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Ehrenformation der Kürassiere für den Gast aus Deutschland: Die Präsidenten Mattarella und Steinmeier im Quirinalspalast in Rom.

© Francesco Amendola via Reuters

Steinmeier in Italien: Den Süden verstehen

Beim Staatsbesuch beschwören beide Präsidenten die deutsch-italienische Zusammenarbeit. Doch die neue Regierung in Rom ist schon wieder geschwächt.

Ob der Bundespräsident wirklich nach Rom kommen könnte, war eine Zeitlang unklar. Italiens Regierungskrise, im August begonnen, beschäftigte den Staatspräsidenten Mattarella ein paar Wochen lang damit, einer neuen Koalition auf die Beine zu helfen. Die gibt es nun seit Anfang September – aber die Grußadressen und Reden von Frank-Walter Steinmeier, die ein stabiles Italien beglückwünschen, das – ohne den Rechtsausleger Salvini – wieder konstruktiv auf der europäischen Bühne mitspielt, sind schon wieder halb überholt. Nur wenige Tage vor Ankunft der deutschen Delegation in Rom verkündete der, der die Regierung aus Partito Democratico und Fünf-Sterne-Bewegung vor allem wollte, seinen Auszug aus dem PD. Matteo Renzi, einst Chef der Partei, hat eine neue gegründet: “Lebendiges Italien”. In den Zeitungen vom Donnerstag, dem Ankunftstag Steinmeiers in Rom, begründeten einige der renzitreuen Abtrünnigen, warum eine Koalition aus plötzlich drei statt zwei Partnerinnen der jungen Regierung eher nütze als schade. Die Äußerungen des Gründers von "Italia Viva"selbst blieben bisher interpretierbar.

Neue Regierung, neue Chancen für deutsch-italienische Initiativen?

Das hat den ersten Äußerungen Steinmeiers und seines italienischen Kollegen Sergio Mattarella etwas Beschwörendes gegeben: Die Verantwortung der beiden Gründerstaaten für Europa wachse angesichts des bevorstehenden Brexits, betonte Steinmeier in Rom, wie Mattarella verwies er auf die engen kulturellen und wirtschaftlichen Bindungen zwischen Deutschland und Italien. Allein das Handelsvolumen zwischen dem Veneto und Deutschland, so Mattarella, sei größer als der mit Brasilien, jährlich studierten 800.000 junge Leute aus beiden Ländern an den Hochschulen des jeweils andern Land – und dieser Austausch übers EU-Programm Erasmus wachse weiter. 

Aussichten auf Wiederaufnahme der seit Jahrzehnten engen Zusammenarbeit gibt es tatsächlich. Beide Präsidenten verwiesen auf die Fortschritte in der Migrationspolitik. Gerade haben die beiden Innenminister über einen Mechanismus gesprochen, mit dem künftig gerettete schiffbrüchige Migranten direkt auf aufnahmebereite Länder verteilt werden.  Mattarella dankte Deutschland für seine Aufnahmebereitschaft, Steinmeier hob in seiner Erwiderung hervor, dass beide Länder viel zum Schutz von Geflüchteten getan hätten und sich “hier näher als anderen” seien. Italien hatte vor Jahren im Alleingang das Seenotrettungsprogramm Mare Nostrum finanziert und geführt.

Thema des Gesprächs im Quirinalspalast des Präsidenten wie auch mit dem neuen und alten Premier Giuseppe Conte war auch Libyen. Italien wie Deutschland müssten gemeinsam daran arbeiten, dass die Kriegsparteien wieder an einen Tisch gebracht und eine Lösung für das zerfallende Land gefunden werde, die ohne Waffen auskomme.

Kulturleute erklären dem Präsidenten Italiens Politik

Die Rätsel Italiens, für die Steinmeier im amtlichen Teil der Reise keine Erklärung fand, versuchte er am Nachmittag im Kreise von italienischen Künstlerinnen und Literaturfachleuten zu lösen. Wie es denn komme, dass eine Partei des Nordens, die Lega, einst Lega Nord, auch im Süden solchen Erfolg habe, wollte er wissen. Die Eingangsfrage ließ in etwa einer Stunde ein Gesamtbild der politischen Lage Italiens entstehen. Armut und Perspektivlosigkeit vor allem im Süden brächten die Menschen dazu, sich an jede Hoffnung zu klammern, meinte der aus Südtirol stammende, seit langem in Rom lebende Regisseur Gustav Hofer. Diese Hoffnung sei eine Zeitlang die Fünf Sterne-Bewegung gewesen, die enttäuscht habe. Jetzt hefte sie sich an Salvini.

Einig war Hofer sich mit der Schriftstellerin und Drehbuchautorin Veronica Raimo, die auf die Schuld der Linken, des Partito Democratico vor allem, verwies: Die habe ein Vakuum gelassen, auch ihre Politik drehe sich um sich selbst, statt um die realen Probleme der Menschen, die sie nicht selten "für dumm verkauft". Auch die massive Delegitimierung von Intellektuellen, die als "Establishment" gälten und mit den real Mächtigen in einen Topf geworfen würden, sei nicht exklusiv Lega-Denken - die dies allerdings besonders ausbeute. Die Fünf Sterne seien stolz darauf gewesen, keine Intellektuellen auf ihren Listen zu haben. "Jeder, der auch nur ein Buch liest", so Hofer, "gilt inzwischen als radical chic" - was auf deutsch dem Salonlinken entspricht.

Steinmeier will den Süden verstehen

Italien verstehen lernen kann Steinmeier am Freitag erneut. Dann trifft er in Neapel Kulturmenschen aus dem Süden und ehemalige Migranten der Gastarbeitergeneration, die in den 1960er und 70er Jahren in Deutschland Arbeit fanden und später nach Süditalien zurückkehrten. Sie seien ein “Brückenglied zwischen unseren beiden Staaten und ein unschätzbarer Schatz für sie”, sagte Steinmeier nach seiner Unterredung mit Mattarella. Der Bundespräsident will den Süden Italiens und die Perspektive jenes Teils des Landes kennenlernen, das mehr als der Norden von Arbeitslosigkeit und mangelhafter öffentlicher Infrastruktur betroffen ist. Der Besuch ist bereits der dritte in seiner Amtszeit, seinen italienischen Kollegen trifft er jetzt sogar zum sechsten Mal. Neapel war ein Vorschlag Mattarellas, der selbst aus dem Süden stammt. Er ist auf Sizilien geboren und aufgewachsen.

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