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Schloss Bellevue in Berlin, Sitz des Bundespräsidenten.

© dpa

Nachfolge von Joachim Gauck: Die Kungelei der Eliten beschädigt das höchste Amt

Die US-Wahl wollten viele als Lehre verstanden wissen. Doch die Suche nach einem Bundespräsidenten wird auch wieder zum Machtspielchen elitärer Zirkel. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ariane Bemmer

Die US-Präsidentenwahl, die gerade war, wird in ihrer Entscheidung allgemein bedauert, aber darüber hinaus als grundsätzlicher Appell verstanden, dass die Kommunikation zwischen dem sogenannten Establishment und dem sogenannten Volk geändert werden müsse. Sie müsse klarer und ehrlicher werden, um die Spaltung der Gesellschaft aufzuhalten, bestenfalls umzukehren. Raus aus den elitären Zirkeln der Politmächtigen, ihrer Beobachter, Deuter und Follower, heißt das Motto, Schluss mit der „Selbstbezogenheit der progressiven Eliten“, wie es Grünen-Chef Cem Özdemir gerade eben bei dem Treffen seiner Partei formulierte. Auf dass man sich im Land mal wieder besser verstehe.

Gute Einsicht, guter Ansatz, möchte man sagen. Dann macht mal!

Wie schwer das aber ist, zeigt sich zeitgleich an einem anderen Präsidentenprojekt: der Suche nach einem Kandidaten als Nachfolger von Bundespräsident Joachim Gauck.

Was ist das, was da zu besichtigen ist?

Die Inhaber wichtiger politischer Ämter suchen einen Kandidaten, der zuallererst mal ihren eigenen Interessen nützen soll, sie sprechen sich ab, treffen sich und treffen sich noch mal, immerzu kursieren neue Namen, bei denen mancher auf der Straße sich vielleicht die Augen reibt, manches passiert heimlich, manches offen, und zwischendurch wird dann wieder gemeinsam genickt und die Wichtigkeit des Bundespräsidentenamtes beschworen. Erster Mann im Staat! Höchstes Amt!

Die viel beschworene Wichtigkeit des Amts wird nicht ernst genommen

Wenig von dem, was während der sich nun seit einiger Zeit hinziehenden Suche sichtbar wurde, deutet darauf hin, dass die Sucher diese von ihnen selbst beschworene Wichtigkeit des Amts ernst nehmen. Vielmehr sieht es so aus, als würden sie es aus Eigennutz instrumentalisieren und billigend in Kauf nehmen, dass es bei solcher Handhabung kaputtgeht.

Ist das nicht genau das, was man sich unter einem selbstbezogenen Elitenprojekt vorstellt?

Wo sind denn in all den Bundespräsidentenkandidatenüberlegungen die Bürger und ihre möglichen Ansprüche an Gaucks Amtsnachfolger? Der oder die ja in Zeiten, in denen der Populismus tiefe Gräben in die gewohnten Verständigungsrituale schlägt, als eben nicht parteiliche Stimme der Vernunft so wichtig wie lange nicht mehr sein könnte. Kommen nicht vor? Weil es vielleicht mit der Wichtigkeit des Amts gar nicht so weit her ist?

Ein bisschen sieht das Schloss Bellevue jetzt schon aus wie ein Spieleteil in einem Wer-gewinnt-Taktikspiel, dessen Anleitung etwas zu lang, arg kompliziert und von außen betrachtet nicht sehr interessant ist. Vielleicht ist der Bundespräsident in dem Spiel eine Jokerkarte, aber auch die wird ja von anderen gezogen. Für die Spielteilnehmer offenbar eine große Verlockung. Auch die AfD, die ja so ganz anders sein will als die anderen, hat gleich mitgemacht und einen Namen gesagt.

Die Nominierung von Christian Wulff war rücksichtslos

Wo ist die wahre Mitte zwischen der Inbrunst, mit der über einen Bundespräsidenten verhandelt und herumgeheimnist und enthüllt wird, und der Respektlosigkeit, die ebenso in all dem sichtbar wird?

Das Amt etwa mit der Bedeutung aufzuladen, an seiner Besetzung zeige sich bereits die nächste Regierung, ist eine Insidersicht. Die nächste Regierung wird von den Bürgern des Landes gewählt. Die aber wählen den Bundespräsidenten nicht. Und es ist nicht völlig ausgeschlossen, dass es viele von ihnen einigermaßen wenig kümmert, wer Bundespräsident ist. Was auch nicht gegen die Bürger spricht.

Das Amt ist ein Repräsentationsposten mit vornehmlich ideeller Bedeutung. Die aber haben die Politiker selbst demoliert, zuletzt und am rücksichtslosesten mit der Verabredung, aus dem uncharismatischen und völlig unpräsidialen Provinzpolitiker Christian Wulff einen Bundespräsidenten zu machen, einfach nur, weil es ihnen in ihre Konzepte passte.

Jetzt sitzen sie wieder regelmäßig zusammen und überlegen, wie es gehen könnte. Als hätte es die amerikanische Welterschütterungswahl gar nicht gegeben, machen sie weiter in ihrem Spielchen, ohne die allergeringste Erschütterung, ohne das kleinste Stutzen, die leise Frage: Was genau machen wir hier eigentlich? Sind mit diesem Urschrei vielleicht irgendwie auch wir gemeint? Jedenfalls ist nichts davon erkennbar. Das ist schade.

Natürlich ist es schwer, Gewohnheiten zu ändern. Man muss sie dazu auch erst mal als solche identifizieren, sein eigenes Denken und Handeln hinterfragen. Und das Bekannte hat ja auch etwas Beruhigendes. Aber wenn es stimmt, was sie alle nach der US-Wahl über den sich ausbreitenden spalterischen und darum gefährlichen Populismus sagen, dann ist jetzt nicht die Zeit, sich selbst zu beruhigen. Dann ist jetzt nicht die Zeit für Rituale.

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