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 Die Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja aus Belarus ist zum zweiten Mal in Berlin - hier ein Bild von ihrem Besuch im Oktober.

© Kay Nietfeld/dpa

Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja: „Die Menschen in Belarus brauchen dringend Hilfe“

In Berlin wirbt die belarussische Oppositionsführerin Tichanowskaja um Unterstützung - und kritisiert die zu langsame Reaktion der EU. 

Nur auf eine einzige Frage hat Swetlana Tichanowskaja keine Antwort. Wie es ihr selbst gehe, wisse sie nicht genau, sagt die belarussische Oppositionsführerin. Sie komme gar nicht dazu, ihren eigenen Zustand zu analysieren. Seit ihrer Kandidatur für das Präsidentenamt bei den Wahlen im August führt die 38-Jährige ein Leben im Ausnahmezustand.

Während ihr Mann im Gefängnis sitzt, wurde sie zur Führungsfigur der Demokratiebewegung in Belarus. Allerdings musste sie das Land nach massivem Druck durch Sicherheitskräfte verlassen und lebt im litauischen Exil. Nun ist Tichanowskaja ein weiteres Mal nach Deutschland gereist, an diesem Montag trifft sie den Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier und den Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble.

Die Oppositionsführerin war im Oktober zum ersten Mal in Berlin und traf Bundeskanzlerin Angela Merkel. Jetzt wirbt sie noch einmal eindringlich um Unterstützung für ihr Land. „Die Menschen in Belarus brauchen dringend Hilfe“, sagt Tichanowskaja im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Sie sind enttäuscht wegen der mangelnden Unterstützung von außen und wegen der europäischen Statements, die nicht stark genug sind.“

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Die EU habe zwar Sanktionen gegen den bisherigen Staatschef Alexander Lukaschenko und weitere Regimevertreter verhängt, aber die Liste sei nicht sehr lang. Von den Einreiseverboten und Kontensperrungen sind insgesamt 55 Personen betroffen. Derweil gingen die Sicherheitskräfte in Belarus weiter gegen die Zivilbevölkerung vor. An die Verantwortlichen innerhalb der EU hat Tichanowskaja deshalb Fragen: „Warum reagieren Sie so langsam? Und warum sind Ihre Stellungnahmen so leise?“

Die Oppositionsführerin fordert mehr Druck auf das Lukaschenko-Regime, und zwar durch wirtschaftliche Sanktionen gegen Staatsunternehmen. Die EU müsse den staatlichen Strukturen jegliche finanzielle und technische Hilfe entziehen und stattdessen die Zivilgesellschaft unterstützen. Deutschland könne zudem eine wichtige Vermittlerrolle spielen. Bisher waren deutsche Vermittlungsversuche daran gescheitert, dass Lukaschenko nicht bereit war, mit Merkel zu sprechen.

Kleine Protestaktionen statt Großdemonstrationen

Auch am Sonntag gingen in Belarus die Proteste gegen das Lukaschenko-Regime weiter. Doch während anfangs jedes Wochenende Zehntausende auf die Straße gingen, um gegen die Wahlfälschungen zu protestieren, sind die Demonstrationen mittlerweile deutlich kleiner geworden. Das liegt nicht nur an den winterlichen Temperaturen. Die Menschen seien müde, sie hätten Angst, und die Führungsfiguren der Proteste seien in Haft, sagt Tichanowskaja. Doch an ein Ende der Protestbewegung glaubt sie nicht: „Die Bilder der Demonstrationen ändern sich, aber die Entschlossenheit der Menschen hat sich nicht geändert.“

Die Gegner des belarussischen Regimes setzen derzeit auf kleine, dezentrale Aktionen, die von Nachbarschaftsinitiativen organisiert werden. Die Protestbewegung will die Wintermonate nutzen, um solche Strukturen ebenso zu stärken wie die Streik-Komitees. Auch die Untergrundbewegung werde während des Winters stärker werden, glaubt Tichanowskaja.

So waren kürzlich die weiß-rot-weißen Farben der Protestbewegung unter der dicken Eisschicht eines Flusses zu sehen. Sicherheitskräfte versuchen seit Wochen, diese Flagge aus dem öffentlichen Raum zu entfernen. „Wir haben nicht viele Mittel, der Gewalt zu widerstehen, wir müssen erfinderisch sein“, sagt die Oppositionsführerin.

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