Politik: Die hohe Politik ist hierzulande noch immer Männersache - trotz Angela Merkels Karrieresprung
Mit Angela Merkel wird erstmals eine Frau an die Spitze der CDU und damit - von den Grünen abgesehen - an die Spitze einer im Bundestag vertretenen Partei treten. Das ist ein Durchbruch, den man gerade der Union kaum zugetraut hätte.
Mit Angela Merkel wird erstmals eine Frau an die Spitze der CDU und damit - von den Grünen abgesehen - an die Spitze einer im Bundestag vertretenen Partei treten. Das ist ein Durchbruch, den man gerade der Union kaum zugetraut hätte. Und der wohl ohne das Desaster, in dem sich die Union nach der von Helmut Kohl verursachten Krise und dem damit zusammenhängenden Rücktritt von Wolfgang Schäuble befand, so nicht zustande gekommen wäre. Dennoch wäre es falsch, in Frau Merkel nur eine Lückenbüßerin zu sehen. Denn sie hat sich in einem - jedenfalls zu Beginn - harten Wettbewerb durchgesetzt und dabei sogar die CSU zu einer bemerkenswerten Kehrtwendung genötigt.
Natürlich steht ihr die eigentliche Probe in ihrer neuen Funktion noch bevor. Und ob sich die CDU unter ihrer Führung wirklich tiefgreifend erneuern kann, wird sich erst noch erweisen. Aber das Faktum bleibt - die so genannten Elefanten sind nicht mehr unter sich. Zukünftig gehört eine Frau zum engsten Zirkel der politischen Führung unseres Landes.
Das ist Anlass genug, sich in Erinnerung zu rufen, welch langer Prozess durchlaufen werden musste, um einen solchen Fortschritt auf dem Felde der politischen Gleichberechtigung der Frauen zu erzielen. Einer der ersten, der dieses Thema aufgriff, war August Bebel. In seinem Buch "Die Frau und der Sozialismus", das 1879 erstmals erschien und bis zu seinem Tode eine Millionenauflage erreichte, vertrat er die These, dass sich die Rechts- und Chancengleichheit aller Menschen vor allem zwischen Männern und Frauen bewähren müsse. Damit stieß er im bürgerlich-konservativen Lager auf lebhaften Widerspruch und selbst in der Sozialdemokratie war die Zustimmung nicht immer ungeteilt. Erst 1908 erlaubte eine Änderung des Vereinsrechtes Frauen, politischen Parteien beizutreten. Bis dahin verbot beispielsweise das Preußische Vereinsgesetz "Frauenspersonen" nicht nur die Zugehörigkeit zu politischen Vereinen sondern sogar die Anwesenheit bei Versammlungen und Sitzungen. Und erst 1918 erhielten die Frauen im Zuge der Revolution das Wahlrecht.
Nach dem 2. Weltkrieg setzte Elisabeth Selbert mit zäher Beharrlichkeit durch, dass 1949 in das Grundgesetz der Satz aufgenommen wurde "Männer und Frauen sind gleichberechtigt". Dann dauerte es 45 Jahre, bis dieser Satz durch die Bestimmung ergänzt wurde "Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männer und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin". Ein Auftrag, der auch heute noch der vollen Realisierung harrt.
Immerhin wurde 1972 eine Frau - Annemarie Renger - erstmals Bundestagspräsidentin und 1994 mit Jutta Limbach erstmals eine Frau Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts. Und Rita Süßmuth amtierte zehn Jahre als Bundestagspräsidentin. Die Zahl der weiblichen Bundestagsabgeordneten begann erst in den 80er Jahren auf jetzt 30,3 Prozent zu steigen, wobei die CSU mit nur 10,6 Prozent am weitesten zurückliegt. Bahnbrechend für diese Zunahme war die Nominierungspraxis der Grünen und der - seinerzeit von der Union heftig kritisierte - Quotierungsbeschluss der SPD vom August 1988, auf den sich übrigens inzwischen auch Männer berufen, wenn sie in die Minderheit zu geraten drohen.
Aber in der Realität ist der rechtliche Rahmen noch keineswegs ausgeschöpft. Noch nie stand eine Frau als Staatsoberhaupt an der Spitze unseres Gemeinwesens und noch nie gab es einen weiblichen Bundeskanzler oder - mit Ausnahme der Grünen - eine Vorsitzende einer Bundestagsfraktion. Und von den 16 Ministerpräsidenten ist nur eine einzige eine Frau. In bestimmten Fachbereichen unserer Hochschulen und auf der Vorstandsebene der großen Unternehmen sieht es sogar noch schlechter aus. Von dem generellen Ausschluss der Frauen vom Priesteramt in der Katholischen Kirche ganz zu schweigen.
Da muss sich vor allem auch in der Politik noch vieles ändern, bis der männliche Vorrang einer wirklichen Gleichstellung gewichen ist. Dabei sollte nicht übersehen werden, dass die Frauen mit 51,2 Prozent die absolute Mehrheit unseres Volkes bilden. Außerdem kann es der Politik nur gut tun, wenn dort Fähigkeiten wie Fantasie, Originalität, gesellschaft-politisches Verantwortungsgefühl, Kooperationsfähigkeit und soziale Empfindsamkeit stärker in Erscheinung treten. Nach meiner eigenen politischen Erfahrung sind das Eigenschaften, die bei Frauen nicht seltener sondern eher häufiger zu finden sind als bei Männern.
Manchmal gibt es Vorgänge, die einen pessimistisch stimmen. So die Art und Weise, wie man in Berlin erst kürzlich mit Frau Fugmann-Hesing und dann mit Frau Thoben umgegangen ist. Aber ich bin sicher: Das Verständnis der Männer wird wachsen. Und die Frauen werden sich mehr und mehr durchsetzen. Der Fall Merkel lässt hoffen.Der Autor war Vorsitzender der SPD und 1981 Regierender Bürgermeister von Berlin.
Hans-Jochen Vogel