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Dern Wikileaks-Gründe Julian Assange.

© REUTERS/Peter Nicholls/File Photo

Whistleblower soll ausgeliefert werden: Die Grünen lassen Julian Assange im Stich

In der Opposition hatten die Grünen der damaligen Bundesregierung Feigheit im Fall Assange vorgeworfen. Und jetzt? Bleiben sie still. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Ach, was stört mich mein Geschwätz von gestern, sagte Konrad Adenauer, der erste Bundeskanzler der Westrepublik. Und das passt immer wieder. Was die Grünen gestern noch sagten – gilt das heute nicht mehr? Es geht hier um den Fall Julian Assange. Der Whistleblower und Wikileaks-Gründer soll ausgeliefert werden, von Großbritannien an die USA, wo ihm dann 175 Jahre Haft drohen. Heißt: bis zum Tod.

Da haben die Grünen – in der vergangenen Legislaturperiode, also noch als Opposition – der Bundesregierung Feigheit vorgeworfen, weil die sich nicht schützend vor Assange stellte. Im Fokus der Kritik: das Auswärtige Amt, seinerzeit geführt von einem Sozialdemokraten.

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Und jetzt, da eine der Ihren, Annalena Baerbock, das Amt in einer Koalition mit eben den Sozialdemokraten führt: nichts. Stille. Bis auf den Hinweis, dass sie die aktuelle Entwicklung verfolge und das Amt mit dem Außenministerium in London wegen des Falls in Verbindung stehe.

Enttäuschend ist nicht das richtige Wort dafür. Entsetzen passt besser. Und skandalös kommt dem ziemlich nahe. Denn wertegeleitete Außenpolitik (Baerbock) sähe anders aus. Man muss auch nicht alle Gepflogenheiten des diplomatischen Dienstes übernehmen. In anderen Fällen tut es die Ministerin ja auch nicht, siehe Ukraine, Russland, China. Da ist sie zuweilen bemerkenswert offen, unverblümt, so gar nicht diplomatisch.

Als Grünen-Kanzlerkandidatin sprach sich Baerbock am 14. September 2021 für die Freilassung von Assange aus. Und zwar so: „Aufgrund schwerwiegender Verstöße gegen grundlegende Freiheitsrechte der Europäischen Menschenrechtskonvention im Umgang mit Julian Assange – allen voran gegen das Verbot von Folter (Art. 3), gegen das Recht auf Freiheit und Sicherheit (Art. 5), gegen das Recht auf ein faires Verfahren (Art. 6) und gegen das Recht, keine Strafe ohne Gesetz zu erhalten (Art. 7) – schließen wir uns der Resolution der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 27. Januar 2020 sowie dem Appell des UN-Sonderbeauftragten Nils Melzer an und fordern die sofortige Freilassung von Julian Assange.“ Mehr Klarheit geht kaum.

Assange geht es richtig schlecht

Zumal es Assange richtig schlecht geht. Ein leichter Schlaganfall war eine Folge der jahrelangen, ja, wie soll man sagen: Jagd auf ihn. UN-Sonderberichterstatter Nils Melzer hatte im Mai 2019 nach einem Besuch bei Assange schwere Gesundheitsschäden bei diesem ausgemacht. Assange sei offenkundig „durch das extrem feindselige und willkürliche Umfeld der vergangenen Jahre beeinträchtigt“. Er weise Symptome „psychologischer Folter“ auf. Grundlegend gebessert hat sich die Situation seither nicht.

Nun kann man Assange auch kritisch sehen, das schon. Beispiele gibt’s: Beeinflussung des US-Wahlkampfs 2016 zugunsten von Donald Trump durch das Publizieren tausender Emails der demokratischen Kandidatin Clinton. Host einer Show für Russia Today 2012, Positionen gegen Israel, für Assad. Vortragsreise nach Schweden 2010 auf Einladung einer rechtsradikal antisemitischen „Bruderschaftsbewegung“, die sich protestantisch gibt. Behauptungen zur Verfolgung von Wikileaks durch „jüdische“ Interessen und Medien 2011.

Aber wenn das jetzt Baerbock und die Grünen in ihrem Urteil bestimmen sollte – dann müssen sie sich erst recht dazu verhalten. Offen, öffentlich. Denn zuständig ist die Außenministerin, so oder so. Das Kanzleramt wird auch auf ihre Antwort warten.

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