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Es könnte in einem Jahr noch enger werden im Bundestag.

© Michael Kappeler/dpa

„Extrawurst für die Union“: Bundestag beschließt neues Wahlrecht

Mit den Stimmen von Union und SPD ist das Wahlrecht geändert worden. Ein noch größerer Bundestag ist nicht ausgeschlossen. Die Opposition schäumt.

Anfang Dezember wird der Bundestag den Haushalt für 2021 verabschieden. Am Donnerstagabend hat das Parlament das neue Wahlrecht beschlossen. Zwischen beiden Abstimmungen besteht ein gewisser Zusammenhang: Denn auch mit dem neuen Wahlgesetz der schwarz-roten Koalition ist nicht klar, wie groß der Bundestag sein wird, der im September 2021 gewählt werden soll.

Im Etatentwurf wird lediglich festgestellt, dass er jetzt 709 Abgeordnete hat. Für die Bezüge der Abgeordneten sind 483,5 Millionen Euro eingestellt, in diesem Jahr liegt das Soll bei 474,8 Millionen. Ob das kleine Plus von 8,7 Millionen Euro schon für mehr Abgeordnete im letzten Quartal des kommenden Jahres eingeplant ist, lässt sich dem Entwurf nicht entnehmen. Es wäre unter Umständen auch zu wenig.

Dämpfungseffekt: Zehn Mandate

Denn nach den aktuellen Umfragen der größeren Institute ergibt sich im Schnitt auf der Basis des reformierten Gesetzes ein Parlament mit 748 Abgeordneten. Nach dem nun abgelösten Wahlrecht wären es 758 Sitze (die Zahlen liefert das Rechenportal „mandatsrechner.de“). Was zeigt, dass mit einem noch größeren Parlament zu rechnen ist als jetzt mit 709 Sitzen – die „Normalgröße“, auch nach dem schwarz-roten Gesetz, liegt bei 598 Sitzen. Zudem ist der Dämpfungseffekt, den sich CDU, CSU und SPD ausgedacht haben, angesichts der Differenz von zehn Sitzen offenkundig recht gering. Doch können schon relativ kleine Bewegungen bei den Ergebnissen der Parteien recht große Wirkung haben – nach unten wie nach oben. So kann der künftige Bundestag durchaus deutlich weniger als 700 Sitze haben, aber eben auch deutlich mehr als 800.

Kein Vollausgleich mehr

Mit zwei Dämpfungsschritten erreicht das neue Wahlgesetz die moderate Verringerung gegenüber dem alten Recht, ohne im System viel zu ändern. Zum einen wird der zur Wahl 2013 eingeführte Vollausgleich von Überhängen wieder zurückgenommen. Nun soll der Ausgleich erst nach dem dritten Überhangmandat beginnen – was zu einer leichten Verzerrung des Parteienverhältnisses führt und nach aktuellem Stand CDU und CSU mehr Mandate beschert, als ihr nach dem reinen Zweitstimmenergebnis zustünden.

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Zweitens sollen Überhänge mit Listenmandaten verrechnet werden – es müssen also Länder ohne Überhänge „bezahlen“ für Länder mit Überhängen. Mutmaßlich wird das im kommenden Jahr allein für die CDU gelten. Damit es dann nicht dazu kommt, dass eine CDU-Liste gar nicht zieht (etwa in Hamburg oder Bremen), gibt es eine Art Landeslistengarantie – was den Dämpfungseffekt dieses Schritts dämpft. Bei CSU-Überhängen wirkt die Maßnahme gar nicht, weil es nur eine Landesliste der Partei gibt.

Weniger Wahlkreise ab 2025

Der weitestreichende Eingriff, um der weiteren Aufblähung des Bundestags entgegenzuwirken, soll nach dem Willen der Koalition erst zur Wahl 2025 greifen: Die Verringerung der Wahlkreiszahl von 299 auf 280. Hier haben FDP, Linke und Grüne in ihrem Reformplan vor allem angesetzt, aber die Verringerung auf 250 Wahlkreise erschien der Koalition zu extrem. Der Entwurf sah zudem eine Erhöhung der Mindestsitzzahl von 598 auf 630 vor und ein Zuteilungsverfahren, das eine stärkere Verrechnung von Überhängen mit Landeslisten vorsieht (was den Länderproporz noch stärker tangiert hätte als das Koalitionsgesetz).

Der Vorschlag der AfD läuft dagegen einigermaßen verlässlich auf die Größe von 598 Sitzen hinaus. Vereinfacht gesagt wird die Mehrheitswahlkomponente mit garantierten Direktmandaten ersetzt durch eine Erststimmenreihung der Wahlkreissieger, wobei in Ländern mit Überhängen die mit den schlechtesten Prozentergebnissen im Wahlkreis gekappt würden.

Um sich gegen den Vorwurf zu wappnen, errungene Direktmandate dürften nicht aberkannt werden, spricht die AfD von „qualifizierten Wahlkreiskandidaten“, denen grundsätzlich, aber nicht immer ein Direktmandat zusteht. Zudem sieht der AfD-Entwurf offene Parteilisten vor, innerhalb derer die Wähler drei Stimmen auf Kandidaten verteilen dürfen.

"Extrawurst für die Union"

Die Opposition hält vom Koalitionsgesetz wenig, wie die Schlussdebatte nochmals zeigte. Als „absoluten Schuss in den Ofen“ bezeichnete der FDP-Politiker Konstantin Kuhle das neue Gesetz. „Unter dem Applaus der SPD wird hier eine Extrawurst für die Union gebraten.“ Die Grünen-Parlamentsgeschäftsführerin Britta Haßelmann sprach von einer Zumutung, "handwerklich grottenschlecht“. Für die Linksfraktion ist das Gesetz eine „dreiste Selbstbedienung der Union“. Der AfD-Abgeordnete warf der Koalition ein „zusammengenageltes Stückwerk“ vor. Der CDU-Mann Phillipp Amthor hielt den Zweifeln der Opposition (und auch vieler Experten) entgegen, man sehe einer verfassungsrechtlichen Überprüfung entspannt entgegen. Und der CSU-Parlamentarier Michael Frieser befand, das neue Wahlrecht „muss nicht jedem gefallen“.

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