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Die USA beobachten seit Jahren mehr russische Marine-Aktivitäten in der Arktis. Auch Kanada und die USA erhöhen ihre Präsenz.

© imago images/Zuma Wire

Die Arktis wird militarisiert: Auf der Jagd nach den Schätzen im Eis

Die globale Erwärmung legt Seerouten und Rohstoffstätten in der Arktis frei. Jetzt beginnt ein Wettrennen zwischen den Großmächten.

Wer beobachten will, welche Folgen der Klimawandel in der Arktis und für die Sicherheitspolitik hat, kann einen Blick nach Norwegen werfen. Dort, im Außenministerium in Oslo, ging im Februar 2020 ein Schreiben von Sergej Lawrow ein.

Genau 100 Jahre nach dem Spitzbergen-Vertrag erkannte der russische Außenminister darin, als sei es nötig, noch einmal die Souveränität Norwegens über die Inselgruppe an. Lawrow betonte den im Vertrag festgeschriebenen „gleichberechtigten freien Zugang“ zum Archipel und verlangte, die Interessen der Vertragspartner besser zu schützen, vor allem die wirtschaftlichen, „unter der Bedingung völliger Gleichheit“.

Lawrow pochte auf Zugang und Spielraum in einer Region, die jahrzehntelang wohl kaum jemanden interessierte. Doch nun gewinnt sie an Bedeutung. „Wir erwarten eine positive Resonanz von norwegischer Seite“, hieß es in dem Schreiben.  

Jahrzehntelang war die Arktisregion verlässlich von Eis bedeckt, Seerouten blieben versperrt, wirtschaftliche Aktivitäten selbst an Land von der Witterung beeinträchtigt. In der Geopolitik spielte die Arktis lange keine Rolle. Nun werden die Karten neu gemischt: Das arktische Eis schrumpft seit Jahren gewaltig, im vergangenen September auf die zweitkleinste jemals gemessene Fläche. Nirgendwo erwärmt sich der Planet schneller.

Die Nordostpassage, von der Nordküste Europas bis zur Beringstraße, ist schon heute im Sommer befahrbar. Die Nordwestpassage könnte ihr bald folgen. Auch lange unzugängliche Lagerstätten von Rohstoffen, seltene Erden und Edelmetalle, Erdöl nahe dem Nordpol, ungeahnte Seewege für den Güterverkehr: Die Region weckt das Interesse Russlands und Chinas. Nun wird es voll in der Arktis, sehr zur Sorge der Anrainer.  

"Ein selbstbewusstes Russland und Aktivitäten neuer Akteure"

"Wir beobachten in der Region ein selbstbewusstes Russland und Aktivitäten neuer Akteure", sagte die norwegische Außenministerin, Ine Marie Eriksen Søreide, erst im Dezember über diese "strategisch wichtigste Region".

Wenige Wochen später veröffentlichte das „Norwegian Institute of International Affairs“ eine vom Verteidigungsministerium geförderte Studie. Ihr Ausblick gibt Anlass zur Sorge: Nicht nur die zivile Schifffahrt werde zunehmen, auch Konfrontationen drohten.

Staaten wie Russland und China könnten kommerzielle Akteure „als Mittel zur strategischen Positionierung und für Grauzonenoperationen einsetzen“, so die Autoren. „Die Staaten werden wahrscheinlich höhere Anforderungen an ihre Streitkräfte in der Arktis stellen.“ Sprich: Die Arktis wird militarisiert.

„Die Institutionen, die seit mehreren Jahrzehnten zur Entpolitisierung und Stabilisierung der Arktis beigetragen haben, sind möglicherweise nicht widerstandsfähig genug, um den neuen Anforderungen des Klimawandels standzuhalten.“ 

Kanada und die USA bauen ihre Präsenz aus

Tatsächlich wächst der Güterverkehr in der russischen Arktis rasant. Das jährliche Frachtaufkommen könnte bis 2025 im Vergleich zu 2019 verdreifachen, auch geschuldet der geplanten Entwicklung der Flüssiggas-Infrastruktur.

Beispielgebend sind die unerschlossenen Erdgasfelder auf der Halbinsel Jamal, von wo LNG nach Asien und Europa verschifft wird. Der Anteil der Arktiswirtschaft in Russland ist ohnehin erheblich höher als etwa in Kanada oder Norwegen, durch die Förderung Abbau von Öl und Gas, die Fischerei. Wenn Lawrow Spielräume auslotet, dann genau deswegen.  

Im vergangenen Jahr schrumpfte das Eis in der Arktis auf die zweitkleinste jemals gemessene Fläche.
Im vergangenen Jahr schrumpfte das Eis in der Arktis auf die zweitkleinste jemals gemessene Fläche.

© imago images/Zuma Wire

Nicht nur Norwegen, auch die kanadische Regierung hat die Folgen des Klimawandels in der Arktis im Blick. Kanada und Nato-Partner USA schauen gemeinsam auf die Bewegungen in der Barentssee, auf Grönland, Island und die Gewässer vor Großbritannien.

Nach der Krim-Annexion und dem Waffengang in Syrien werden russische Bewegungen in der Region mit Argwohn betrachtet. „Der Klimawandel wird die kanadischen Sicherheitsinteressen im In- und Ausland auf breiter Front beeinflussen, von mehr Katastrophen bis hin zu Instabilität und Konfliktrisiko“, sagte Shiloh Fetzek, Forscher am Council on Strategic Risks in Washington im Februar.

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Kanada beobachte schon länger, dass vor allem Russland seine zivile und militärische Infrastruktur in der Arktis modernisiere und regelmäßig Übungen abhalte, heißt es in einer aktuellen Studie des Council on Strategic Risks, dessen Autor Fetzek ist. Die militärische Präsenz Russlands nehme zu. Auch Kanada baue in diesen Jahren den Einsatz von Marineschiffen und Drohnen vor Ort aus.  

Grönland hat Vorkommen seltener Erden - China ist interessiert

Die wachsende Aufmerksamkeit ist auch China geschuldet. Dass die Volksrepublik nach Transitrouten und Rohstoffen für die weiter wachsende Wirtschaft sucht, ist bekannt. Wie China seine Interessen verteidigt, lässt sich indes im chinesischen Meer beobachten, wo Rohstoffansprüche mit militärischer Macht untermauert werden. 

Nun entstehen wissenschaftliche Stationen in Island und auf Spitzbergen, eine Intensivierung der wirtschaftlichen Verflechtung: Vor allem die „doppelte Absicht“, das militärische Potential neben dem wirtschaftlichen, bereite in manchen Staaten Sorge, heißt es in dem Papier. „China verfolgt aggressiv eine aktivere Rolle in arktischen Angelegenheiten, wirtschaftlich und politisch“, heißt es. 

Tatsächlich zeigt sich China auch an Grönland interessiert, etwa als Teil einer „polaren Seidenstraße“. Grönland verfügt über große Lagerstätten seltener Erden, deren Weltmarkt China dominiert. Kein Wunder, dass dies Dänemark auf den Plan ruft – und die USA.

Erst 2018 hat die US-Marine ihre zweite Flotte wieder aufgebaut, die U-Boot-Aktivität im Nordmeer verschärft. „Wir senden das Signal, das uns die Arktis wichtig ist, sagte Nato-General Curtis Scaparrotti 2019 in einer Anhörung vor dem US-Senat.  

Bei aller wirtschaftlichen und politischen Bewegung will auch die Europäische Union nicht untätig bleiben. In Brüssel arbeitet man an einer Arktisstrategie, im vergangenen Jahr lief die Konsultation. „Wir müssen sicherstellen, dass die Arktis ein Gebiet mit geringen Spannungen und friedlicher Zusammenarbeit bleibt“, sagte Außenbeauftragte der EU, Josep Borrel.

Eine Aufgabe der Konsultation war es, die die Rolle der EU in der Arktis erneut zu prüfen. Und die ist nicht ganz leicht, wo die EU selbst keinen Status im Arktischen Rat inne hat, in dem die Anrainerstaaten den Interessenausgleich suchen.

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