
© dpa/Frank Rumpenhorst
Vermasselte Corona-Aufklärung auf Bundesebene: Eine Kommission ist zu wenig – und sie kommt deutlich zu spät
An diesem Donnerstag setzt der Bundestag eine Enquete-Kommisson zur Aufarbeitung der Pandemie ein. Lehren für die Zukunft aber reichen schon lange nicht mehr aus.

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Nun beginnt sie also, die kritische Aufarbeitung dessen, was vor gut fünf Jahren quasi über Nacht unser aller Leben radikal verändert hat – für die meisten zum Glück nur vorübergehend, für nicht wenige aber auch nachhaltig. Etwa die Hälfte der Bundesländer, die für die Pandemiebekämpfung zuständig sind, hat zwar längst Untersuchungsausschüsse oder Ähnliches eingerichtet. Die Bundesebene aber, auf die auch im Föderalstaat doch die meisten schauen, zieht erst jetzt nach.
Endlich! Besser spät als nie! So lässt sich natürlich argumentieren, wenn der Bundestag an diesem Donnerstag eine Enquetekommission einrichtet, die eine „Aufarbeitung der Corona-Pandemie und Lehren für zukünftige pandemische Ereignisse“ verspricht. Eine bessere Vorbereitung ist zwingend, gerade ihr Fehlen im März 2020 führte zu den hektisch-überteuerten Maskenkäufen, die dem damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn gerade auf die Füße fallen.
Die parlamentarische Auseinandersetzung mit dem Virus und seinen Folgen kommt dennoch einem politischen Armutszeugnis gleich. „Too little, too late“ – selten hat eine englische Redewendung so gut gepasst. Eine Kommission ist zu wenig, sie kommt überdies deutlich zu spät.
Die falsche Angst vor der Instrumentalisierung
Schon im vergangenen Frühjahr, als die Corona-Protokolle des Robert-Koch-Instituts veröffentlicht wurden, stritten die damaligen Regierungsfraktionen der Ampel über das weitere Vorgehen. Schließlich wurde damals bekannt, wie kontrovers teilweise die Maßnahmen diskutiert wurden, die der Gesetzgeber später umsetzte. Die Sorge aber überwog, dass eine Enquete oder gar ein U-Ausschuss im heraufziehenden Wahlkampf instrumentalisiert werden könnte.
Umgekehrt wird ein Schuh draus: Die Nicht-Befassung hat der AfD in die Hände gespielt und einen Teil ihres Wahlerfolges ausgemacht. Sie konnte genüsslich das Bild zeichnen, dass sich die etablierten Parteien von den Ängsten und Nöten der Menschen im Land entfernt haben und keine Verantwortung für ihr politisches Tun übernehmen. Mindestens so fatal ist es nun, den Rechtsaußen weiter die Forderung nach einem Untersuchungsausschuss exklusiv zu überlassen.
Natürlich würde er ausgeschlachtet. Den Akteuren von damals würde erneut böswilliger Vorsatz zur Unterjochung der eigenen Bevölkerung vorgeworfen werden, obwohl sie in einer Ausnahmesituation unter Hochdruck Menschenleben zu retten versuchten, was auch besser gelang als in vielen anderen Ländern.
Das kann und darf in einer parlamentarischen Demokratie aber kein Argument dafür sein, dass sie ihr schärfstes Schwert zur Aufklärung real existierender Fehlentscheidungen oder Ungereimtheiten stecken lässt. Das hat weniger mit Besserwisserei im Nachhinein zu tun, mehr mit Rechenschaftspflichten und Selbstheilungskräften, die Demokratien von anderen Systemen unterscheiden.
Der Afghanistan-Abzug war auch eine Ausnahmesituation
Für den überstürzten Abzug aus Afghanistan 2021 gab es für die Bundesregierung auch kein Drehbuch. Trotzdem stellte im Bundestag kaum einer infrage, dass Zeugen unter Eid darlegen mussten, wie es zu welchen Fehleinschätzungen kam. Wie selbstverständlich führte das Fiasko am Hindukusch zu beidem: Eine Enquete machte Empfehlungen für künftige Bundeswehr-Einsätze, ein U-Ausschuss nahm das konkrete Krisenmanagement unter die Lupe, benannte Verantwortlichkeiten.
Warum das ausgerechnet für die Coronakrise nicht gelten soll, in der politische Entscheidungen von noch sehr viel größerer Tragweite für Deutschland getroffen wurden, bleibt nicht nur ein Rätsel. Es ist ein schwerer Fehler.
Nicht dass ein großer Erkenntnisgewinn zu erwarten wäre und verhindert wird. Die Schließung von Schulen oder Spielplätzen gilt längst als großer Unsinn. Die Praxis der Untersuchungsausschüsse zeigt auch, dass ihre Ergebnisse am Ende oft nicht mehr das größte öffentliche Interesse wecken. Allein ihre Einsetzung aber signalisiert, dass nichts unter den Teppich gekehrt wird.
Das dürfte jene kaum beeindrucken, die eine von Bill Gates und Angela Merkel eingefädelte Weltverschwörung wittern. Auch die große Mehrheit im Land, die sich gut durch die Pandemie gekommen sieht, mag die Bedeutung eines U-Ausschusses nicht unbedingt erkennen. Für alle, die heute noch mit Corona-Folgen zu kämpfen haben, wäre er von kaum zu unterschätzender politischer Symbolkraft. Eine zahnlose Enquetekommission kann das nicht leisten.
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