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In dem von Kurden bewachten Lager leben 70.000 Menschen, die meisten sind Frauen und Kinder.

© Ali Hashisho/Reuters

Die Terror-Akademie: Wie der IS in syrischen Lagern neue Kämpfer rekrutiert

Im Camp Al Hol sind Zehntausende Angehörige von IS-Mitgliedern interniert. Sie sollen der Miliz zu neuer Stärke verhelfen. Terrorchef Baghdadi will sie befreien.

Geheimgerichte, Hinrichtungen, indoktrinierte Kinder: Ein Internierungslager für 70.000 Angehörige von Kämpfern des „Islamischen Staats“ (IS) im Nordosten Syriens wird zu einer neuen Machtbasis für die Extremisten, die sich nach ihrer militärischen Niederlage vom Frühjahr neu aufstellen.

Weibliche Anhänger der Dschihadisten führten im Lager Al Hol eine Terrorherrschaft, berichten Menschenrechtler. IS-Chef Abu Bakr al Baghdadi betrachtet die dortigen Insassen als wertvolle Verstärkung – er ruft zur Befreiung seiner internierten Gefolgsleute auf.

Kurdische Milizionäre, die von den USA unterstützt werden, bewachen im Norden Syriens fast 100.000 IS-Kämpfer und deren Familienangehörige in mehreren Lagern. Sollte der IS wie von Baghdadi befohlen einen groß angelegten Befreiungsversuch starten, wären die Kurden kaum in der Lage, diesen zurückzuschlagen. In Al Hol gibt es nur rund 400 Wachleute.

In dem Lager – dort sind auch schätzungsweise knapp 200 Kinder und Frauen mit deutscher Staatsangehörigkeit interniert – herrschen offenbar schlimme Zustände. Das Camp ist völlig überfüllt. Es fehlt an Wasser, Sanitäranlagen, Lebensmitteln und medizinischer Versorgung.

Nach Berichten der UN sind bereits mehrere Hundert Kinder durch Unterernährung und Infektionen gestorben. Helfer warnen, die Menschen könnten sich aufgrund der prekären Lebensumstände radikalisieren.

Die Terroristen schicken Anleitungen zum Bombenbau

Das Lager sei eine „Akademie“ für den „Islamischen Staat“, sagte ein kurdischer Geheimdienstler der „Washington Post“. Die Terrorgruppe kommuniziert über Messaging-Apps mit den Insassen, ruft zu Spenden für die Inhaftierten auf und schickt Anleitungen zum Bombenbau sowie Propagandamaterial ins Lager.

In einem Video aus Al Hol, über das der US-Sender CBS berichtete, sagte eine verschleierte Frau kürzlich an den Westen gerichtet: „Wir sind eine tickende Bombe. Ihr werdet schon sehen.“

Die IS-Anhänger in Al Hol und anderen Lagern könnten den Dschihadisten nach Einschätzung von Experten zu neuer Stärke verhelfen. Der „Islamische Staat“ verlor im März zwar seine letzten Herrschaftsgebiete.

In Al Hol fehlen Trinkwasser, Lebensmittel und medizinische Versorgung.
In Al Hol fehlen Trinkwasser, Lebensmittel und medizinische Versorgung.

© Ali Hashisho/Reuters

Aber „Kalif“ Baghdadi und andere Top-Dschihadisten sind nach wie vor auf freiem Fuß. Baghdadi forderte seine Gefolgsleute in einer Botschaft vor wenigen Wochen auf, die IS-Gefangenen in Syrien und im Irak zu befreien. Al Hol sei besonders gefährdet, heißt es bei der amerikanischen Denkfabrik ISW.

Die Warnung kommt nicht von ungefähr. Erst vor wenigen Tagen war es in einem isolierten Teil des Lagers – dort werden besonders radikale IS-Sympathisanten festgehalten – zu Gefechten gekommen. Bei einem Schusswechsel mit weiblichen kurdischen Sicherheitskräften kam eine IS-Anhängerin ums Leben.

Todesurteil durch islamistisches Geheimgericht

Die Unruhen begannen, als Wachleute gegen Geheimgerichte der Terrormiliz vorgingen. Eines dieser Willkürgremien soll eine Frau wegen Verstößen gegen die IS-Ideologie zum Tode verurteilt haben. Sie erlag kurdischen Medien zufolge ihren Stichverletzungen.

In Teilen von Syrien und Irak macht sich der IS bereits seit einiger Zeit wieder bemerkbar. Dem ISW zufolge töteten dessen Kämpfer in den vergangenen Monaten im Irak viele Dorfvorsteher, die mit der amerikanischen Koalition zusammenarbeiteten. Die Dschihadisten sollen zudem über eine Kriegskasse mit 400 Millionen Dollar verfügen.

IS-Chef al Bagdadi ruft zur Befreiung seiner inhaftierten Gefolgsleute auf.
IS-Chef al Bagdadi ruft zur Befreiung seiner inhaftierten Gefolgsleute auf.

© dpa

Bis zum Ausbruch eines neuen großflächigen Aufstands von Baghdadis Kämpfern sei es nur eine Frage der Zeit, vermuten die Experten des ISW. Derzeit sind USA, Türkei und syrische Kurden allerdings vor allem mit sich selbst beschäftigt. Sie streiten über die Einrichtung einer „Sicherheitszone“ im Nordosten Syriens.

Zudem wollen die USA ihre Soldaten aus dem Bürgerkriegsland abziehen. Das spiele Baghdadi und seinen Gefolgsleuten in die Hände, analysiert die Denkfabrik ISW. Der „Islamische Staat“ wolle wieder Gebiete im Irak und in Syrien erobern – und habe Chancen auf Erfolg.

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