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Eine Stadtrandsiedlung im Süden von Berlin.

© picture alliance / Bernd Settnik

Update

Neue Regelung gefordert: Bundesverfassungsgericht: Grundsteuer ist verfassungswidrig

Das Urteil betrifft Kommunen, Hausbesitzer und Mieter: Die Berechnung der Grundsteuer aufgrund von veralteten Einheitswerten verletzt den Gleichheitsgrundsatz.

Die Berechnungsgrundlage der Grundsteuer ist verfassungswidrig. So lautet das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von diesem Dienstag. Die Steuer wird mithilfe von Grundstück-Einheitswerten berechnet, die in vielen Fällen nicht an Veränderungen etwa der Bausubstanz oder des Umfeldes angepasst wurden. Die Werte seien "völlig überholt" und führten zu "gravierenden Ungleichbehandlungen" der Immobilienbesitzer, entschieden die Richter in Karlsruhe. Damit verletze die Grundsteuer spätestens seit dem Beginn des Jahres 2002 den allgemeinen Gleichheitssatz des Grundgesetzes. 

Der Gesetzgeber muss nun bis Ende 2019 die geltende Gesetzgebung durch eine verfassungskonforme Regelung ersetzen - sollte diese Frist ungenutzt verstreichen, dürften die derzeitigen Regeln nicht mehr angewandt werden. Damit setzen die Richter Bundestag und Bundesrat eine sehr knappe Frist. Die alten Regeln sind längstens bis 2024 anwendbar.

Das Prinzip Grundsteuer

Der Hintergrund der Grundsteuer ist Folgender: Grundstücke und Gebäude verursachen Kosten für die Kommunen, die zum Beispiel die nötige Infrastruktur unterhalten. Die Eigentümer von Immobilien sollen diese Lasten mittragen. Dazu gibt es zwei Grundsteuern, eine für land- und forstwirtschaftliches Vermögen (A) und eine für bebaute oder bebaubare Grundstücke und Gebäude (B). Die Bemessungsgrundlage ist bundesweit einheitlich festgelegt. Jede Kommune kann mit einem Hebesatz die tatsächliche Höhe der Steuer bestimmen. Dieser Multiplikator reicht von weniger als 100 bis mehr als 900 Prozent.

Auf die Einnahmen aus der Grundsteuer sind die Städte und Gemeinden stark angewiesen: Sie decken etwa zehn Prozent der kommunalen Steuereinnahmen. Dem Deutschen Städtetag zufolge ist die Grundsteuer mit 13 Milliarden Euro im Jahr eine der wichtigsten kommunalen Einnahmequellen. Die Steuer wird von den Eigentümern an Mieter weitergegeben und ist Teil der Nebenkosten.

Das Problem an der derzeitigen Regelung

Das Problem: Die Grundsteuer wird auf Basis von Einheitswerten berechnet. Für jedes der über 35 Millionen Grundstücke in Deutschland ist ein Wert festgelegt. In den alten Bundesländern stammen die Wert aus dem Jahr 1964, in den neuen Bundesländern sogar aus den Dreißigerjahren. Inzwischen haben sich Gemeinden und Städte aber verändert und damit auch die Werte der Immobilien. Nach Paragraf 21 des Bewertungsgesetzes sollte der Einheitswert im Rahmen einer sogenannten Hauptfeststellung alle sechs Jahre neu erhoben werden, damit Veränderungen etwa der Bausubstanz oder des Umfeldes berücksichtigt werden können.

Doch der Aufwand für diese Neubewertungen ist immens. Der Gesetzgeber hat den Zyklus für die regelmäßigen Hauptfeststellungen deshalb schon 1965 ausgesetzt und seither nicht mehr aufgenommen. Damit bleibe die gesamte Entwicklung des Immobilienmarktes in dieser Zeit außer Acht, sagte der Vorsitzende des Ersten Senats, Ferdinand Kirchhof.

Würden die Einheitswerte bei allen Grundstücken und Gebäuden gleichmäßig hinter dem tatsächlichen Verkehrswert zurückbleiben, wäre das nicht als verfassungsrechtliche Ungleichbehandlung anzusehen, merkte das Gericht am Dienstag in einer Medienmitteilung zum Urteil an. Doch dafür konnten die Richter keine Indizien finden. Vielmehr wurden die Wertdifferenzen bei vergleichbaren Häusern in ähnlicher Lage durch den Verzicht auf regelmäßige Neubewertungen im Laufe der Zeit immer größer - es kam zu "gravierenden und umfassenden Ungleichbehandlungen bei der Bewertung von Grundvermögen".

Im Jahr 2014 erklärte der Bundesfinanzhof (BFH) die Vorschriften zur Erhebung der Grundsteuer wegen völlig veralteter Richtwerte ab 2009 für verfassungswidrig. Er schloss, dass die sogenannten Einheitswerte stark von den tatsächlichen aktuellen Verkehrswerten abweichen und damit ungerecht sind. Im vergangenen Januar hatte der Erste Senat über drei Vorlagen des Bundesfinanzhofs und zwei Verfassungsbeschwerden verhandelt. Dem Gericht lagen zur Beurteilung nur Fälle aus westlichen Bundesländern vor, deshalb bezieht sich das Urteil nun formaljuristisch auch nur auf sie. In den neuen Bundesländern ist die Situation aber vergleichbar.

Reine Bodensteuer oder mit Gebäudewert?

Umstritten ist, wie die neue Regelung aussehen soll – vor allem was die Rolle des Bodenwerts angeht. Das Bundesverfassungsgericht machte dazu keine Vorgaben. Die Länder sprachen sich dafür aus, unbebaute Grundstücke künftig nach dem Bodenrichtwert zu bemessen, der auf den durchschnittlichen Verkaufspreisen der Vergangenheit basiert. Bei bebauten Grundstücken soll dazu auch der Wert des Gebäudes ermittelt werden.

Der Deutsche Mieterbund und andere Verbände fordern hingegen, die Grundsteuer als reine Bodensteuer zu gestalten. Ihr Argument: So würden der Wohnungsbau gefördert und Spekulation verhindert. Die Grundsteuer für Mehrfamilienhäuser würde sinken und zu einer Mehrbelastung für Einzelhäuser und unbebaute Grundstücke führen. Auch Mieter von Wohnungen würden entlastet.

Nach dem Modell der Bundesländer soll das Gesamtaufkommen unverändert bleiben. Der Hamburger Senat befürchtet aber zum Teil deutlich höhere Steuern. Eine Verzehnfachung auf 6000 Euro im Jahr für eine Wohnung in der Hansestadt sei möglich, hatte der damalige Finanzsenator und heutige Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) in der Verhandlung gesagt. Auch der Präsident von Haus & Grund, Kai H. Warnecke, warnte vor Verzerrungen.

Industrie fordert "effiziente und verfassungsfeste" Neuregelung

Die deutsche Industrie hat den Gesetzgeber nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aufgefordert, schnell eine „effiziente und verfassungsfeste Neuregelung“ zu verabschieden. „Aus Sicht der Industrie ist eine Regelung nötig, die auf eine vollständige Neubewertung verzichtet“, erklärte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Joachim Lang, am Dienstag in Berlin. „Es sei sinnvoll, Grundstücks- und Gebäudegrößen als Berechnungsgrundlage heranzuziehen.

Eine völlige Neubewertung der rund 35 Millionen Grundstücke sowie land- und forstwirtschaftlicher Betriebe würde zu einem enorm hohen Bewertungsaufwand für Unternehmen führen. „Das ist unbedingt zu vermeiden.“ Die Politik sollte im Auge behalten, dass eine Neuregelung aufkommensneutral bleiben muss. „Alles andere wäre angesichts des weltweiten Trends, Steuern zu senken, eine Steuererhöhung durch die Hintertür“, sagte Lang. (Tsp, dpa, AFP)

Florian Niedermann

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