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Neues Machtzentrum im Süden der Republik. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

© Uli Deck/dpa

Demokratie und Verfassungsgericht: Schluss mit den Hinterzimmerentscheidungen

Wenn Deutschlands höchste deutsche Richter verstärkt politische Aufgaben übernehmen, muss über ihre Besetzung öffentlich verhandelt werden. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ursula Weidenfeld

Dass die deutschen Verfassungsrichter ein neues Bild von sich selbst entwickeln, ist offensichtlich. Das Klimaschutzurteil vom April, die Haltung des Gerichts zur Sterbehilfe, aber auch die Rechtsprechung zur Euro-Rettungspolitik zeigen: Die höchsten Richter des Landes formulieren ihre Arbeitsaufträge an das Parlament immer politischer – und finden dafür große Zustimmung. Dadurch aber stellt sich nun auch die Frage ihrer Legitimation neu.

Verfassungsrichter werden in Deutschland vom Bundestag und vom Bundesrat ausgesucht. Jede Kammer ist für eine Hälfte der Richter verantwortlich. Auch wenn sich die Transparenz des Verfahrens verbessert hat – vorher wurden die Juristen in kleinsten vertraulichen Runden ausgewählt – kann von einem offenen Auswahlprozess keine Rede sein. CDU und SPD bestimmen im Stillen über die Mehrheit der Kandidaten, Liberale und Grüne dürfen gelegentlich auch einen Posten besetzen.

So sichert man Mehrheiten, denn die Verfassungsrichter müssen mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit gewählt werden. Eine öffentliche Debatte über mögliche Verfassungsrichter und eine Anhörung der Kandidaten sind nicht vorgesehen. So, als wäre wie bei der Papstwahl etwas Heiliges im Spiel.

Treiber der aktuellen Politik

Bisher konnte man das noch halbwegs schlüssig erklären: Weil die Verfassungsrichter auch die Balance zwischen den Verfassungsorganen sichern, war es klug, sie allein durch das Auswahlverfahren auf einen Kurs der Mitte zu bringen. Doch das muss sich nun ändern. Wenn die Verfassungsrichter sich als Treiber der Politik begreifen, zum Mitspieler werden, anstatt „nur“ verfassungswidriges Verhalten zu beanstanden, muss ihre Auswahl offener, kontroverser und demokratischer werden.

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Natürlich kann man argumentieren, es seien die Schwäche und die Schlampigkeit der Politik, die den Verfassungsrichtern die neue Rolle zuweisen. Man kann vermuten, dass Politiker Entscheidungen, die sie selbst nicht treffen wollen – wie zum Beispiel die zur Vermögen- und Erbschaftsteuer – nach Karlsruhe schieben, um sich zu entlasten. Und man kann zu Recht darauf hinweisen, dass die Verfassungsrichter in aller Regel mäßige und allgemein akzeptierte Urteile finden.

Es darf nicht darum gehen, künftig gnädigere Richter zu suchen. Oder solche, die der Mehrheit zu Willen sind. Doch Weichenstellungen wie die zum Klimaschutz verschieben die Machtverhältnisse zwischen den Verfassungsorganen nachhaltig. Das darf den Wählern und ihren Repräsentanten nicht egal sein.

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