
© Paul-Philipp Braun
„Der Rechtsstaat ist nicht ideologisch“: Scharfe Kritik an Sprecherin der Grünen Jugend wegen Gelbhaar-Aussagen
Als feministische Partei müssten die Grünen bei Vorwürfen sexueller Gewalt immer den Betroffenen glauben, sagt Jette Nietzard. Parteichefin Brantner widerspricht.
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Gilt bei den Grünen bei Vorwürfen der sexuellen Belästigung keine Unschuldsvermutung? Diese Sicht hatte die Sprecherin der Grünen Jugend, Jette Nietzard, im Zusammenhang mit der Causa Stefan Gelbhaar nahegelegt. „Es gilt in einer feministischen Partei, Betroffenen zu glauben“, sagte sie am Mittwoch.
Nun bekommt Nietzard heftigen Gegenwind aus den eigenen Reihen: „Wir haben sehr deutlich gemacht, dass wir das als Bundesvorstand anders sehen und entsprechend gehandelt“, sagte die Vorsitzende der Grünen, Franziska Brantner, dem Tagesspiegel und der „Süddeutschen Zeitung“.
Danyal Bayaz, grüner Finanzminister in Baden-Württemberg, wurde noch deutlicher: „Die Unschuldsvermutung ist eine zentrale rechtsstaatliche Errungenschaft, sie sollte auch dann gelten, wenn die Grenze zwischen juristischen und moralischen Aspekten nicht ganz klar ist“, sagte er dem Tagesspiegel. Von diesem Grundsatz könne man nicht einfach abrücken.
Gleichzeitig betonte Bayaz: „Frauen berichten immer wieder von sexueller Belästigung – und auch, dass sie es nicht zur Sprache bringen aus Angst, dass ihnen nicht geglaubt wird.“ Diese Erfahrung müssten die Grünen ernst nehmen. „Das entbindet uns nicht von der Verantwortung, Anschuldigungen angemessen zu prüfen. Dafür müssen wir professionellere Strukturen aufbauen.“
Man kann Betroffen nur glauben, wissend, dass sie tatsächlich betroffen sind.
Grünen-Politiker Volker Beck zu den Aussagen der Grünen Jugend Sprecherin.
Zuvor hatte sich bereits der langjährige Bundestagsabgeordnete der Grünen, Volker Beck, von Nietzard distanziert: „Jetzt reicht es! Grüne Jugend“, schrieb er auf X und ergänzte, die Grünen seien eine Rechtsstaatspartei. „Man kann Betroffen nur glauben, wissend, dass sie tatsächlich betroffen sind“, schrieb Beck.
Gegen den Pankower Bundestagsabgeordneten Stefan Gelbhaar waren Mitte Dezember anonym mehrere Vorwürfe wegen sexueller Belästigung gemacht worden. Daraufhin hatte Gelbhaar, der alle Vorwürfe bestreitet, seine Bewerbung für einen Listenplatz zurückgezogen. Später entzog ihm sein Kreisverband auch das Votum für das Direktmandat.
Inzwischen ist jedoch klar, dass besonders schwerwiegende Vorwürfe erfunden wurden. Von ursprünglich 18 Vorwürfen halten aber noch sieben Frauen an ihren Darstellungen fest. Aufklärung soll nun eine eigens eingesetzte Kommission der Grünen-Bundesspitze um den Ex-Bundestagsabgeordneten Jerzy Montag und die frühere Justizministerin von Schleswig-Holstein, Anne Lütkes, bringen.
Künast verteidigt Sinn von Ombudsverfahren
Der Vorgang überschattet den Wahlkampf der Grünen, deren Kanzlerkandidat Robert Habeck sich lange nicht zu dem Fall äußern wollte. Inzwischen haben die Grünen-Vorsitzenden Franziska Brantner und Felix Banaszak angekündigt, die Parteistrukturen überprüfen zu lassen.
Die Notwendigkeit von niedrigschwelligen Beschwerdestellen sehen viele Grüne jedoch weiter: „Parteien und Institutionen brauchen alle Ombudsverfahren, weil sie selbst für die Einhaltung ihrer Werte und Rechte der Mitgliedschaft sorgen müssen und wollen“, sagte die Berliner Grünen-Politikerin Renate Künast dem Tagesspiegel. Allein die Tatsache, dass es eine solche Einrichtung gebe, verbreite die Botschaft, „dass man Übergriffigkeit, Belästigung und Diskriminierung nicht hinnimmt“.
Künast stellte weiterhin klar, dass Beteiligte darüber hinaus auch Straf- oder Zivilrechtsverfahren anstreben könnten. „Respekt und Wahrung der Rechte aller Beteiligten sind dabei stets einzuhalten“, sagte die frühere Landwirtschaftsministerin und ergänzte: „Wenn man es auf Glaubensfragen reduziert, kann ein solches Verfahren nicht funktionieren.“
Deutliche Kritik an Nietzards Aussagen kam auch von der politischen Konkurrenz: „Gruselig“, schrieb der frühere Justizminister und FDP-Politiker Marco Buschmann bei X. Seine Parteifreundin, Ex-Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger, schrieb auf der Plattform: „Sexuelle Gewalt muss geahndet werden. Aber die Unschuldsvermutung muss immer gelten. Der Rechtsstaat ist nicht ideologisch.“
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