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Stiller Protest. Ein Flüchtling aus Syrien protestiert in Idomeni dagegen, dass es im Norden Griechenlands kein Weiterkommen gibt.

© dpa

Flüchtlingskrise: Die Stunde der Schlepper

Mit einem Sperrgürtel für Flüchtlinge, der zunehmend um Griechenland gezogen wird, schlägt die Stunde der Schleuser vom Balkan. Wachsende Nachfrage und ein knappes Angebot sind bares Gold für ihre Netzwerke.

Nach der Abriegelung der bisherigen Hauptroute über den Balkan sitzen zehntausende Flüchtlinge und Migranten in Griechenland fest. Gleichzeitig strömen täglich Tausende aus der Türkei mit Booten in Richtung griechische Inseln, um von dort auf das griechische Festland zu gelangen und weiter nach Westeuropa zu ziehen.

Die Zustände im Lager Idomeni an der Grenze zu Mazedonien werden einhellig als unerträglich beschrieben. Bei vielen, die dort ausharren, um die ersehnte Weiterreise anzutreten, schwindet stündlich die Hoffnung, dass man sie noch passieren lässt. Etwa 2000 Flüchtlinge und Migranten haben schon versucht, die Grenze zu Mazedonien abseits des Grenzübergangs Gevgelija zu überqueren. Die allermeisten wurden aber von mazedonischen Sicherheitskräften aufgegriffen und zur Rückkehr nach Griechenland gezwungen.

Derweil verlassen auch andere bereits freiwillig die abgeriegelte Grenze und das Auffanglager in Idomeni. Gleichzeitig bereiten sich sowohl Mazedonien als auch Bulgarien vor auf einen weiteren Andrang von Flüchtlingen und schotten ihre Grenzen weiter ab. Auch Albanien, welches geografisch das am nächsten gelegene Transitland auf dem Weg nach Westeuropa ist, plant eine weitere Sicherung seiner Grenzübergänge zu Griechenland.

Mit diesem Sperrgürtel, der nun zunehmend um Griechenland gezogen wird, schlägt die Stunde der Schleuser vom Balkan. Wachsende Nachfrage und ein sich verknappendes Angebot sind bares Gold für die auf dem Balkan ansässigen Schleusernetzwerke. In Albanien und insbesondere im Kosovo kennt man sich gut aus im Geschäft. Beide Länder fungieren schon lange als Transitzonen für illegale Einwanderer auf ihrem Weg nach Westeuropa. Gleiches gilt für Montenegro und Bosnien-Herzegowina. Nachdem sich die Flüchtlings- und Migrationsströme bislang gut sichtbar entlang der großen Verkehrsachsen bewegt haben, ist nun zu befürchten, dass sich die Ströme zunehmend zerfasern und sich viele mit Hilfe von lokalen Schlepperbanden den schwierigen Weg über die „grünen Grenzen“ suchen werden.

Die Grenze zwischen Albanien und Griechenland ist durchlässig

Offizielle Grenzübergänge lassen sich zwar absperren, aber die Grenze zwischen Albanien und Griechenland ist porös und nur schwer zu kontrollieren. Es besteht die Befürchtung, dass die bereits in den Neunzigerjahren erprobte Route über die Adria nach Italien wieder geöffnet wird. Hunderte kleiner Motorboote passierten einst die Adria, um Flüchtlinge und Migranten, aber auch Drogenladungen vom Balkan nach Italien und in die EU zu bringen. Mit dem Schnellboot von Albanien lässt sich die italienische Küste in etwa zwei Stunden erreichen. Um dieses Szenario abzuwenden, bieten die italienischen Behörden Albanien bereits Unterstützung bei der Sicherung des albanischen Küstenstreifens an und sind dabei, ein entsprechendes Kooperationsabkommen auszuhandeln.

Aber selbst wenn eine Sicherung der albanischen Küste weitgehend gelingen würde, gäbe es wenig, was die Flüchtlinge – einmal in Albanien angekommen – daran hindern könnte, weiter nach Norden zu ziehen. In den zerklüfteten Gebirgen, die Albanien im Osten von Mazedonien und im Norden vom Kosovo und Montenegro trennen, bestehen so gut wie keine effektiven Grenzkontrollen. Diese Grenzen illegal zu überqueren ist – bei gutem Wetter und mit etwas lokaler Hilfe – ein Kinderspiel.

Berichte über Schleuser unter dem Deckmantel humanitärer Organisationen

Darüber hinaus gibt es in der gesamten Region gut organisierte, grenzüberschreitende Schleuser- und Schmugglernetzwerke, deren Anfänge sich bis in die Zeit des Osmanischen Reiches zurückverfolgen lassen. Im westlichen Balkan wird bereits über Schleusertätigkeiten lokaler Netzwerke berichtet. So sollen in Mazedonien kosovo-albanische Schleuser unter dem Deckmantel humanitärer Organisationen operieren und gestrandeten Flüchtlingen den Weitertransport in die EU anbieten – gegen Bares versteht sich. Andererseits haben viele der Flüchtlinge und Migranten Angst davor, sich den albanischen Schleusernetzwerken auszuliefern, erpresst zu werden oder in Albanien festgesetzt zu werden.

Durch die Grenzschließungen werden die Flüchtlinge und Migranten zunehmend in den Untergrund gedrängt. In Griechenland sitzen bereits über 40.000 Flüchtlinge und Migranten fest, und es werden täglich mehr. Wer es sich irgendwie leisten kann, dürfte früher oder später das Geschäft mit den Schleusern suchen. .

Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Lehrbeauftragter an der Universität Konstanz am Fachbereich für Politik- und Verwaltungswissenschaften.

Erschienen bei EurActiv.

Der europapolitische Onlinemagazin EurActiv und der Tagesspiegel kooperieren miteinander.

Joschka Proksik

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