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Katherina Reiche vor ihrem Abflug nach Israel.

© IMAGO/BMWE/Thomas Imo

Ministerin unbequem: Selbst den Kanzler treibt Katherina Reiche

Selbstbewusst und schnörkellos fordert Wirtschaftsministerin Reiche Reformen, die über den Koalitionsvertrag hinausgehen. Damit steht sie für „CDU pur“, gefährdet aber den Koalitionsfrieden.

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Ihre Einladung ins Kanzleramt war nicht als Auszeichnung zu verstehen. Im Koalitionsausschuss, dem zentralen Gremium von Schwarz-Rot, saßen vergangenen Mittwochabend nicht nur die Parteichefs von CDU, CSU und SPD am Tisch, sondern auch ein Mitglied aus dem Kabinett von Friedrich Merz: Wirtschaftsministerin Katherina Reiche.

Die 52-jährige CDU-Politikerin ragt aus der sonst eher blassen Merz-Ministerriege heraus. Als Überraschungskandidatin war Reiche, die zehn Jahre in der Wirtschaft statt der Politik tätig gewesen war, ins Ministerium gekommen. Seitdem macht die Brandenburgerin von sich Reden. Selbstbewusst führt sie Debatten über den Koalitionsvertrag hinaus, legt sich mit dem sozialdemokratischen Koalitionspartner an und bringt damit regelmäßig ihren eigenen Kanzler unter Druck.

Zuletzt in der vergangenen Woche: Mit ihrem Veto zur Reform des Bürgergelds stoppte Reiche eigenmächtig das Prestigeprojekt der Union, die eine schmalere Grundsicherung fordert.

Der Wirtschaftsministerin gingen die Vorschläge von Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) beim Umgang mit Totalverweigerern aber nicht weit genug. Zudem sorgt die erneute Verlängerung des Kurzarbeitergelds für Unmut bei den Konservativen, die hinter dem früheren Corona-Instrument eine verzerrende Subvention wittern. Und so schickte Reiche ihren Staatssekretär nicht in die finale Abstimmungsrunde, weshalb Bürger- und Kurzarbeitergeld nicht im Kabinett auf die Tagesordnung kamen.

Ein Affront für den Kanzler, der nach Berichten der „Welt“ nicht vorab von seiner Ministerin informiert wurde. Auch bei der SPD war der Ärger groß, schließlich hatte es bereits eine Einigung mit dem Kanzleramt gegeben. Im Koalitionsausschuss dürfte Reiche direkt mit der Kritik konfrontiert worden sein. In dieser Woche soll nun der Kabinettsbeschluss folgen.

Dabei war die Wirtschaftsministerin eigentlich wegen anderer Vorhaben, die ins Stocken geraten sind, in den Koalitionsausschuss zitiert worden. Beim Heizungsgesetz war es ihrem Ministerium über Monate nicht gelungen, ein Eckpunktepapier mit dem Umwelt- und dem Bauministerium zu erarbeiten. Nun sollen die Fraktionen bei dem Prozess helfen.

Katherina Reiche (l.) und Friedrich Merz wollen gemeinsam die Wirtschaft wieder in Schwung bringen.

© IMAGO/Political-Moments/imago

Und auch beim Industriestrompreis – politisch längst geeint – hakt es. Die Verhandlungen mit der EU stocken. Beim Koalitionspartner vermutete man eine falsche Prioritätensetzung. Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Dirk Wiese, verkündete via „ZDF“, er würde sich von Reiche wünschen, „sie würde mit der gleichen Energie“ wie beim Bürgergeld auch für den Industriestrompreis einsetzen. Er forderte, im Kabinett solle „jeder Minister mehr Fokus“ auf das legen, „wofür er zuständig ist“.

Es ist ein Vorwurf, den man aus den Reihen der SPD immer wieder hört. Reiche mische sich in Themen ein, für die sie eigentlich nicht zuständig sei. Als sie bereits im Sommer forderte, die Deutschen müssten angesichts einer längeren Lebenserwartung auch länger arbeiten, wurde sie von der SPD offen attackiert. Es passt ins öffentliche Bild, der sozialkalten Ministerin, die sich auch in ihrem Ministerium mit den eigenen Leuten anlegt.

Doch Reiche gab keinesfalls nach, im Rentenstreit ließ sie Sympathien für die Jungen Union, die das Rentenpaket verhindern wollte, erkennen. In den eigenen Reihen kommt ihr konservativer Kurs an. Sie sei zwar keine „Menschenfängerin“, dafür aber das „marktwirtschaftliche Gewissen der Regierung“, heißt es aus der Union.

Reiche fordert eine „ambitionierte Reformagenda“

Wo Merz als Kanzler in die Mitte rückte, formuliert Reiche weiter „CDU pur“. Das muss sie als Wirtschaftsministerin mit überschaubarem Etat notgedrungen. Reiche kann Politik nicht mit Geld gestalten, sondern nur mit Worten. Also ist sie deutlich.

So auch vor einigen Tagen im „Table“-Podcast, in dem sie nur acht Monate nach dem Start der Regierung den Koalitionsvertrag infrage stellte. „Für mich ist dieser Koalitionsvertrag die Basis. Mir scheint, für die Sozialdemokratie ist er die Decke“, sagte Reiche. Man müsse sich darüber unterhalten, ob es Nachverhandlungen für „eine ambitionierte Reformagenda“ geben könne.

Statt wirtschaftlichen Aufschwung zu liefern, spielt sie Opposition in der eigenen Regierung.

Grünen-Politiker Julian Joswig hält Reiche für überfordert.

Konkret forderte sie, das Absenken der Körperschaftssteuer vorzuziehen, erneuerte ihre Forderung nach einer längeren Arbeitszeit und schlug vor, die gesetzliche Altersvorsorge stärker mit Anlagen zu stützen. Die Rentenkommission, die in diesen Tagen eingesetzt wird, scheint sie nicht abwarten zu wollen.

In der Opposition fällt die Zwischenbilanz für Reiche kritisch aus. „Statt wirtschaftlichen Aufschwung zu liefern, spielt sie Opposition in der eigenen Regierung und mischt sich in Debatten ein, für die sie weder zuständig ist, noch Entscheidungsmacht hat“, sagt etwa der Wirtschaftspolitiker der Grünen, Julian Joswig, dem Tagesspiegel. Reiche sei mit ihrer Arbeit als Wirtschaftsministerin überfordert.

Reiche, deren Umfeld sie als kühl, konzentriert und zielstrebig beschreibt, dürften solche kritischen Zwischenstimmen egal sein. Ohne Bundestagsmandat und Parteiamt hat sie politische Beinfreiheit. Zumindest für den Moment. Bessert sich die wirtschaftliche Lage nicht, könnte aus der Treiberin ganz schnell eine getriebene Wirtschaftsministerin werden.

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