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Sachsens Ministerpräsident und CDU-Landeschef Michael Kretschmer Ende Juni beim CDU-Landesparteitag in Chemnitz. Links im Bild: Wahlhelfer Werner Patzelt.

© Hendrik Schmidt/dpa

Scharmützel vor der Landtagswahl: Die CDU in Sachsen blinkt nach rechts, aber braucht die Grünen

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer beschimpft die Grünen. Und muss doch mit ihnen regieren, wenn ein Bündnis mit der AfD verhindert werden soll.

Von Matthias Meisner

Es wäre Zeit für ein paar Lockerungsübungen, denn ab Herbst soll in Sachsen auf den Regierungsbänken ein wenig Platz gemacht werden für die Grünen. Am 1. September wird ein neuer Landtag gewählt. Die regierende Koalition aus CDU und SPD wird ihre Mehrheit allen Umfragen zufolge nicht verteidigen können. Ein breite Allianz muss her, um die erste Regierungskoalition aus CDU und AfD in einem Bundesland zu verhindern.

Die Grünen spielen in den Gedankenspielen der Christdemokraten dabei immer eine zentrale Rolle. Mal in einer Kenia-Koalition mit der SPD, die sich in Sachsen im Tiefflug befindet. Manchmal auch im Kontext mit FDP oder den teilweise rechtspopulistischen Freien Wählern, die ebenfalls auf einen Einzug ins Dresdner Landesparlament hoffen dürfen.

Zuletzt lagen CDU und AfD im "Sachsentrend" im Auftrag des MDR gleichauf bei 26 Prozent. Bei der Landtagswahl 2014 war die Union noch auf 39,4 Prozent gekommen. Die Grünen könnten mit zwölf Prozent ihr Ergebnis verdoppeln und lägen damit knapp hinter der Linkspartei und noch vor der SPD. "Die Grünen werden in jedem Fall regieren", sagt ein Funktionär der Sachsen-CDU.

Trotzdem verzichtet Ministerpräsident und CDU-Landeschef Michael Kretschmer bisher auf freundliche Worte in Richtung der Ökopartei. Im Gegenteil: Mehrfach in den vergangenen Wochen verglich er die Grünen sogar mit der AfD. Beide Kräfte ähnelten sich sehr darin, "dass sie nur ihre eigene Position als das Absolute sehen, dass sie nicht fähig sind zu Kompromissen". Das sei nicht gut für Deutschland, sagte der CDU-Politiker nach der Europawahl im Mai, bei der die AfD - wie schon bei der Bundestagswahl 2017 - in Sachsen stärkste Kraft geworden war.

Seit März 2018 an der Spitze der sächsischen Grünen: Christin Melcher und Norman Volger. Erstmals seit 1990 könnte ihre Partei im Freistaat in die Regierung eintreten.
Seit März 2018 an der Spitze der sächsischen Grünen: Christin Melcher und Norman Volger. Erstmals seit 1990 könnte ihre Partei im Freistaat in die Regierung eintreten.

© Jan Woitas/dpa

"Der Vergleich ist unsäglich", empört sich die sächsische Grünen-Vorsitzende Christin Melcher. "Solche Aussagen zeigen einmal mehr, wie die Debattenkultur der CDU in Sachsen Grenzen verschiebt." Ebenso wie auch andere Oppositionspolitiker nimmt sie Kretschmer zwar ab, dass er für eine Koalition mit der AfD nach der Wahl nicht zur Verfügung stehen will. Aber die Parteichefin zweifelt daran, dass diese Absage von der Partei durchgängig mitgetragen wird.

In ihrer Mehrheit bleibe die Sachsen-CDU den Beweis schuldig, dass sie nicht mit der AfD zusammenarbeiten wolle, sagt Melcher: "Ob die sächsische CDU eine Koalition mit der AfD ausschließt, wissen wir erst nach der Wahl. So oder so hat sie den Aufstieg der AfD mit ermöglicht, der sie nicht mit der notwendigen Entschlossenheit entgegengetreten ist."

Tatsächlich zielt die Strategie der sächsischen CDU seit Monaten vor allem auf bisherige AfD-Wähler: Es begann im Januar mit der Berufung des Dresdner Politikprofessors Werner Patzelt zum Ko-Chef der Wahlprogrammkommission, von der Partei damals als "Breaking News" kundgetan. Patzelt war früher als Gutachter für die AfD tätig, ist vehementer Kritiker der "Merkel-CDU", deren Politik sich, wie er sagt, von der der "guten alten CDU" diametral unterscheide.

Zwar lehnt auch Patzelt eine Koalition mit der AfD neuerdings als "Himmelfahrtskommando" ab. Stattdessen aber wirbt er - kaum weniger spektakulär - für eine Minderheitsregierung im Freistaat, bei der sich die CDU mit wechselnden Mehrheiten stützen lassen soll. Die CDU solle in dieser Konstellation "mit sämtlichen Kräften im Parlament verhandeln, von Linkspartei bis AfD", erläuterte Patzelt im Juni im Interview mit dem Schweizer Radio SRF. Für diesen Fall erwartet er eine Spaltung der AfD in einen rechtradikalen Flügel und "CDU-Renegaten".

Führende Politiker der Landespartei wie Landtagspräsident Matthias Rößler, Ex-Ministerpräsident Georg Milbradt und der frühere Fraktionsvorsitzende Frank Kupfer engagieren sich für die "Werte-Union" am rechten Rand der CDU. Alexander Dierks, der Generalsekretär, hielt kurz vor der Europawahl beim Europatag des Vereins in Bautzen sogar die Hauptrede.

Die CDU-Sachsen-Politiker schmieden dort Allianzen auch mit dem geschassten Verfassungsschutz-Chef Hans-Georg Maaßen, der im Juni über eine Koalition von CDU und AfD spekulierte. Maaßen ist das prominenteste Gesicht der "Werte-Union",

Für Kretschmer war es im September 2017 ein Desaster, als er in seinem Görlitzer Wahlkreis sein Bundestagsmandat an Tino Chrupalla verlor, einen Malermeister von der AfD. Dass die Strategie der Sachsen-CDU im Umgang mit der rechtsradikalen Partei seither keine Früchte trägt, verunsichert ihn.

Kretschmer habe "die Partei nicht mehr im Griff", erklären politische Beobachter. In der Erwiderung auf Kretschmers Regierungserklärung am Dienstag im Landtag sagte Linken-Fraktionschef Rico Gebhardt, Kretschmer taumele "wie ein angeschlagener Boxer" durch den Ring.

Signal auch an AfD-Wähler: Kretschmer bei Putin

Bisher hält der CDU-Ministerpräsident seine Linie: keine Koalition mit der AfD, wohl aber Signale an dessen Wähler. In diesen Kontext gehört seine Begegnung mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin im Juni in Sankt Petersburg, bei der er zum Ärger von Kanzlerin Angela Merkel ein Ende der Sanktionen forderte. Oder auch der von Kretschmer im Gastbeitrag für die "Zeit im Osten" gemachte Initiative für einen "Volkseinwand", mit dem Gesetze blockiert werden können.

Kritiker verstehen den Vorschlag eher als Veto für "Wutbürger", während Patzelt von der Idee äußerst angetan ist. Auch Kretschmers Vergleich der Aktionskünstler vom "Zentrum für politische Schönheit" mit der rechtsextremen Identitären Bewegung fällt in die Kategorie der Anbiederung nach rechts.

Wird jetzt, in der Schlussphase des Wahlkampfes, umgesteuert? Einige Strategen in der Landespartei wollen das. Es gilt zum einen, mögliche spektakuläre Auftritte von Maaßen im Wahlkampf zu verhindern. Und zum anderen, Politik-Professor Patzelt nach missverständlichen Äußerungen keine Bühne mehr zu bieten.

"Im Prinzip ist sein Werk getan", heißt es aus der Landespartei mit Blick auf das am vergangenen Samstag vom CDU-Landesparteitag in Chemnitz verabschiedete Wahlprogramm. Der Landesvorsitzende der Jungen Union, Florian Oest, schimpfte im Mai im Tagesspiegel-Interview über die ständigen Patzelt-Ratschläge: "Ich kann es bald nicht mehr hören!"

Zugleich wird die Versöhnung mit Annegret Kramp-Karrenbauer angestrebt, die in der Sachsen-CDU bei der Bundesvorsitzenden-Wahl im Vergleich zu Friedrich Merz als zweite Wahl galt: Sie soll mindestens zehn mal im Landtagswahlkampf auftreten.

Öffentliche Termine mit Maaßen in den nächsten Wochen in Sachsen sind dagegen bisher nicht angekündigt worden. Und wenn, dann sollen sie nicht mit Unterstützung von Kreisverbänden stattfinden. Aber der Ex-Geheimdienstchef hält sich bereit: "Ich denke an das schöne Sachsen", sagte er im Juni der Chemnitzer Tageszeitung "Freie Presse".

Patzelt empört sich über "Kontaktsperre" zur AfD

Patzelt hat sich nach eigenen Angaben von ein paar CDU-Landtagsabgeordneten für bisher vier Wahlkampfauftritte verpflichten lassen, von der Oberlausitz über das Erzgebirge bis nach Leipzig. "Wahlkampfschlachtross" soll er keinesfalls werden, heißt es aus der Landespartei. Grund: seine "Unberechenbarkeit".

Interviewanfragen derweil lehnt Patzelt entsprechend alter Gepflogenheit nur in den seltensten Fällen ab - zum Ärger seiner Parteifreunde. Er klagt dann beispielsweise, dass die Sachsen-Union "sprachlos" auf Pegida reagiert habe, "dafür bezahlen wir bis heute". Dass die CDU "arrogant regiert", das "Volk nicht ernst genommen" habe.

Nun gebe es viele, die die CDU bestrafen wollten: "Nie wieder CDU, das ist jetzt deren Leitmaxime." Er erklärt, dass eine drohende Koalition mit den Grünen in Sachsen dazu führen werde, dass "bisherige CDU-Wähler, die keine Linkspolitik wollen, bei der kommenden Landtagswahl ihr Kreuz bei der AfD setzen werden".

Patzelt schimpft, dass die Bundes-CDU nicht nur Koalitionen ausschließe, sondern eine "Kontaktsperre" zur AfD verordnet habe. Dass AfD-ler im Konrad-Adenauer-Haus als "politische Unmenschen" gelten würden. Er verlangt, dass es doch noch möglich sein müsse, bei einer "Feier" der AfD ein "Grußwort" zu halten.

Die Position, die die Bundes-CDU im Umgang mit der AfD verordnen wolle, werde sich "in der Praxis nicht durchhalten lassen". Auf dem CDU-Landesparteitag am vergangenen Wochenende in Chemnitz erklärte Kretschmer mit Blick auf die AfD: "Wenn man das Wahlprogramm dieser Truppe liest, kann man nur sagen: Es kann nicht deren Ernst sein. Dem müssen wir etwas entgegensetzen, mit ganzer Kraft."

Die Autorität von Parteichefin AKK gilt in Sachsen weiterhin als gering - sie allein wird das Veto gegen ein schwarz-blaues Bündnis nicht durchsetzen können. Für Kretschmer kommt es sehr auf die richtigen Signale bei der Landtagswahl an.

Hilft ihm auf den letzten Metern des Wahlkampfes sein Amtsbonus als Ministerpräsident? Oder verliert er in Görlitz das Direktmandat an den Polizeikommissar Sebastian Wippel von der AfD, der im Juni in Deutschlands östlichster Stadt nur deshalb nicht Oberbürgermeister wurde, weil sich alle anderen Parteien gegen ihn verbündeten? Zieht Kretschmer womöglich nicht einmal in den Landtag ein, weil die Landesliste - er steht dort auf Platz eins - nicht zieht? Formal könnte er zwar auch dann als Regierungschef bestätigt werden. Aber es wäre in diesem Fall gut möglich, dass diejenigen in der Landespartei aus der Deckung kommen, die sich eine Regierungszusammenarbeit mit der AfD anders als er sehr wohl vorstellen können.

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