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Die deutsche Wirtschaft schrumpft weiter: Politiker und Firmenchefs verschweigen unbequeme Wahrheiten
Die Rezession in Deutschland verfestigt sich. Woran das liegt, ist weitgehend bekannt. Doch den Verantwortlichen mangelt es an Ehrlichkeit und Ernsthaftigkeit.

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Nun hat sich also bewahrheitet, wovon die Bundesregierung, aber auch die Mehrheit der Ökonomen bereits ausgegangen ist. Die deutsche Wirtschaft ist auch 2024 geschrumpft: um 0,2 Prozent, nach 0,3 Prozent im Vorjahr.
Zwei aufeinanderfolgende Jahre sinkender Wirtschaftsleistung gab es bisher nur einmal in der deutschen Nachkriegszeit: Kurz nach der Jahrtausendwende, als die Internetblase platzte und der Terror vom 11. September die USA und die Welt erschütterte.
In Wahrheit ist es unerheblich, ob das Statistische Bundesamt an diesem Mittwoch ein hauchdünn negatives, ein positives oder gar kein Wachstum verkündet hätte. Denn Fakt ist: Die deutsche Wirtschaft kommt schon seit Jahren nicht von der Stelle. Mehr Firmen als sonst bauen Stellen ab oder gehen insolvent. Die Reallöhne haben immer noch nicht das Vor-Corona-Niveau erreicht.
Die Gründe für die schlechte konjunkturelle Lage sind nach dem nun zweiten Rezessionsjahr landläufig bekannt: Der private Konsum kommt nicht in Schwung, weil das Preisniveau, ausgelöst durch Pandemie und Krieg, enorm gestiegen ist. Die Verbraucher sind weiter verunsichert, auch die Industrie leidet unter hohen Energiepreisen – und unter der schwächelnden Nachfrage in den Weltmärkten, allen voran China. Die kurzfristigen Aussichten sind also nicht unbedingt verheißungsvoll.
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Schwerer wiegen jedoch die strukturellen Baustellen. Auch diese Diagnose löst weder in der Politik noch in der Wirtschaft oder Gesellschaft Verwunderung aus. Überall besteht sichtbarer Handlungsbedarf: Die Bürokratiekosten sind hoch, die Infrastruktur von Bahn, Brücken sowie Schulen verschlissen und es fehlt qualifiziertes Personal.
Ohne mehr Zuwanderung wird die Rezession vom Ausnahme- zum Normalzustand – schlichtweg, weil uns bald die Arbeitskräfte fehlen, um überhaupt noch zu wachsen. Staat, Unternehmer und Kapitalgeber sind gefragt, um langfristig zurück auf den Wachstumspfad zu kommen.
Das setzt allerdings Ehrlichkeit, Ernsthaftigkeit und Verantwortungsbewusstsein der Handelnden voraus. Besorgniserregend ist, dass viele Verantwortliche in den Parteien und Firmen dies gerade vermissen lassen.
Scheindebatten statt unbequemer Wahrheiten
Steuern und Abgaben sind in Deutschland höher als in den meisten anderen Ländern (während Vermögende eher unterdurchschnittlich belastet werden). Wenn Politiker:innen Entlastungen in Aussicht stellen, kann das wirtschaftliche Dynamik auslösen.
Doch müssen sie realistisch sein – und finanzierbar. Stattdessen überbieten sich Parteien, am stärksten AfD, FDP und CDU/CSU, mit Versprechungen, die nachweislich nicht finanzierbar sind. Das ist nicht nur unseriös, sondern unehrlich, wenn man gleichzeitig Steuererhöhungen oder Rentenanpassungen ausschließt oder eine Reform der Schuldenbremse aus ideologischen Gründen ablehnt.
Statt ihrer Verantwortung für das ganze Land nachzukommen, spielen Politiker zunehmend einzelne Gruppen gegeneinander aus.
Felix Kiefer
Um unbequeme Wahrheiten nicht aussprechen zu müssen, treten zudem auch Firmenlenker immer wieder Scheindebatten los, die am eigentlichen Kern der Probleme vorbeigehen. Mal wettert Trigema-Urgestein Wolfgang Grupp gegen das Homeoffice, weil Mitarbeitende dort wertlos seien.
Ein andermal schlägt Munich-Re-Chef Joachim Wenning vor, zwei Feiertage abzuschaffen, weil die Deutschen vermeintlich zu wenig arbeiten – statt über flächendeckende Kitaplätze, eine gerechtere Aufteilung der Sorgearbeit, eine Flexibilisierung von Arbeitszeit oder mehr Zuwanderung zu sprechen.
Aktuellstes Beispiel ist Allianz-Chef Oliver Bäte, der den Karenztag wieder einführen will, weil der Krankenstand in Deutschland so hoch ist. Damit riskiert man, dass Menschen krank zur Arbeit zu erscheinen, weil sie es nicht leisten können, auf einen Tag Gehalt zu verzichten.
Statt eine Kultur des Misstrauens weiter zu fördern, sollten sich Firmen und ihre Verantwortlichen ernsthaft mit den Ursachen und der Linderung des hohen Krankenstandes auseinandersetzen. Denn deutlich mehr Menschen sind tatsächlich krank als faul – ob psychisch, muskulär oder durch Infektionen.
Die Klimakrise scheint vergessen
Das führt unmittelbar zum dritten Punkt. Verantwortungsbewusstes Handeln heißt, Beschäftigten auch langfristig eine Perspektive zu geben. Indem man die digitale wie ökologische Transformation mutig angeht, auch auf Kosten kurzfristiger Profitabilität. Auch indem man Fehler eingesteht oder sich von überholten Geschäftsmodellen trennt. In vielen Chefetagen deutscher Vorzeigeunternehmen passiert das zu selten.
In der Politik übrigens ebenso wenig. Der Staat trägt auch Verantwortung dafür, dass Menschen künftig noch ein sicheres und würdevolles Leben führen können. Die Klimakrise spielt im Wahlkampf allerdings fast keine Rolle mehr. Doch statt ihrer staatsbürgerlichen Verantwortung für das ganze Land und dessen Zukunft nachzukommen, spielen Politiker zunehmend einzelne gesellschaftliche Gruppen gegeneinander aus: Bürgergeld-Empfänger gegen Arbeitende, Geflüchtete gegen hier Geborene oder Beschäftigte gegen Unternehmer.
Mit dem Finger auf andere zu zeigen, mag die eigene Anhängerschaft mobilisieren. Die Kollateralschäden für die Demokratie durch Demotivierung, Ausgrenzung oder Polarisierung sind unvergleichbar größer.
Die deutsche Wirtschaft steht vor herausfordernden Jahren. Um zu wirtschaftlicher Stärke zurückzufinden, sind massive Investitionen und deutlich bessere Angebotsbedingungen nötig. Doch vor allem braucht es ehrliche, ernsthafte und verantwortungsbewusst handelnde Politiker wie Unternehmerinnen. Um zu sehen, wohin das Gegenteil führen kann, genügt ein Blick in die USA oder nach Österreich.
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