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FDP-Chef Christian Lindner und Grünen-Chefin Annalena Baerbock.

© dpa

Update

Organspende-Abstimmung im Bundestag: Würden sie spenden? Was Lindner, Baerbock und andere Abgeordnete sagen

Das Thema Organspende ist im Bundestag umstritten. Wir haben sechs Bundestags-Abgeordnete vor der Abstimmung am Donnerstag nach ihrer Ansicht befragt.

Am Donnerstag hat der Bundestag über ein neues Gesetz zur Organspende abgestimmt und die Widerspruchslösung von Gesundheitsminister Jens Spahn abgelehnt. 292 Abgeordnete stimmten für die Widerspruchslösung, 397 dagegen. Angenommen wurde dagegen die erweiterte Zustimmungslösung, die unter anderem Grünen-Chefin Annalena Baerbock eingebracht hatte. Was Sie über die Zustimmungslösung wissen müssen und was sich jetzt ändert, erfahren Sie an dieser Stelle.

Die Positionen zur Organspende sind sehr unterschiedlich und gehen quer durch die Parteien. Wir haben vor der entscheidenden Bundestagsdebatte sechs Abgeordnete nach ihrer Sicht gefragt: Wie halten Sie es mit Organspende?

Annalena Baerbock will den Bürgerämtern eine zentrale Rolle bei dem Thema zuweisen.
Annalena Baerbock will den Bürgerämtern eine zentrale Rolle bei dem Thema zuweisen.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Annalena Baerbock, Grüne

Täglich trauern Menschen um ihr Kind, um ihre Eltern oder um ihren Partner, denen nicht rechtzeitig ein Herz oder eine Leber gespendet wurde. Dabei ist die Spendenbereitschaft groß. 84 Prozent der Menschen in unserem Land stehen der Organspende positiv gegenüber. Doch aktuell besitzen nur um die 40 Prozent einen Organspendeausweis. Diese Lücke möchten wir schließen.

Deshalb haben wir einen fraktionsübergreifenden Gesetzentwurf vorgelegt. Den Bürgerämtern kommt dabei eine zentrale Rolle zu. Alle zehn Jahre, wenn der Ausweis neu beantragt wird, muss sich jeder mit dem Thema beschäftigen. Bei Ausweisbeantragung erhält man alle Infos und hat dann Zeit bis zur Abholung, über seine Haltung zur Organspende nachzudenken. Vor Ort kann man sich dann verschlüsselt an einem PC selbst eintragen, ob man Spender sein möchte oder nicht.

Manchen wundert es: Bürgeramt als Ort. Ja, kein klassischer Ort. Aber so erreichen wir wirklich jeden in unserem Land, zusätzlich zu denen, die zum Arzt gehen. Es gibt aber auch die Möglichkeit, sich jederzeit online von zu Hause oder unterwegs aus einzutragen. Die Pin zur Verschlüsselung der Daten hat eine Gültigkeit von zehn Jahren bis zur nächsten Ausweisbeantragung. Die Entscheidung wird zentral in einem Online-Register vermerkt, wo schnell und rechtssicher abgefragt werden kann, ob die Person zu Lebzeiten entschieden hat, Organe zu spenden.

Unser Vorschlag erhöht die Zahl der potenziellen Organspender. Er achtet aber auch unsere Verfassung und wahrt die höchstpersönliche Entscheidung jedes Einzelnen. Dies sehen wir bei der ebenfalls zur Abstimmung stehenden Widerspruchsregelung gefährdet. Wer nicht widerspricht, ist automatisch Organspender. Doch der Vorschlag verkennt, dass nicht jeder in der Lage ist – sei es etwa aus psychischen oder emotionalen Gründen –, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Sie ist zudem verfassungsrechtlich umstritten. Es gilt, den Grundsatz der körperlichen Unversehrtheit zu wahren. Mit einer Lösung, die nicht trägt, wäre niemandem geholfen.

Harald Weinberg (Linke) sieht die Rahmenbedingungen als entscheidend an.
Harald Weinberg (Linke) sieht die Rahmenbedingungen als entscheidend an.

© dpa/Lukas Barth

Harald Weinberg, Linke

Uns Linken wird ja öfters nachgesagt, dass wir einen Hang zum Staatsdirigismus hätten. Da ist es allerdings bemerkenswert, dass ich es in dieser Wahlperiode schon zum zweiten Mal erlebt habe, dass der wirtschaftsliberale Gesundheitsminister Jens Spahn sowohl beim Thema Impfen wie auch beim Thema Organspende eher auf Zwangsbeglückung gesetzt hat, während ich zwar die Ziele in beiden Fragen teile, aber für weitaus mildere Mittel zu deren Erreichung plädiert habe.

Mit Blick auf die aktuelle Diskussion um Organspenden bin ich der Meinung, dass die strukturellen und organisatorischen Rahmenbedingungen für die Entwicklung der Spendenbereitschaft entscheidend sind. 2019 wurde durch den Bundestag das „Gesetz zur Verbesserung der Zusammenarbeit und der Strukturen bei der Organspende (GZSO)“ verabschiedet, das dann am 1. April 2019 in Kraft getreten ist. Mit dem Gesetz wurde das Amt des Transplantationsbeauftragten gestärkt, dessen Kompetenz geklärt und die Betreuung und Begleitung der Angehörigen in einer schwierigen und belastenden Situation verbessert. Bei der Vergütung kehrt man zur Kostendeckung zurück.

[Mehr zum Thema: In unserem Newsblog berichten wir live von der Debatte um die Organspende im Bundestag]

Mit diesem Gesetz wurden die Weichen richtig gestellt. Es wurden wichtige Fragen zur Entwicklung der Spendenbereitschaft bei der Organspende geklärt. Statt jedoch die Wirkungen dieses Gesetzes abzuwarten und dann zu evaluieren, wurde die Diskussion um das GZSO unnötigerweise von der Debatte um die Zustimmungsregelung überschattet. Nach meiner festen Überzeugung waren die Strukturen, die Organisation und die Vergütung der eigentliche Flaschenhals bei der Organspende.

Das war sicher nicht ganz so medientauglich und öffentlichkeitswirksam wie die Frage der Zustimmungsregelung, denn zu dem GZSO habe ich seinerzeit keine Anfragen erhalten, während die Diskussion um eine Widerspruchslösung Zeitungsseiten füllt. Aus meiner Sicht bedarf es keiner Änderung bei der bestehenden Zustimmungsregelung. Entsprechend bin ich der Regelung nahegetreten, die am wenigsten von der aktuellen abweicht.

Michael Grosse-Brömer (CDU) will dem Gruppenantrag für eine „Doppelte Widerspruchslösung“ zustimmen.
Michael Grosse-Brömer (CDU) will dem Gruppenantrag für eine „Doppelte Widerspruchslösung“ zustimmen.

© Gregor Fischer/dpa

Michael Grosse-Brömer, CDU

Im Bundestag werde ich heute dem Gruppenantrag für eine „Doppelte Widerspruchslösung“ zustimmen. Die bisherige Erfahrung hat gezeigt, dass bessere Informationen und Kampagnen leider nicht ausreichen, um die Zahl der Organspenden in Deutschland ausreichend zu erhöhen. Obwohl nach Umfragen mehr als 80 Prozent der Bürgerinnen und Bürger dem Thema Organspende grundsätzlich positiv gegenüberstehen, haben nur etwas mehr als Drittel von ihnen einen Spenderausweis. Das hat zur Folge, dass es in Deutschland immer noch Tausende Menschen gibt, die auf den Wartelisten für eine Organspende stehen. Sie alle warten mit einer Mischung aus Hoffnung und Verzweiflung auf ein Spenderorgan.

Und obwohl aus anderen europäischen Ländern, in denen oft die Widerspruchslösung gilt, Organe für eine Transplantation nach Deutschland importiert werden, müssen bei uns noch immer Menschen sterben, weil sich am Ende doch kein Spenderorgan für sie finden ließ. Als Politiker müssen wir alles uns Mögliche tun, um diesen Zustand zu verbessern.

Ich selbst besitze seit vielen Jahren einen Organspende-Ausweis. Bei so einem wichtigen Thema, bei dem es um Leben und Tod geht, ist es für die Bürgerinnen und Bürger zumutbar, sich damit auseinanderzusetzen und eine klare Entscheidung zu treffen. Niemand wird gezwungen. Wer eine Organspende aus religiösen oder anderen Gründen ablehnt, kann dazu auf einfachem Wege eine Erklärung abgeben.

Die AfD-Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch wirbt für eine von der AfD-Fraktion vorgelegte sogenannte Vertrauenslösung.
Die AfD-Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch wirbt für eine von der AfD-Fraktion vorgelegte sogenannte Vertrauenslösung.

© Kay Nietfeld/dpa

Beatrix von Storch, AfD

Bei der Organspende geht es im wahrsten Sinne des Wortes um Leben und Tod. Eine so hochsensible Frage erfordert eine transparente, rechtsstaatliche Regelung, die Vertrauen schafft. Die AfD-Fraktion hat einen Gesetzentwurf vorlegt, mit dem Vertrauen zurückgewonnen werden kann, das durch diverse Organspendeskandale verloren gegangen ist. Der Entwurf sieht eine umfassende Aufklärung der Bevölkerung vor – über alle Prozesse der Organspende vom Hirntod bis zur Auswahl des Spendeempfängers.

Die sogenannte „Widerspruchslösung“ von Minister Spahn halte ich für einen fatalen Irrweg. Denn die Selbstbestimmung über den eigenen Körper ist ein zentrales Element der menschlichen Würde. Schweigen kann nach meinem Rechtsverständnis – bei so weitreichenden Eingriffen in die Rechte von Bürgern wie bei der Organentnahme/-spende – niemals ein Ja bedeuten. Dass einem verunglückten 16-Jährigen künftig gegen den Willen seiner Eltern Organe entnommen werden könnten, ist für mich eine Horrorvorstellung.

Diese Zwangskollektivierung von Organen verletzt die Würde unfreiwilliger Organspender wie auch die ihrer Angehörigen. Meine Sorge ist auch, dass Spahns staatliche Zwangslösung dem Ansehen der Medizin schadet. Vertrauen in die Transplantationsmedizin ist aber die Grundlage für jedes rechtsstaatliche Organspendesystem. Deshalb wende ich mich entschieden gegen den bürgerrechtswidrigen, obrigkeitsstaatlichen Gesetzentwurf von CDU (Spahn) und SPD (Lauterbach) und werbe stattdessen für die von der AfD-Fraktion vorgelegte Vertrauenslösung.

Heike Baehrens, SPD, spricht sich gegen den Vorschlag einer doppelten Widerspruchslösung aus.
Heike Baehrens, SPD, spricht sich gegen den Vorschlag einer doppelten Widerspruchslösung aus.

© Dieter Elsaesser

Heike Baehrens, SPD

Wir wollen die Bereitschaft zur Organspende erhöhen, um Menschenleben zu retten. Beiden Gesetzentwürfen wird von Experten bescheinigt, dieses Ziel zu erreichen. Der Vorschlag einer doppelten Widerspruchslösung bereitet mir jedoch in zweierlei Hinsicht große Sorge. Erstens erschreckt mich, wie vehement Minister Spahn für eine ,Radikallösung‘ wirbt.

Denn wenn es um Fragen von Leben und Tod geht, braucht es gerade nicht Radikalität, sondern Sensibilität und Seriosität, um Vertrauen zu schaffen. Bei allem Respekt vor den medizinischen Höchstleistungen in unseren Krankenhäusern darf nicht aus dem Blick geraten, dass jede Transplantation mit dem schweren Schicksal eines anderen Menschen verbunden ist, der bereit war, durch seine Spende ein Geschenk zu machen. Es gibt keinen Anspruch auf ein Spendeorgan wie auf ein Ersatzteil eines Autoherstellers.

Zweitens stimmt mich bei der Widerspruchslösung die Rolle der Angehörigen nachdenklich. Sie werden nicht von der Entscheidungssituation entlastet, sondern geraten in die Rolle eines Garanten – des Garanten dafür, dass kein der Organ- oder Gewebeentnahme entgegenstehender Wille bekannt ist. Sie müssen bestätigen, dass der mögliche Spender in der Lage war, Bedeutung und Tragweite einer Organspende zu erkennen und seinen Willen danach auszurichten. Eine echte Zumutung in einer Situation, wo es völlig überraschend Abschied zu nehmen gilt von einem geliebten Menschen.

Eine wirkliche Entlastung der Angehörigen erfolgt nur, wenn eine aktive Entscheidung zu Lebzeiten getroffen wurde. Das darf in einem sozialen Rechtsstaat erwartet werden, der auf die Selbstbestimmung und Würde des einzelnen Menschen zielt. Das ist die Intention des Gesetzes zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft. Und darüber müssen wir miteinander sprechen, in unseren Familien, mit unseren Freunden. Denn Tod und Leben gehören zusammen.

Christian Lindner, FDP-Bundesvorsitzender, will für die sogenannte Entscheidungslösung stimmen.
Christian Lindner, FDP-Bundesvorsitzender, will für die sogenannte Entscheidungslösung stimmen.

© Daniel Bockwoldt/dpa

Christian Lindner, FDP

Ich bin Organspender und überzeugt davon, dass es richtig ist, wenn man seine Organe zur Verfügung stellt für Menschen, deren Leben dann gerettet werden kann. Aber diese Entscheidung muss von jedem selbst getroffen werden. Wir sind ein freiheitliches Land. Die individuelle Selbstbestimmung sollte hoch geachtet und respektiert werden.

Deshalb lehne ich die Widerspruchslösung von Gesundheitsminister Jens Spahn ab. Bei ihr werden die Verhältnisse umgedreht. Heute ist niemand Organspender, der das nicht ausdrücklich erklärt. Bei der Widerspruchslösung ist jeder Organspender, der nicht ausdrücklich widerspricht.

Ich werde daher für die sogenannte Entscheidungslösung stimmen. Als Mitinitiator dieses fraktionsübergreifenden Gesetzentwurfes möchte ich, dass sich die Bürger bewusst mit dem Thema Organspende auseinandersetzen und dazu eine informierte Entscheidung treffen. Es soll möglich sein, diese Entscheidung einfach zu dokumentieren, jederzeit zu ändern oder zu widerrufen. Dazu wollen wir ein bundesweites Online-Register einführen, in dem die Bürger eigenständig eine Erklärung zur Organspende abgeben können. Das kann auch bei der Beantragung oder Verlängerung des Personalausweises oder Reisepasses in den Bürgerämtern passieren.

Ich setze auf aufgeklärte, mündige und auch verantwortungsvolle Bürger, die sich aus freiem Willen für die Organspende entscheiden. Wollen wir, dass bei so einer komplexen Frage, die auch mit Ängsten, der Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod verbunden ist, so stark in das Selbstbestimmungsrecht der Menschen und die Verfügungsgewalt über den eigenen Körper eingegriffen wird? Was ist mit denjenigen, die ihr Recht auf Nichtbefassung und Nichtentscheidung wahrnehmen möchten? Sie würden mit der Widerspruchslösung automatisch zu Organspendern. Das halte ich aus meinem Selbstverständnis heraus für hochproblematisch. Schließlich geht es dabei auch um das Vertrauen der Bürger in staatliche Institutionen.

Bisher gilt sowohl im Verbraucher- und Datenschutz- wie auch im Medizinrecht der Grundsatz, dass Schweigen nicht als Zustimmung gewertet werden darf. Aber bei einer derart elementaren Frage, was nach dem Tod mit dem eigenen Körper geschehen soll, soll davon abgewichen werden? Das ist für mich nicht nachvollziehbar. Deshalb lehne ich die Widerspruchslösung ab und spreche mich für die Entscheidungslösung aus.

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