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Rekruten bei der Basisausbildung auf einem Truppenübungsplatz..

© IMAGO/Detlef Heese

Das neue Wehrdienstmodell: Immerhin ist jetzt ein Anfang gemacht

Fragebogen für alle, Musterung junger Männer, attraktiver Wehrdienst, Kriterien für die Grenzen der Freiwilligkeit: Union und SPD haben ihr Gesetz verbessert – der große Wurf ist es nicht.

Christopher Ziedler
Ein Kommentar von Christopher Ziedler

Stand:

Kurz nach ihrem 70. Geburtstag kehrt die Bundeswehr in die Familien zurück. Am Mittwochnachmittag fand draußen vor dem Reichstagsgebäude noch ein Gelöbnis statt, ehe sich die Regierungsfraktionen am Abend drinnen auf ein neues Wehrdienstmodell verständigten. Das wird nun im privaten Umfeld landauf, landab wieder zu Diskussionen darüber führen, wie man es mit der Truppe hält.

Alle neuen Erwachsenen der Republik müssen schon bald einen Fragebogen dazu ausfüllen, alle jungen Männer können zur Musterung zitiert werden. Der Bedrohungslage wegen hält es der Staat wieder für nötig, über den körperlichen Zustand seiner potenziell Wehrpflichtigen Bescheid zu wissen.

Im Nachhinein war es völlig verrückt, diese sogenannte Wehrerfassung zu zerschlagen. Die Wehrpflicht, obwohl im Jahr 2011 für Friedenszeiten ausgesetzt, galt und gilt für den Kriegsfall schließlich weiter.

Aktuell befinden wir uns trotz aller hybriden Angriffe unterhalb dieser Schwelle. Die aktuelle Gefahrensituation wird von Militärs dennoch als die gefährlichste der Bundeswehrgeschichte beschrieben, weshalb eine Rückkehr zur Wehrpflicht auch in „Normalzeiten“ im Raum stand. Sie kommt aber vorerst nicht wieder. Der neue Wehrdienst bleibt, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, „zunächst“ freiwillig.

Der Entwurf des Ministers ist verbessert worden

Es ist gut, dass CDU und CSU Zwischenziele in den Gesetzentwurf hineinverhandelt haben. So wird für alle schnell und klar ersichtlich, ob genug junge Leute von sich aus „zum Bund“ gehen oder die notwendige Truppengröße doch nur mit Zwang erreicht wird. In der Fassung von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) fehlten die Kriterien dafür.

Mit der politischen Überwachung des drängenden Personalaufwuchses, der den Nato-Zielgrößen zur Verteidigung Europas entspricht, ist es sehr wohl einen Versuch wert, ihn über eine attraktivere Bundeswehr zu erreichen. Die Chancen dafür stehen auch viel besser, als man auf den ersten Blick meinen könnte.

Mietfrei wohnen, bei mindestens einem Jahr dazu noch den Führerschein bezuschusst bekommen und in dieser Zeit überdies mit 2600 Euro brutto mehr verdienen als in jeder anderen Ausbildung – so unwahrscheinlich klingt es nicht, dass junge Menschen über ein solches Angebot nachdenken könnten. Es werden auch keine Hunderttausende Freiwillige gesucht, sondern Zehntausende.

Für den Augenblick haben sich Union und SPD nach dem amateurhaften Streit vor Monatsfrist nun professionell zusammengerauft und das Minimum dessen beschlossen, was jetzt nötig ist.

Christopher Ziedler

All das ist ein Einschnitt. Mit dem neuen Wehrdienstgesetz kommt ebenso wie mit den neuen Empfehlungen zu heimischen Notvorräten mit Wasser, Nahrungsmitteln oder Batterien die Möglichkeit eines Krieges im Alltag vieler Bürgerinnen und Bürger an. Das hat etwas Beängstigendes, auch wenn das Sich-für-alle-Fälle-Wappnen gerade Teil jener Abschreckung ist, die das Schlimmste verhindern soll.

Eine echte Modernisierung fehlt noch

Gern hätte dieses Gesetz deshalb früher kommen dürfen. Schon zu Zeiten der Ampelkoalition wurde gezögert, ihr vorzeitiges Ende führte zu weiterem Verzug. Mit den Nato-Beschlüssen vom Juni, aus denen sich eine neue Bundeswehr-Richtgröße von 260.000 aktiven Soldatinnen und Soldaten sowie 200.000 Reservistinnen und Reservisten ableitet, wurde das politische Handlungsdefizit vollends offenkundig. Immerhin ist nun endlich ein Anfang gemacht!

Ein großer Wurf, der weiter in die Zukunft trägt, ist nämlich nicht gelungen. Das fängt damit an, dass zwar der Zeitpunkt festgestellt werden kann, an dem das Freiwilligen-Modell gescheitert wäre. Ein automatisches Umschalten auf eine Wehrpflicht aber gibt es nicht, der Bundestag würde dann ganz neu entscheiden müssen. Er bekommt nur den Vorschlag an die Hand, für die fehlende Zahl von Rekruten unter den geeigneten Kandidaten das Los entscheiden zu lassen.

Keine Schuld trifft die Koalition, dass über eine echte Modernisierung des Wehrdienstes nicht einmal nachgedacht wurde.

Weder gibt es für eine militärpolitische Gleichstellung von Männern und Frauen im Bundestag eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit. Noch kann sich die Linkspartei bisher ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr vorstellen, das junge Menschen absolvieren müssen, in dem sie aber bestimmen können, ob sie zur Truppe gehen, im Zivilschutz arbeiten oder sich sozial betätigen. Die Wehrhaftigkeit einer Gesellschaft – neudeutsch: Resilienz – hört schließlich nicht bei der Armee auf.

Für den Augenblick haben sich Union und SPD nach dem amateurhaften Streit vor Monatsfrist nun professionell zusammengerauft und das Minimum dessen beschlossen, was jetzt nötig ist. Die Debatte über das, was noch folgen muss, wird aber nicht sehr lange auf sich warten lassen.

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