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Rauch nach einer Explosion auf dem russischen Stützpunkt Saki (am 9. August 2022)

© Imago/Itar-Tass/Stringer

Angriffe auf russisch besetztes Gebiet: Die Ukraine trägt den Krieg tief ins Feindesland

Die Ukraine brauche deutlich mehr Waffen, sagt ein hochrangiger Ex-General der USA. Bis es soweit ist, wissen sich die Verteidiger aber auch alleine zu helfen.

Die Ukraine trägt den Krieg derzeit offenbar tief ins von Russland besetzte Gebiet. Explosionen auf der annektierten Schwarzmeerhalbinsel Krim mehren sich in den vergangenen Wochen. Für den fortgesetzten Kampf tief im Feindesland benötigt die Ukraine jedoch mehr Waffen, sagte Mark Arnold, pensionierter Brigadegeneral der US-Armee, dem Tagesspiegel.

Die Ukraine müsse in die Lage versetzt werden, „russische Nachschubdepots, Transportknotenpunkte, Treibstoffvorräte und Kommandozentralen“ zu zerstören, sagt der Militärexperte. Nur so könne man Russland besiegen.

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Schon Anfang August sind bei Detonationen auf dem Luftwaffenstützpunkt Saki offenbar mindestens zehn russische Flugzeuge zerstört worden. Das Areal befindet sich auf der seit 2014 annektierten Schwarzmeerhalbinsel Krim.

Russland sprach von einem Unfall, die Ukraine meldete sich nicht zu Wort. Eine anonyme Quelle aus Kiew habe jedoch die Beteiligung ukrainischer Spezialkräfte zugegeben, berichtete damals die „Washington Post“.

Vergangene Woche ging ein Munitionsdepot in Flammen auf. Ebenfalls auf der Krim. Seit Donnerstag mehren sich Berichte über russische Raketenabwehrsysteme, die über der Halbinsel aktiv seien.

Bisher ist unklar, mit welchem Waffensystem die ukrainische Armee den Luftwaffenstützpunkt Saki getroffen haben könnte. Bis zu der dortigen Explosion waren sich Beobachter einig, der Ukraine fehle es an reichweitenstarken Waffen, um die Krim zu treffen. Liegt der Flugplatz doch fast 200 Kilometer hinter der Frontlinie in der Region Cherson.

Ex-General fordert direkten Beteiligung der USA

Ein hochrangiger Beamter der Biden-Administration sagte „Politico“, dass die USA den Streitkräften der Ukraine erlaubt haben, US-Waffen zu benutzen, um auf dem besetzten Gebiet der Krim zuzuschlagen. „Die Krim gehört zur Ukraine.“

Um die Angriffe tief in von Russland besetzten Gebieten aufrecht zu erhalten, müsse die US-Regierung den Verbündeten in Kiew „auch Langstreckendrohnen wie die in den USA hergestellten MQ-9 Reaper-Drohnen“ liefern, fordert Ex-General Arnold, der in Afghanistan und im Irak im Einsatz war. Diese Drohnen könnten mit schweren Waffen und Mehrfachraketensystemen ausgestattet werden „und Ziele an der russischen Grenze, in Russland sowie jenseits der Krim angreifen“, fügte er hinzu.

Der Militärexperte gibt jedoch zu bedenken, dass die Lieferung von Reaper-Drohnen an die Ukraine komplizierter ist als bisherige Waffenlieferungen. Gilt das System doch als sehr anspruchsvoll. Der nach Arnolds Meinung schnellste Weg, den Krieg zu beenden, sei der Eintritt einer US-geführten Koalition in den Konflikt. So könnten die russischen Luftstreitkräfte besiegt und die ukrainischen Streitkräfte effektiv unterstützt werden.

Die USA sollten Kiew MQ-9 Reaper-Drohnen liefern, fordert der pensionierte US-Brigadegeneral Mark Arnold (Symbolbild).
Die USA sollten Kiew MQ-9 Reaper-Drohnen liefern, fordert der pensionierte US-Brigadegeneral Mark Arnold (Symbolbild).

© dpa/AP/MH/Massoud Hossaini

„Russland wird nicht aufhören, bis die Ukraine militärisch besiegt ist. Russland wird versuchen, die Ukraine langsam in die gleiche Asche zu legen wie Mariupol und Sjewjerodonezk“, sagte Arnold.

Viele Politiker hätten Angst vor nuklearen Drohungen, aber Arnold ist überzeugt, dass „die nukleare Bedrohung nicht als Schutzschild für Atommächte dienen darf, um ihr Übel zu unterstützen und ihr konventionelles Militär einzusetzen, denn dieses Zugeständnis ermutigt nur zu weiteren Aggressionen“.

Ukrainische Freiwillige entwickeln Kampfdrohnen

Unterdessen versucht sich die Ukraine mit ihren eigenen Kräften zu verteidigen, während sie auf Nachschub von Verbündeten wartet. Die IT-Fachleute der ukrainischen Nichtregierungsorganisation „Aerorozvidka“ (deutsch: Luftaufklärung) arbeiten derzeit etwa an zwei Projekten: den R18-Kampfdrohnen und dem Situationserkennungssystem „Delta“.

[Lesen Sie auch: High-Tech aus München und den USA: Die Drohnen-Jagd der Ukrainer auf russische Panzer (T+)]

„Wir werden oft mit der militärischen Einheit des Sicherheitsdienstes der Ukraine und den Streitkräften der Ukraine verwechselt. In jeder dieser Formationen gibt es Spezialeinheiten, die unsere Hilfe in Anspruch nehmen, aber wir gehören nicht dazu. Die Luftaufklärung fliegt keine Drohnen und bombardiert niemanden, wir schaffen die Befähigung dazu“, erklärte der Sprecher der Organisation, Mykhailo, der darum bittet, seinen Nachnamen nicht zu nennen. So hätte die „Aerorozvidka“ auch einen gewissen Anteil an der Zerschlagung des Konvois russische Militärfahrzeuge kurz vor Kiew, sagte er dem Tagesspiegel.

Die R18-Kampfdrohnen sollen bis zu fünf Kilogramm Sprengstoff tragen können (Symbolbild).
Die R18-Kampfdrohnen sollen bis zu fünf Kilogramm Sprengstoff tragen können (Symbolbild).

© Pressezentrum von Aerorozvidka

Die von „Aerorozvidka“ gebauten R18-Drohnen seien mit Wärmebildgeräten ausgestattet und könnten bis zu fünf Kilogramm schwere Sprengsätze tragen. Die Entwicklung dieser Drohnen habe vor etwa sechs Jahren begonnen. Drohnen aus Serienproduktionen wie beispielsweise aus China seien für diesen Zweck weniger geeignet, würden aber trotzdem gebraucht. „Natürlich gibt es erfolgreichere und weniger erfolgreiche Modelle. Aber die Lebensdauer solcher Drohnen ist kurz. Sie werden für die Nahaufklärung eingesetzt, und hier wird die Quantität zur Qualität. Denn ohne ,Augen‘ auf dem Schlachtfeld ist es schwierig“, erklärte der Experte von „Aerorozvidka“.

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Neben den Drohnen arbeiten die „Luftaufklärer“ an einer Software namens „Delta“, die wie eine mehrschichtige Karte aussieht. Dafür würden Daten aus Drohnenflügen, Mobilfunknetzen, Geländekarten, Satellitenbilder westlicher Partner, Küstenradare, Sensoren auf dem Schlachtfeld und Daten von Informanten in den besetzten Gebieten zu einer Einheit zusammengefügt, erklärt Myhhailo. „Jede an das System angeschlossene Einheit kann Informationen austauschen und benutzen.“

Einzigartig sei, dass dank dieses Projekts Einheiten aus verschiedenen Bereichen miteinander kommunizieren können – von der Bodenverteidigung über den Sicherheitsdienst der Ukraine bis hin zu den Streitkräften der Ukraine. Zuvor erlaubten die Systeme in der Ukraine nur die Kommunikation innerhalb einer einzelnen Einheit.

Crowdfunding-Geld für bessere Satellitenbilder

Bis die Technologie fertig ist, kann die ukrainische Armee auf Daten des finnischen Mikrosatellitenherstellers „Iceye“ zurückgreifen. Der ukrainische Fernsehmoderator Serhiy Prytula sammelte mithilfe einer Crowdfunding-Kampagne genügen Geld ein, um den Streitkräften Zugang zu einem Satelliten und einer Bilddatenbank zu gewähren. 2014 legte der 41-Jährige seine Karriere auf Eis, um der Armee zu helfen.

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Prytula zufolge verfügt das Unternehmen über die bisher fortschrittlichste Technologie für Radarsatellitenbilder. Im Gegensatz zu herkömmlichen Erdbeobachtungssatelliten können die Radarbildsatelliten von „Iceye“ hochpräzise Bilder der Erde bei Tageslicht, bei Nacht und durch Wolken hindurch liefern.

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In den Kauf flossen auch 600 Millionen ukrainische Griwna (etwa 16,26 Millionen Euro), die eigentlich für den Kauf einer türkischen Drohne gesammelt wurden. Beeindruckt von der Unterstützungsbereitschaft stellte die Drohnenfirma Baykar drei Bayraktar TB-2-Drohnen kostenlos zur Verfügung.

Ex-US-Brigadegeneral Arnold ist sich sicher, nach dem Krieg werde die ukrainische Armee eine der stärksten in Europa und die beste auf dem Kontinent sein, was die Kampfausbildung angehe. „Die ukrainischen Streitkräfte werden sich langsam vom System der Sowjetära und der sowjetischen Doktrin zu einer Armee mit modernen Waffen aus dem Westen entwickeln. Das sollte ein langfristiges militärisches Ziel sein und eine freie und demokratische Ukraine. Und das ist Putins Albtraum“, fasst Arnold zusammen.

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