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Schwangere Frauen warten in San Salvador auf das Ergebnis ihres Testes.

© Reuters

Angst vor dem Zika-Virus: Die große Unsicherheit

Das Zika-Virus verbreitet sich explosionsartig, ist aber kaum bekannt. Schwangere Frauen sollten ihre Reisen in die betroffenen Gebiete verschieben. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jana Schlütter

Bei manchen Babys hat sich das Gehirn kaum gefaltet, bei anderen haben die Nervenzellen viel zu dicke Wulste gebildet. Ganze Hirnbereiche sind verkümmert und voller Kalkablagerungen. Sie haben nicht einfach einen zu kleinen Kopf, zeigte eine Untersuchung von 35 Babys mit Mikrozephalie in Brasilien. Die Kinder sind körperlich und geistig behindert, ihr Leben lang. Einige sterben als Neugeborene.

Wie viele der mehr als 4000 Mikrozephalie-Verdachtsfälle in Brasilien sich bestätigen und ob das Zika-Virus wirklich dafür verantwortlich ist, ist noch unklar. Doch was Ärzte dort beobachten, macht nicht nur Frauen in den Ausbruchsgebieten Angst. Es hat Seuchenbehörden und Fachgesellschaften weltweit alarmiert. Sie raten Schwangeren und Frauen, die schwanger werden wollen, Reisen in die betroffenen Gebiete zu verschieben – schließlich ist nicht jeder Mückenstich vermeidbar. Wer in den letzten Monaten dort war, sollte es bei der nächsten Vorsorgeuntersuchung erwähnen. Ab Montag wird außerdem ein Komitee der WHO abwägen, ob die Zika-Epidemie in Amerika ein internationaler Gesundheitsnotfall ist.

Über Zika ist fast nichts bekannt

Das hat nichts mit Panikmache zu tun, sondern mit Vorsicht. Über Zika ist fast nichts bekannt. Verbreiten wirklich nur Mücken der Art Aedes aegypti das Virus oder auch die Asiatische Tigermücke? In welcher Phase der Schwangerschaft ist die Infektion besonders gefährlich? Müssen andere Faktoren hinzukommen, um die Fehlbildungen auszulösen? Wie oft bringen Frauen, die sich angesteckt haben, ein gesundes Kind zur Welt? Ist die sexuelle Übertragung des Virus die große Ausnahme? Wie viele Menschen sind überhaupt infiziert? So lange es sehr viel mehr Fragen als Antworten gibt, ist das Risiko kaum abschätzbar. Nur eines ist sicher: Eine Fehlbildung des Gehirns kann kein Arzt rückgängig machen.

Die Situation erinnert an die Nachkriegszeit. Damals fürchteten sich schwangere Frauen vor den Röteln. Auch die Röteln sind eigentlich harmlos. Lästiger Ausschlag und leichtes Fieber. Aber auf jede Epidemie folgten massenhaft missgebildete Babys. Erst als 1969 eine Impfung entdeckt wurde, hatte dieses Leid ein Ende.

Kein Wunder, dass ein Impfstoff gegen Zika ganz oben auf der Wunschliste der Gesundheitsschützer steht. Bis junge Mädchen reihenweise eine solche Spritze bekommen können, werden allerdings Jahre vergehen. Anders als bei Ebola haben Forscher keine testreifen Impfstoff-Kandidaten in ihren Kühltruhen. Sie fangen beinahe bei null an. In etwa einem Jahr könnten erste Sicherheitstests am Menschen beginnen, meint Anthony Fauci von den Nationalen Gesundheitsinstituten der USA. Frühestens in fünf bis sieben Jahren sei der Impfstoff bereit für die Zulassung. Wenn alles ausnahmsweise richtig gut läuft.

Zika ist nicht Ebola

Unterdessen werden im Südosten der USA im Frühjahr die ersten Ausbrüche erwartet. Die Seuchenbehörde hofft, dass sie klein bleiben. So wie bei Dengue und Chikungunya. Schließlich gibt es in dem Land keine überbevölkerten Slums, die den Mücken ideale Bedingungen bieten. Klimaanlagen und eine relativ erfolgreiche Mückenbekämpfung tun ein Übriges. Grundsätzlich gilt: Überall, wo sich Aedes-Mücken wohlfühlen und wo es bereits Dengue gab, kann ein infizierter Reisender einen Zika-Ausbruch auslösen. Auf Deutschland trifft das nicht zu. Aber auf Madeira, das außerdem enge Verbindungen mit Brasilien und Venezuela hat.

Zika ist nicht Ebola. Zika zeigt jedoch erneut, dass einst als unbedeutend eingestufte Erreger jederzeit ein neues Gesicht offenbaren können. Dass Mobilität und Urbanisierung ihre Reichweite erheblich vergrößern – von Massenveranstaltungen wie dem Karneval in Rio ganz zu schweigen. Und dass wir auf die Gefahr neuer Infektionskrankheiten nicht vorbereitet sind. Angesichts dieser Erfahrungen gibt es keine Entschuldigung dafür, die WHO-Reform halbherzig anzugehen oder der Organisation weiterhin viel zu wenig Geld zu geben. Wir brauchen dringend eine schlagkräftige Weltgesundheitsorganisation.

Nur einer in fünf Erwachsenen entwickelt Sypmtome

Dass die WHO erwägt, wegen Zika einen Gesundheitsnotfall auszurufen, ist richtig. So kann sie die Forschung katalysieren, die die Ungewissheit beenden kann. Bisher fehlen zum Beispiel Antikörpertests, die Zika sicher von Dengue unterscheiden. Sie sind nötig, um eine Monate zurückliegende Infektion nachzuweisen. Wenn eine Frau immun ist, könnte sie beruhigt schwanger werden. Forschern würde die Diagnostik helfen, die Verbreitung in der Bevölkerung zu schätzen – schließlich hat nur einer von fünf Erwachsenen Symptome – und den Zusammenhang mit der Mikrozephalie zu belegen. Reiseempfehlungen und Risikobewertungen würden dann auf Fakten statt auf Furcht beruhen. Neue Mückenbekämpfungsstrategien sind ohnehin sinnvoll, die alten versagen regelmäßig. Langfristig brauchen wir Impfstoffplattformen, die sich schnell an neue Gefahren anpassen und produzieren lassen. Zu einem Preis, den jeder bezahlen kann. Der Markt wird das nicht richten, weder heute noch morgen. Das nächste Virus ist nur ein paar Flugstunden entfernt.

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