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Wahlplakate für die Bundestagswahl 2025 hängen dicht hintereinander an Bäumen an einer Zufahrtsstraße zur Heilbonner Innenstadt.

© dpa/Bernd Weißbrod

Demokratie braucht eine breite Auswahl: Wir dürfen kleinere Parteien nicht kleinmachen

Die AfD als mutmaßlich größte Oppositionsfraktion braucht Gegengewichte – schon in der Opposition. Wie wäre es nach der Wahl mit einer Reform der Fünf-Prozent-Sperrklausel?

Stephan-Andreas Casdorff
Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Stand:

Die Wahl naht. Mit Macht. Danach werden einige sich ohnmächtig fühlen. Diejenigen, die nicht regieren, aber auch die, die opponieren. Voran die AfD. Zu ihr muss es Alternativen geben, in der Opposition.

Nach der Wahl ist vor der Qual: eine Regierungskoalition zu bilden. Nur welche, das steht bei Weitem noch nicht fest. Die Führung der künftigen Opposition hingegen schon – und das wird nach Lage der Dinge die AfD sein. Weil keiner mit ihr koalieren will, einer Partei, die in Teilen gesichert rechtsextrem ist. Bloß nicht!

Denn bliebe die AfD allein, würde sie das Wort Opposition entwerten, umwerten, falsch ausdeuten. Das Wort kommt aus dem Lateinischen und bedeutet „entgegenstellen“. Opposition muss aber noch mehr können. Sie sollte Kontrolleur der Regierung und Regierung im Wartestand sein.

Opposition ist nicht „Mist“, wie SPD-Ikone Franz Müntefering mal abfällig meinte. War sie nie. Bis jetzt?

Obacht, das alles kann Opposition: Sie zwingt die Regierung, sich zu beweisen, im Idealfall. Sie kann zu jeder Zeit zeigen, dass sie andere, bessere Lösungen als die Regierung hat, im Idealfall. Sie kann Gegenvorschläge machen, eigene Gesetzentwürfe einbringen. Im Idealfall.

Ideal für sie: Die Opposition kann ihre Meinung im Parlament sagen, dem gewählten Forum der Öffentlichkeit. So hören die Regierung und der Souverän, wir Bürger, andere Meinungen. Und am Ende der Legislaturperiode können die Wähler dann entscheiden, welche Meinung er oder sie besser finden. Wie jetzt, in wenigen Tagen.

Kurz, Opposition ist wichtig für die Demokratie, für das Austarieren der politischen Kräfte. Und je stärker sie ist, desto besser. Nur nicht, wenn die AfD zu stark wird. Oder gar die einzige Oppositionsfraktion stellt. Ja, bloß nicht!

Die demokratische Mitte stärken

Und gerade weil Opposition so wichtig ist, muss die Vielfalt der politischen Meinungen erhalten werden, mitsamt der Themenbreite, die die anderen Parteien mitbringen. Wenn Demokratie Maß und Mitte sein soll, dann muss die demokratische Mitte gestärkt werden.

Die kleinen Parteien sind deshalb nicht zu unterschätzen – und nicht gering zu schätzen. Man stelle sich vor: keine liberale Partei im Bundestag, keine Linke – und das Kräfteparallelogramm gerät ins Rutschen. Das kann kein Demokrat wollen.

Allein durch Vielfalt bleibt unser politisches System, die Demokratie, bestehen. Und offen, weil die anderen Parteien im Parlament gezwungen sind, sich mit allen Argumenten auseinanderzusetzen.

Stephan-Andreas Casdorff

Was tun? Mancher wählt eine kleinere oder neue Partei deshalb nicht, weil er und sie annimmt, dass die den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde nicht schafft und die Stimme damit verloren wäre.

Aber das ist ein Hilfsargument. Taktisches Wählen geht nie auf, weil ja nicht alle nach einer Taktik wählen. Es verliert auch, wer die Stimme der zweiten Wahl gibt, nicht der ersten.

Vielleicht sollte darum die Sperrklausel fallen. Oder gesenkt werden. Das ist nicht wahrscheinlich? Nicht zu dieser Wahl, das stimmt, aber zur nächsten möglich.

Immerhin hat das Bundesverfassungsgericht die Fünf-Prozent-Hürde 2008 für Kommunalwahlen und 2011 bei den Europawahlen für verfassungswidrig erklärt. Es hat die Rechte der kleinen Parteien gestärkt – und, wichtiger noch, ihre Bedeutung für die politische Landschaft hervorgehoben.

Danach kann der Wettbewerb nur dann wirken, wenn er durch „das Hinzutreten neuer Wettbewerber und die anhaltende Herausforderung durch die kleineren Parteien erweitert, intensiviert und gefördert wird“. Das klingt wie ein Auftrag.

Die AfD kann ihn nicht erfüllen. Schon gar nicht sie. Allein durch Vielfalt bleibt unser politisches System, die Demokratie, bestehen. Und offen, weil die anderen Parteien im Parlament gezwungen sind, sich mit allen Argumenten auseinanderzusetzen.

Das wäre doch ein schönes Demokratievorhaben für die nächste Regierung. Es würde auch die Opposition stärken. Wahl ist Auswahl, breitere Auswahl. Die muss es auch für kommende Wahlen geben.

Oder sind wir nicht mehr die BRD, die „Bunte Republik Deutschland“, wie der vormalige christdemokratische Bundespräsident Christian Wulff einmal gesagt hat? Das wäre wirklich Mist.

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