
© Michael Kappeler/dpa
Dämpfer für Opposition im Amri-Ausschuss: Bundesverfassungsgericht gegen Aussage von V-Mann-Führer
FDP, Linke und Grüne wollten die Vernehmung eines Verfassungsschützers erzwingen. Die Richter in Karlsruhe weisen den Antrag zurück.
Stand:
Das Bundesverfassungsgericht hat im Fall des Berlin-Attentäters Anis Amri eine Entscheidung getroffen, die weitreichende Folgen haben könnte. Die Richter in Karlsruhe wiesen einen Antrag der Bundestagsfraktionen von FDP, Linken und Grünen ab, das Bundesinnenministerium solle den Beamten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) benennen, der einen V-Mann im Umfeld von Amri geführt hatte.
Aus Sicht des Gerichts hat das "Staatswohl", in diesem Fall die auf strikte Vertraulichkeit basierende Arbeit des Nachrichtendienstes, Vorrang vor dem Aufklärungsinteresse des Amri-Untersuchungsausschusses im Bundestag.
Der Tunesier Anis Amri war am 19. Dezember 2016 in Berlin mit einem gekaperten Truck in den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz gerast. Elf Menschen starben, mehr als 60 wurden verletzt. Die Tat war der schlimmste islamistische Anschlag in der Geschichte der Bundesrepublik.
Das BfV hatte in der Berliner Fussilet-Moschee, in der sich Amri oft aufgehalten hatte, einen V-Mann. Dieser soll allerdings keinen Kontakt zu Amri unterhalten haben. Der Untersuchungsausschuss des Bundestages will klären, welche Versäumnisse es bei den Sicherheitsbehörden im Fall Amri gab.
Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts stammt vom 16. Dezember 2020, am Mittwoch wurde er bekanntgegeben (Aktenzeichen 2BvE 4/18). Das Innenministerium hatte sich geweigert, dem Untersuchungsausschuss des Bundestages den oder die V-Mann-Führer zu nennen. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts könnte nun ein Maßstab für künftige Streitfälle von Untersuchungsausschüssen mit dem Verfassungsschutz und dem Innenministerium beim sicherheitssensiblen Thema V-Leute haben.
Grüne fordern stärkere Kontrollrechte des Parlaments
Politiker von FDP, Linken und Grünen zeigten sich enttäuscht. Die Vernehmung des Zeugen "wäre ein wichtiger Baustein der parlamentarischen Aufklärung des Anschlags am Berliner Breitscheidplatz gewesen", sagte der Obmann der FDP-Fraktion im Ausschuss, Benjamin Strasser. Jeder Bereich des Einsatzes von V-Personen müsse sich "einer transparenten, parlamentarischen Untersuchung unterziehen", meinte die Obfrau der Linkenfraktion, Martina Renner. Ihre Kollegin von der Grünenfraktion, Irene Mihalic, kündigte an, "gegebenenfalls müssen wir politisch darauf hinwirken, dass die Kontrollrechte des Parlaments gesetzlich gestärkt oder präzisiert werden".
[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Pandemie live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Das Ministerium hatte die Weigerung mit der Sorge begründet, eine Vernehmung des V-Mann-Führers im Untersuchungsausschuss könnte sich in erheblichem Maße nachteilig auf die Funktions- und Arbeitsfähigkeit des BfV auswirken. Dem schloss sich der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts an. Die Bundesregierung könne unter Berufung auf eine Vertraulichkeitszusage die Mitwirkung an der Vernehmung eines V-Mann-Führers im Untersuchungsausschuss verweigern, "wenn Gründe des Staatswohls dies im Einzelfall zwingend erfordern", heißt es in einem der "Leitsätze" zum Beschluss.
Dies könne der Fall sein, "wenn allein die Zusage und Wahrung uneingeschränkter Vertraulichkeit die Arbeitsfähigkeit der Nachrichtendienste in einem bestimmten Milieu gewährleistet". Für den Verfassungsschutz wäre die Aussage eines V-Mann-Führers hochgradig problematisch, weil es dann schwieriger würde, in der islamistischen oder einer anderen extremistischen Szene Spitzel zu werben. Diese vertrauen darauf, dass der Verfassungsschutz keinerlei Informationen über eine V-Person preisgibt.
Ein Verfassungsrichter auf der Seite des Untersuchungsausschusses
Den Beschluss des siebenköpfigen Zweiten Senats erging allerdings nicht einstimmig. Richter Peter Müller, ehemals Ministerpräsident des Saarlands, schloss sich der Entscheidung nicht an. Diese beruhe auf einer "verfassungsrechtlich nicht fundierten Überbewertung exekutiver Geheimhaltungsinteressen", schrieb Müller in seiner "abweichenden Meinung". Das "Enqueterecht des Bundestages" werde unzureichend gewichtet. Die "Staatswohlgründe" rechtfertigten nicht den Verzicht auf die Durchsetzung des parlamentarischen Untersuchungsrechts.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: