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Mann der Stunde: Olaf Scholz, siegreicher Spitzenkandidat der Hamburger SPD.

© dpa

Wahlsieg der SPD: Der Hamburger Ausreißer

"Jetzt geht’s lo-os", rufen sie in der SPD. Wie oft war das zuletzt Schlachtruf des Trotzes, diesmal ist es Triumph. Aber geht auch wirklich etwas los? Scholz gibt sich unbeeindruckt – und liegt richtig.

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Man kann es leicht übertreiben mit dem Jubel über ein Wahlergebnis. Dass es einer untertreibt, kommt praktisch gar nicht vor. Auch insofern ist Olaf Scholz an diesem Sonntagabend rekordverdächtig. Immerhin, das Lächeln ist breit, jedenfalls für seine Verhältnisse, als er sich durch seine Anhänger vor zur Bühne in der Altonaer Kulturfabrik kämpft. Dann steht er da, neben ihm seine Frau Britta Ernst, von der Seite reichen sie ihm einen großen Blumenstrauß, den gibt er aber gleich wieder zurück. Und dann sagt er, das sei jetzt ein „sehr, sehr beeindruckendes Ergebnis, das wir sehr ernst nehmen“. Vor ihm toben und jubeln sie, schwenken rote Plakate und die Piratenfahne von St. Pauli, „Olaf-Olaf“-Sprechchöre erklingen. „Eins ist klar“, fährt Scholz ungerührt fort, „wir können in Hamburg den Senat stellen, und der Erste Bürgermeister wird ein Sozialdemokrat sein.“

Nämlich, übrigens, er. Olaf Scholz hat eine absolute Mehrheit eingefahren. Seine SPD ist jetzt so eine Art Alster-CSU, 50 Prozent plus/minus x. Die CDU ist brutal abgestürzt, ihr Ergebnis von 2008 halbiert. Für die deutsche Sozialdemokratie ist es ein gefühltes Jahrhundert her, dass sie einen solchen Sieg bejubeln durfte – bei Johannes Rau gab es so etwas, selbst bei Gerhard Schröder aber nie. Kurt Beck regiert seit 2006 in Rheinland-Pfalz allein, aber da reichten 46 Prozent. Im Berliner Willy-Brandt-Haus können sie es kaum fassen, als auf den Fernsehschirmen der rote Balken der SPD in die Höhe schießt und der schwarze der CDU in den finsteren Keller. Manche rufen „Jetzt geht’s lo-os“. Wie oft war das in letzter Zeit bloß der Schlachtruf des Trotzes! Jetzt ist es echter Triumph.

Wobei – genau das ist die Frage. Geht’s jetzt los, und geht’s so weiter in diesem Superwahljahr? Scholz hat einen historischen Sieg erzielt – „Ab morgen ist er der heilige Olaf der SPD“, prophezeit ein Parteimitarbeiter – aber dass er gewinnen würde, stand vorher fest. Die Niederlage der CDU war auch nur allzu absehbar. Dass sie derart bitter ausfallen würde, verschlägt allerdings den Verlierern doch ein wenig die Sprache. So gründlich, dass zum Beispiel der Name des Ole von Beust überhaupt nicht fällt, des Mannes, der der CDU das erste schwarz- grüne Landesbündnis beschert hatte und es dann vorzog, endgültig nur noch Privatmann zu sein.

Die Folgen sind bekannt: Der eilends eingesetzte Nachfolger Christoph Ahlhaus konnte die diffizile Balance nicht halten, die Grünen sprengten den Bund. „Eine Stunde der Ratlosigkeit“ sei das, sagt Ahlhaus am Abend vor einer sehr stillen Anhängerschar. Er hat in diesem Wahlkampf nie eine Chance gehabt; ein netter Altkonservativer aus Heidelberg, was in der Hamburger Gesellschaft also gleich dreifach überhaupt nicht geht. Dass Schwarz-Grün trotzdem richtig gewesen sei, fügt er noch an, nur sei die CDU zu weit entgegen gekommen.

So weit geht nicht einmal Hermann Gröhe. Der CDU-General ist eigentlich schwarz-grüner Sympathie verdächtig. Jetzt schimpft er über die „Flucht der Grünen aus der Verantwortung“. Auch für Gröhe ist das eine Stunde der Ratlosigkeit. Aber er weiß, wie er damit so halbwegs leben kann: „Das ist ein schwerer Schlag für die CDU“, verkündet er im Berliner Adenauer-Haus, „ ... in Hamburg.“

Daran ist ja sogar etwas Wahres. Wahlen in Stadtstaaten sind oft Ausreißer, in Hamburg doppelt. Hier sind schon oft Trends ausgerufen worden, aus denen dann doch nichts wurde – aus Schill- und Statt-Partei keine rechte Wutbürgerpartei, aus Schwarz-Grün kein Modell. Wenig deutet darauf hin, dass in der Hansestadt an diesem Abend die größeren Trends in der Republik auf den Kopf gestellt worden sind. In gewisser Weise hilft der CDU-Chefin Angela Merkel sogar das Ausmaß des Desasters: Dass sich so etwas bei den nächsten Wahlen wiederholt, wirkt völlig unglaubwürdig. Und auch SPD-Chef Sigmar Gabriel weiß das, weshalb er von „Rückenwind“ für die Sozialdemokraten bei den nächsten Landtagswahlen spricht, aber keineswegs von einer Zeitenwende.

In dieser Hinsicht ist Guido Westerwelle mit sich selber sehr viel großzügiger. Er braucht das ja auch. Dabei hätte es gar nicht besser laufen können für den bedrängten FDP-Chef. Seine Partei ist in der Hamburger Bürgerschaft seit Jahrzehnten ein wechselnder Gast – als liberal verstehen sich die anderen an der Elbe auch, für den Protest sind die Schillernden da. Aber das Experiment mit dem Modell Lena hat funktioniert: Katja Suding, nett, frisch, gern etwas unbedarft, sagt, dass die Menschen doch ganz froh seien, „wenn man’s mal anders macht“, streut etwas ein von „frischem Wind“ – und fährt damit etwas über sechs Prozent ein. Strahlend, wie man ihn seit dem Wahlherbst 2009 nicht mehr gesehen hat, tritt Westerwelle in der Berliner Parteizentrale vor, reibt sich begeistert die Hände – und lobt erst mal sich selbst: „Wenn wir entschlossen und geschlossen sind, dann gewinnen wir Wahlen.“

Das hat er beim Dreikönigs-Treffen Anfang Januar in Stuttgart genau so formuliert. Er hätte jetzt also auch einfach „Seht ihr wohl!“ sagen können. Doch auch Westerwelle weiß, dass Hamburg nur Hamburg ist. Wenn er bleiben will, was er ist, muss er in Magdeburg, in Mainz, vor allem aber in Stuttgart Ende März beweisen, dass die rasante Fahrt in die Grube zu Ende ist, für die ihn seine eigene Partei verantwortlich macht. Auch Westerwelle übt darum bei aller Freude vorerst Bescheidenheit. „Wir haben die Fehler beseitigt, wir haben neu angefangen“, verspricht er.

Noch bescheidener sind sie nur bei den Grünen. Für die Ökopartei ist der Wahltag an der Elbe vielleicht am bittersten. Als die Freunde von der Grün-Alternativen Liste den Rathausbund mit der CDU aufkündigten, spielte neben dem Gefühl der Perspektivlosigkeit auch die Tatsache hilfreich eine Rolle, dass die Grünen bundesweit im Aufschwung waren. Doch der Traum von der dritten Volkspartei, er findet an der Alster keine Nahrung. Elf Prozent sind mehr als die 9,6 vom letzten Mal – aber die GAL war schon mal viel besser, 1997 fast bei 14 Prozent. Ein „gemischtes Ergebnis“ nennt Spitzenkandidatin Anja Hajduk das jetzige Abschneiden. Und in der Berliner Parteizentrale reicht eigentlich das Aufstöhnen der vielen jungen Parteianhänger über die SPD-Mehrheit und ihr Murren über die eigenen Zahlen als Kommentar.

Parteichefin Claudia Roth macht trotzdem tapfer auf Optimismus: „Ganz schön zugelegt“, hätten die Parteifreunde im Norden, außerdem, das neue, komplizierte Wahlsystem, die vielen Briefwähler .... Hilft aber auch nicht. Gemessen an den demoskopischen Höhenflügen ist „ganz schön zugelegt“ sowieso eine glatte Niederlage. Nicht mehr in der Regierung sein ist auch eine Niederlage. Und so fragt sich mancher Parteistratege sorgenvoll, ob nun auf den Herbst der Hoffnungen ein Frühling der Ernüchterung folgt. Man kann die Sorge auch sehr schön an Renate Künast ablesen. Scholz, sagt Künast, habe gegen eine „total abgewirtschaftete CDU“ gewonnen, und sie selbst, sagt Künast, wolle in Berlin „den verbrauchten rot-roten Senat ablösen.“

Das hätte sich Olaf Scholz vermutlich auch nie träumen lassen, dass sich selbst Grüne ihn mal zum Vorbild ernennen. Aber fast 50 Prozent verleihen dem Mann eine neue Aura, den eine breitere Öffentlichkeit trotz einer Reihe wichtiger Ämter bisher doch eher als Apparatschik wahrgenommen hat. Sein Parteichef hat das auch registriert. Die Präsidiumssitzung am Montag, hat Sigmar Gabriel in der Telefonschaltkonferenz der SPD- Spitze am Wahlabend gewitzelt, könne etwas später beginnen, weil „der Olaf übers Wasser“ nach Berlin laufen werde.

Gabriel weiß, dass sich gerade Gewichte in der SPD verschoben haben. Der Sieger von der Alster gehört zum Realo-Lager; Gerhard Schröders Agenda- Politik fand er nicht nur deshalb richtig, weil er das als Generalsekretär musste. Scholz war im Hintergrund auch immer schon einer der Strippenzieher, der bei allen Personalentscheidungen dabei war.

Jetzt steht er im Vordergrund. „Unser Held“, sagt einer mit vollem Weinglas in der Altonaer Fabrik. Der Held verhält sich aber gar nicht heldisch. Wie er da steht, ein kaum wahrnehmbares Lächeln im Knautschgesicht, passt er auch mehr zu Ohnsorgs als auf die Opernbühne. Die Leute wollten, „dass endlich wieder seriös und pragmatisch“ regiert werde, sagt Scholz: „An die Arbeit!“ Trotzdem wird man demnächst auch in Berlin von ihm hören. Er hat das vorher angekündigt, und er will auch Wort halten. Denn dass der nüchterne Arbeiter Scholz ein Mensch ohne Ehrgeiz sei, das hat noch nie einer von ihm behauptet. Und mit den Hamburgern haben sie in der SPD ja auch so ihre Erfahrungen gemacht. Dass Scholz, wenn es um die Kanzlerkandidatur 2013 geht, seien Bürgermeisterhut schon in den Ring werfen könnte, das glaubt in der SPD so recht keiner. Ernst wird es erst, wenn jemand ihn später einmal mit Prinz-Heinrich-Mütze im Willy-Brandt-Haus sichtet. So eine, wie sie Helmut Schmidt gern trug.

Mitarbeit Hans Monath, Stephan Haselberger, Antje Sirleschtov

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