Tantussi

Eine Milliarde – und dann?: Beim Flüchtlingsgipfel müssen die Länder zurückstecken

Die Ministerpräsidenten hatten sich deutlich mehr erhofft. Aber Kanzler Olaf Scholz und Finanzminister Christian Lindner geben sich hart.

Olaf Scholz ließ sich am späten Mittwochabend lange Zeit, bis er in der Pressekonferenz zu dem Punkt kam, weswegen sich die Ministerpräsidenten mit ihm getroffen hatten. Die Länder wollten eine neue Regelung der Finanzierung der Flüchtlingskosten – und mehr Geld für sich und die Kommunen.

Aber der Kanzler redete zunächst über neue Migrationspartnerschaften, Rückkehrvereinbarungen, Georgien und Moldau als sichere Staaten, die Bewachung der Binnengrenzen, die Beschleunigung der Asylverfahren – kurz: über die neue asyl- und flüchtlingspolitische Agenda seiner Regierung.

Erst danach sprach er an, was die Länder als Niederlage empfinden mussten. Der Bund stockt die Flüchtlingspauschale in diesem Jahr zwar um eine Milliarde auf dann 3,75 Milliarden Euro auf. Dem Systemwechsel zu einer flexibleren Finanzierung der Flüchtlingskosten stimmte er aber nicht zu.

Geld für die Kommunen

Ganz ohne zusätzliches Geld vor allem für die Kommunen, so viel war klar, würde der Bund-Länder-Gipfel nicht enden. Zu stark ist der Anstieg der Flüchtlingszahlen seit einem Jahr, um deren Probleme zu ignorieren (und zwar ohne die Schutzsuchenden aus der Ukraine, deren Versorgung der Bund ohnehin zum großen Teil schon finanziert).

Aber die Ampelregierung hat größte Mühe bei der Aufstellung eines gedeckten Haushalts für 2024, das Jahr, auf das die Länder mit ihrer Hauptforderung zielten, wieder (wie vor 2021) in ein atmendes System bei der Flüchtlingsfinanzierung einzusteigen.

Will heißen: Die Bundesmittel fließen dann nicht als fixe Gesamtpauschale, sondern sind abhängig von den tatsächlichen Flüchtlingszahlen. Und weil diese derzeit wieder steigen, muss der Bund mit Mehrkosten kalkulieren. Weshalb Scholz und Finanzminister Christian Lindner (FDP) sehr hart blieben vor der Runde am Mittwoch.

Die Ministerpräsidenten standen so vor der Frage, ob sie ebenfalls stur bleiben (dazu neigten die Unions-Regierungschefs) oder ob sie sich bewegen (eine Linie der SPD-Länder). Es ist letztlich Ansichtssache, ob sie vor dem Gespräch im Kanzleramt einknickten oder auf den Bund zugingen.

Jedenfalls einigten sich die Länderchefs, die Aufstockung der Jahrespauschale für 2023 um eine Milliarde Euro zu akzeptieren. Deutlich weniger also als das ursprüngliche Ziel, dem Bund Zugeständnisse im Umfang von 2,5 Milliarden Euro abzuknöpfen.

Atmendes System

Die eine Milliarde, so die Vereinbarung nach Informationen des Tagesspiegels, soll der zusätzlichen Entlastung der Kommunen und der Digitalisierung der Ausländerbehörden dienen. Bislang gibt der Bund pauschal 1,5 Milliarden Euro für Ukraine-Flüchtlinge und 1,25 Milliarden für alle anderen.

Aber vom atmenden System wollten die Ministerpräsidenten nicht lassen. In das Gespräch gingen sie daher mit der Forderung, spätestens im November müsse eine neue Bund-Länder-Runde zusammenkommen, um über die konkrete Umsetzung eines solchen Systems „abschließend zu beraten“. Neben einer monatlichen Pro-Kopf-Pauschale nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sollte dazu auch die volle Übernahme der Kosten für die Unterkunft der Flüchtlinge durch den Bund stehen.

Beide Seiten wägen ab

Am Abend im Kanzleramt verliefen die Gespräche zäh. Die eine Milliarde genügte vor allem den Unions-Politikern nicht, sie wollten den Systemwechsel möglichst verbindlich in der Beschlussfassung sehen.

Die Ampel-Seite musste nun abwägen: Ein striktes Nein könnte es CDU und CSU ermöglichen, die Sache in der Öffentlichkeit als Kalte-Schulter-Politik der Bundesregierung vorzuführen. Aber das atmende System muss auch im Etatentwurf 2024 verankert werden, weshalb Scholz und Lindner sich hier nicht früh festlegen lassen wollten.

Das Ergebnis ist allenfalls ein lauer Kompromiss. Das Beschlusspapier stellt fest, was die Länder unter einem atmenden System verstehen. Und es stellt fest, dass aus Sicht des Bundes ein solches flexibles System bereits etabliert sei.

Vereinbart ist nun zwar, dass im November über die Frage entschieden werden soll. Eine Arbeitsgruppe, die im Juni einen Zwischenbericht liefert, soll diese Entscheidung vorbereiten. „Ein erster Schritt und ein Fahrplan“, stellte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) nüchtern fest. „Mehr war heute eben nicht drin.“

Was es brauche, sei aber kein wiederkehrendes politisches Feilschen, sondern Klarheit und Verlässlichkeit. Das Ergebnis sei nicht ausreichend, sagte Wüst. In etwas freundlichere Worte kleidete Stephan Weil, der niedersächsische Ministerpräsident von der SPD das aus Sicht der Länder und Kommunen magere Resultat. Es gebe nun einen „Prozess, wie wir zu einer gemeinsamen Meinung gelangen können“.

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